ROCKTOWER-Festival / 03.04.2010 – Lübeck, Treibsand & MuK

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Die zweite Auflage des Rocktower-Festivals stand bereits im Vorfeld unter Verdacht, den Kultigkeitsgrad solcher Veranstaltungen wie Keep It True oder Headbangers Open Air zu erreichen. Wobei die Veranstalter Dirk und Jens nicht nur Bands verpflichtet haben, deren Logos auf den Kutten der Old School-Banger prangen (RAVEN, THE RODS, SAVAGE GRACE, OMEN, RUFFIANS…), sondern auch „neue Wilde“ wie ENFORCER und RAM und sich zudem durch kommerziell erfolgreiche Klamotten wie EQUILIBRIUM, ENDSTILLE und FINNTROLL einen gewissen Grundstock an BesucherInnen sicherten. Eine schöne Neuerung soll dieses Jahr darin etabliert werden, das Treibsand als zweite Bühne einzubinden. Was für ein Kontrast! Hier die antiseptische MuK  (dat steht für Musik- und Kongresshalle) mit Toiletten, in denen du vom Boden essen kannst (nicht, dass ich dat ausprobiert hätte…), dort das autonome Zentrum zum Wohlfühlen.

Als Wermutstropfen erweist sich höchstens, dass das Treibsand für einige Bands schlicht zu klein ist und nicht alle interessierte BesucherInnen hineinpassen. Und natürlich bedeuten zwei Bühnen immer auch ärgerliche Überschneidungen (ENTOMBED / THE DEVIL’S BLOOD). Ansonsten kann schon jetzt ein positives Fazit gezogen werden, denn alles lief reibungslos, keinerlei Verzögerungen, keine Warteschlangen und vor allem bei JEDER BAND ein überdurchschnittliches Klangbild – fett und voluminös, und das in beiden Läden!

Wie immer muss im Vorfeld die übliche Abfahrtshektik bewältigt werden. Ich bin eh schon kribbelig wie Sau, schütte mir Salz in den Kaffee, das Frühstücksbier über die Tastatur und putze mir mit Enthaarungscreme die Zähne – da sagt unser Driver ab. Aber alles wird gut und so fahren wir nur ein wenig später als geplant los – alle sind heiß, markiert das Festival doch irgendwie den Beginn der Festivalsaison, auch wennet nu kein Open Air ist.

Und immerhin sehen wir noch ein ordentliches Stück von RAM. Die Schweden sind mir noch in guter Erinnerung von irgendeinem HOA – bester PRIEST-Metal inklusive Leder, Nieten und so. Besonders geil sind die Schreie des Sängers, der kniet sich mal richtig rein und lässt Jim Gillette alt aussehen.

Zwischendurch immer wieder zum Auto und Zähneputzen, schließlich sind wir mit Strecker unterwegs und der hat uns alle mit seinem Tick in Sachen Mundhygiene angesteckt…

ENFORCER hatten auf der Tour mit PORTRAIT bereits eine gute Figur gemacht – heute legen die los wie die jungen OVERKILL. Nicht ein einziger Song ist im Midtempo, das Gaspedal wird konstant durchgetreten. Könnte fast als Thrash durchgehen, der Gesang ist dazu aber doch klar im Power Metal verwurzelt, außerdem sind Spandex und Tücher bei diesen Schweden das Gesetz (der Sänger sieht Michael Kiske im 80er Look unfasslich ähnlich). Egal, geile Scheiße auf jeden Fall.

Auf die legendären Hamburger von ASMODIS hätten wir zwar auch Bock, entscheiden uns dann aber doch für die RUFFIANS, die hat nämlich noch keiner von uns live gesehen und die olle Mini-LP von 1985 mit Carl Albert (R.I.P.) am Gesang ist schließlich schon so’n kleiner Klassiker. Der Nachfolger Alberts ist wohl auch schon seit 1986 dabei und erweist sich heute als amtliche Schreigräte. Die Songs werden gekonnt präsentiert, nichts völlig Spektakuläres, aber wuchtig groovend und mit memorablen Melodien versehen.

SAVAGE GRACE sind eigentlich nicht wirklich SAVAGE GRACE, sondern Chris Logue mit deutscher Backing Band. Den Job erledigen die Jungs von ROXXCALIBUR, die dazu wohl wie keine anderen prädestiniert sind, wie jede/r BesucherIn des letzten KITs bestätigen kann. Hmm, nur ist das Ganze musikalisch zwar astrein, man merkt aber zu jeder Zeit, dass hier keine Band im eigentlichen Sinne agiert. Und der olle Logue wirkt mimisch maskenhaft starr, sieht dabei unheimlich jung aus. Strecker schließt messerscharf: „Dit issen Botox Zombie!“ Wär mir ja egal, aber der Typ kommt doch etwas verkrampft rüber. Hab ihn jedenfalls von der ‘86er Tour deutlich lockerer in Erinnerung. Dennoch macht es natürlich Spaß, Gassenhauer wie „After The Fall From Grace“, „Bound To Be Free“, „Master Of Disguise“ oder „We Came, We Saw, We Conquered“ zu hören. Offenbar ist ein Gitarrensolo eingeplant, was der Klampfer jedoch nach ein paar Sekunden grinsend abbricht: „Ah, who needs a guitar solo? You can’t headbang to that shit!“, um stattdessen schön ein paar Takte von „Electric Eye“ und „Balls To The Wall“ runterzuschreddern.  Logue: „That wasn’t a guitar solo, but I liked it“. Mit den Coversongs „Exciter“ (Judas Priest)  und „Burn“ (Deep Purple) rundet man den Auftritt ab. Naja, insgesamt durch die Umstände nur halb gut, vielleicht wachsen Band und Sänger noch besser zusammen, geplant ist offenbar eine längerfristige Kollaboration.

Ganz anders sieht die Sache bei OMEN aus, welche die Walli in Grund und Boden rocken!  Hatte Chris Logue kaum mal Augenkontakt zu seiner Band oder zum Mob, grinsen sich diese vier Typen ständig an, zudem ist der Sänger eine echte Rampensau und bekommt es recht gut hin, den Gesangsvorgaben des unvergessenen J.D. Kimball (R.I.P.) zu folgen. Er weist darauf hin, dass es im Treibsand natürlich viel cooler sei als im MuK, die wahren Freaks seien na logisch hier, drüben dagegen nur die Poser, ha ha. Kenny Powell hat sich wohl irgendwie die Hand verletzt, kompensiert einen nicht einsatzfähigen Finger aber irrwitzigerweise, ohne dass man Qualitätseinbußen hört.  Erfreulich auch, dass man endlich mal einen guten neuen Song präsentieren kann („Blood On The Water“), der zwar nicht auf Augenhöhe mit den Glanztaten „Battle Cry“, „Warning Of Danger“ oder  „Teeth Of The Hydra“ ist, aber doch viel versprechend klingt.

Zwischendurch treffen wir die eiserne Termite himself, den Timönatör und Kollegen aus Berlin. Der hat 'nen ganzen Sack seiner neuesten Ausgabe vom INTO THE WARZONE-zine dabei. Drin sind völlig wahnsinnige Intis mit u.a. HIRAX, DEBT OF NATURE, REPULSION und ähem VLADIMIR HARKONNEN. Für ‘nen Euro bei http://www.myspace.com/ancient-metal. (Als ich übrigens nachts nach Hause komme, liegt ein feistes Postpaket mit Timos Heften da – trotz ständigen Kommunizierens über soziale Netzwerke hätten wir das also optimieren können…)

So, Zähneputzen und ab zu THE RODS! Hell yeah, Ü 60 Metal galore. Ich hatte THE RODS auf dem letztjährigen HOA nicht sehen können, da eigene Verpflichtungen mich abberiefen, aber ausschließlich Gutes gehört. Ein Satz von Götzens Rock Hard-Rezi blieb mir in Erinnerung – „noch nie hab ich so fitte 60-Jährige gesehen“ oder so ähnlich. Und das trifft es! Die Typen sind älter als Lemmy, haben alle noch wallendes Haupthaar und bieten auf der Bühne mehr Bewegung als so manche junge Band. DAS sind jetzt wirklich die RODS, wie ich sie von den alten Platten kenne, nicht die halbgare „Reunion“ auffem Wacken 2004 (Feinstein mit Gastmusikern), nämlich das Originaltrio Canedy/Feinstein/Bordonaro. „Power Lover“, „Born To Rock“, „Let Them Eat Metal“ usw. donnern herrlich anachronistisch und zeitlos zugleich aus der Anlage. Eine der besten Bands des Festivals.

Aber das klare Highlight soll erst jetzt folgen: The pack is back! RAVEN waren ja immer da, aber ein heftiger Unfall hätte Mark Gallagher bekanntlich fast das Leben gekostet (irgendwie ist ‘ne Mauer auf den draufgefallen oder so). RAVEN verkörpern für mich alles, was an Metal geil ist, und was hingegen oft peinlich oder scheiße ist (übertriebenes Pathos, Gedudel, Macho-Posen), überlassen sie gepflegt irgendwelchen Idiotenbands. Im Klartext: Die beiden Gallaghers und der verrückte Hasselvander (Pentagram) versprühen immer noch blanken Wahnsinn und rennen hektisch über die Bühne. Johns Gesang klingt GENAU SO GEIL wie vor zwanzig Jahren, die hohen markerschütternden Schreie gelingen ihm mühelos. Da drehst du doch durch! Und dann diese Songs – von „Live At The Inferno“ über „Mind Over Metal“ bis hin zu „Crash! Bang! Wallop!“ ist alles dabei. Und weiterhin positiv zu erwähnen: Die neue Platte „Walk Through Fire“ zeigt RAVEN in Bestform, läuft JETZT gerade hier. Arrgh, ich muss kurz aufhören und meinen Kopf an die Wand hauen.

Leider haben wir jetzt diese kuriose A CAPELLA-Metalband VAN CANTO sowie ENDSTILLE verpasst, aber erstma gehen RAVEN generell vor und zweitens soll es im Treibsand kein Durchkommen mehr gegeben haben, wie wir später hören.

ENTOMBED oder THE DEVIL’S BLOOD? Ich schließe mich faul der Mehrheitsmeinung meiner Reisegruppe an und beginne mit ENTOMBED inner MuK.  Schlecht können die Schweden ja eigentlich nie sein. Dazu sieht es schon zu kultig aus, wie L-G Petrov seine schmierige Matte schüttelt und seinen unnachahmlichen Growls lausche ich auch immer gern. Aber leider ist die Playlist im Gegensatz zu den letzten ENTOMBED-Konzis, die ich gesehen hatte, eher mau. Viel zu viel Zeug aus der Death’n’Roll-Phase für meinen Geschmack. Den wirklich süchtig machenden Stoff von den ersten beiden Platten streifen sie heute nur kurz.

Daher wechsele ich rüber ins Treibsand und gucke noch ein paar Stücke von THE DEVIL’S BLOOD. Das hätte ich ma durchaus früher tun sollen, denn die Präsenz der Band ist schlichtweg hypnotisierend. Heute gefällt mir die Stimme der Sängerin noch deutlich besser als beim einzigen anderen Auftritt, den ich bisher von den Holländern gesehen habe. Und so krass, wie die völlig bewegungslos dasteht, blutüberströmt, mit schmerzverzerrtem Gesicht, die Arme meist anklagend erhoben! Die Reaktionen der zufällig herinschauenden BesucherInnen sind sehr unterschiedlich: Während die einen kopfschüttelnd oder gar fluchend schnell wieder flüchten, bleiben die anderen wie in Trance stehen und versinken im Klangkosmos der satanistischen MusikerInnen.

EQUILIBRIUM sind ja nicht schlecht, hör ich mir auch ab und zu an. Dass es aber erst zu dieser Band richtig voll in der MuK wird, also locker 50 % der Leute Knallerbands wie RAVEN oder auch ENTOMBED komplett ignorieren, kann ich nicht nachvollziehen. Außerdem ist das lauteste Instrument ein Keyboard, was sich aber nicht auf der Bühne befindet, also vom Band kommt. Dem neuen Sänger kann man stimmlich nichts vorwerfen, allerdings scheint er ein Narzissmus-Problem zu haben, so oft wie der seine Frise richtet. Viel Bewegung gibt es auf der Bühne nicht, aber die Leute toben dafür umso mehr. Circle Pits, klatschende Hände und fliegende Köpfe everywhere. Na ja, ich will auch nicht zu sehr meckern, die Pagan/Folk/Black/Viking Metal-Mische knallt schon. Die beste Band sind sie für mich aber heute bei weitem nicht.

Letzte Station: ROXXCALIBUR statt den natürlich auch sehenswerten FINNTROLL, da ich letztere unlängst gerade erst in Hamburg gesehen habe. Die NWoBHM-Fans aus Süddeutschland brennen ein Fest ab und lassen sich in ihrer Spielfreude nicht einen Deut dadurch bremsen, dass um diese Zeit nicht mehr viel los ist. Man merkt sehr deutlich, dass es sich um echte Freaks handelt, die aus Leidenschaft heraus agieren. Supersympathisch ist mir der Bassist, der die ganze Zeit grinst und auch noch ein DOOM-Shirt trägt (übrigens: Das Doom-Logo wird gerade von Lady Gaga in einem Video missbraucht. Die Crusties versuchen dagegen vorzugehen, haben sich aber natürlich als echte Punks keine Logorechte gesichert). Die volle Breitseite aus obskureren NWoBHM-Stücken (JJ’S  POWERHOUSE – „Running For The Line“ oder JAMESON RAID – „Seven Days Of Splendour“), etwas bekannteren Sachen wie „Axe Crazy“ (JAGUAR) und Gassenhauern wie SAXONs „Princess Of The Night“ oder SAVAGEs „Let It Loose“ wird kongenial gecovert, sowohl instrumental als auch gesanglich stimmt alles bis aufs I-Tüpfelchen (zum Teil haben die Songs vielleicht etwas mehr Dampf). So viele Gastmusiker wie auf dem letztjährigen KIT kann man natürlich heute nicht bieten, aber Brian Ross von BLITZKRIEG ist ja vor Ort und lässt sich nicht lange bitten, den gleichnamigen Song zu intonieren. Eigentlich will Helldriver Svenja schon seit ‘ner Stunde los, doch auch sie kann sich dem Spektakel nicht entziehen und so wird es locker 02:00 Uhr und etliche Zugaben später, als wir glücklich zum Auto wanken.

Daumen hoch also für dieses feine Fest und wir hoffen auf ein weiteres Rocktower 2011.

Nachtrag: Hier die komplette ROXXCALIBUR-Playlist:

- Running For The Line (JJ's Powerhouse)

- Gates Of Gehenna (Cloven Hoof)

- 7 Days of Splendour (Jameson Raid)

- Rainbow Warrior (Bleak House)

- Axe Crazy (Jaguar)

- Lady Of Mars (Dark Star)

- Destiny (Trident)

- War Of The Ring (ARC)

- Witchfinder General (Witchfinder General)

- Let It Loose (Savage)

- Angel Of Fear (Radium)

- Spirit Of The Chateaux (Chateaux)

- See You In Hell (Grim Reaper)

- If I Were King (Vardis)

- Blitzkrieg (Blitzkrieg)

- Emergency (Girlschool)

- Don't Break The Circle (Demon)

- 22 Acacia Avenue (Iron Maiden)

- Helpless (Diamond Head)

- Princess Of The Night (Saxon)

 

 

 

 

Kommentare   

+1 #3 Philipp Wolter 2010-04-05 14:57
Netterweise haben mir die ROXXCALIBUR-Jungs noch ihre Playlist geschickt - habe ich mal ergänzt. Übrigens meinte der Bassist in einer Mail, dass er mir das Teil gerne zusende... und ein paar Tage später war es auch da, aber old-school-gerecht per Post in 'nem Briefumschlag!
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+1 #2 siggi sick 2010-04-05 14:57
geil,Raven -nie gesehen ,wird aber nachgeholt,haben die auch songs vom debüt gezockt-rock until you drop ? kopf an die wand ,yeah
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0 #1 Torsten 2010-04-05 14:57
Welch ein Enthusiasmus!!! Danke dafür, Philipp (und auch deinen Mitfeiernden)!!! Sehr Herzerwärmend :-) ...
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