BLACK BREATH, GLASSES, DANGERS, GOODTIME BOYS / 19.07.2011 - Hamburg, Hafenklang

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Doppelbericht von Philipp & Toffi (kursiv)

Es mag etwas arrogant klingen, aber manchmal fragt man sich schon, warum die Massen ausschließlich zu überteuerten Konzerten im Docks oder ähnlichen Kommerzläden rennen, statt für einen Bruchteil der Knete in schnuckeligen Untergrundbuden eine oftmals viel höhere Qualität zu genießen. Aber gut so: 100 Leute reichen, um aus dem Abend mehr als ein „Konzert“ zu machen. „Denn fast alles, was berühmt ist, ist so öde. Ich will sowas nicht hören. Ich will sowas nicht sehen“...


Das Hafenklang mausert sich in der Tat still und heimlich zur Top-Adresse für Hardcore-Shows in Hamburg, man denke da nur an DEFEATER, SHAI HULUD, die kommenden THE CARRIER oderoderoder... Zwar bietet die Flora noch nen Ticken mehr Asi-Charme, jedoch scheint dort die Raumaufteilung oft problematisch. Der Saal für kleinere Konzerte zu riesig, der angrenzende Kneipen/Konzertraum dann so manches Mal aber doch schon fast zu eng. Mit dem Hafenklang treffen die Leute von OUR TURN CONCERTS die perfekte Wahl für den Abend. Weder zu leer noch zu voll noch zu steril. Und den in der Flora vermehrt auftauchenden Yuppie-Nervbacken auf der Suche nach Abenteuer fehlen wohl Medienpräsenz und Häuserkampf-Flair, um hier mal ordentlich die Sau rauszulassen...
   



Wir sind angenehm früh vor Ort und erfreuen uns des sich entspinnenden Gefasels. Irgendwann taucht auch Niles mit der neuen AND THEN THEY RUN-Scheibe als CD und Kase auf, worauf einige nur gewartet haben. Siggi Sick bietet dem verblüfften Niles gar sein cineastisches Gourmethäppchen „Avogardo-Murmansk Mutation“ im Tausch an…

Wir dagegen sind bisschen spät dran, vor dem Laden stehen schon diverse bekannte Gesichter und scharren mit den Füßen. Auch mir wird direkt die ATTR-Kassette unter die Nase gehalten, nur leider hab ich seit Jahren kein Tape-Deck mehr. In Ermangelung eines Download-Codes kann man aber die CD dazukaufen, haha. (sinnlose Randnotiz: Split-Single auf Floppy-Disc inklusive Downloadcode!!! Neulich in der Flora entdeckt) Für großes Hallo bleibt keine Zeit, von drinnen ertönt schon erstes Gepolter.  

Ob der Deal über die Bühne geht, entzieht sich meiner Kenntnis, denn die GOODTIME BOYS (Cardiff/UK) klöppeln los. Der Sänger geht heftig ab, so einen wild hin- und herrennenden Derwisch habe ich schon länger nicht gesehen. Vom Typ eher Marke Lee Hollis – klein, giftig und schnell. Die Stücke weisen recht viele ruhige Passagen auf, die natürlich immer wieder von heftigeren Eruptionen und Screamo-Attacken abgelöst werden. Insgesamt bleibt auf Anhieb wenig hängen, aber beeindruckend ist es schon, wenn die gesamte Band ohne Mikros in den Raum schreit (wenngleich auch kein neues Stilmittel mehr) oder der Schlagzeuger aus seinem Minimalkit interessante Figuren rauskitzelt.

Bei der Begrüßung im Mob meint El Tofu in richtung Bühne deutend noch "Der Sänger hat Bock!" und soll damit recht behalten. Verflucht, und wie der Bock hat! Der Kauz krümmt sich in Schreikrämpfen auf die Knie um in nächsten Augenblick meterhohe Sprünge aufs Parkett zu legen, wirkt dabei aber nie zu rampensaumäßig, sondern verkörpert einfach glaubwürdig das was musikalisch dargeboten wird, nämlich abwechslungsreicher Screamo-HC. Selten hat mich die erste Band des Abends derart begeistert, absoluter Geheimtipp!

http://goodtimeboysband.bandcamp.com/


DANGERS haben ebenfalls einen extrovertierten Sänger mit charismatischer Präsenz, der sich ähnlich wie sein Vorgänger darüber wundert, dass der Mob noch recht zurückhaltend agiert und uns netterweise vorschlägt, uns doch gleich selbst in der Elbe zu ertränken… Aber nicht dass hier der falsche Eindruck entsteht: Die Band hat richtig was zu sagen ("We need to start to care. And we can't just hold our breath. Sit back and sing along. Pretend that it's all okay. When we know we're wrong. We must change. Ourselves."). Dementsprechend gibt es ausführliche Ansagen zum Hintergrund einzelner Stücke und der generellen Einstellung der Band. Erst gegen Ende des Sets bei einem Pro-gay-marriage-Song erhalten DANGERS die verdiente Belohnung in Form von einem sich vor der Bühne drängelnden mitbrüllenden Haufen Menschen.

DANGERS machen ihrem Namen alle Ehre, der nicht grad gnomhafte Schreihals startet zahlreiche Attacken auf den Mob, der fürs erste auch auf Sicherheitsabstand bleibt. Das führt dann in der Tat zu lustigen Ansagen, man solle doch näher kommen, dann müsse er nicht mehr so weit springen und er sei ja eigentlich gar nicht so fies wie alle denken. Ansonsten aber alles andere als lustig, sondern eher tiefsinnig bis schwermütig, was sich textlich im Hause DANGERS abspielt. Muss bald mal Zeit für die LP finden, die mit A2-Faltcover/Poster-Kombination, beigelegter CD, Textkritzeleien und Bildern schon allein optisch begeistert. Musikalisch gefallen mir DANGERS heut Abend am besten, derb schnelle Textpassagen setzen einigen Songs ihre eigene Note auf und über die anfängliche Paranoia vom Sänger verkloppt zu werden legt sich bald ein Mantel adrenalingefütterter Begeisterung.

http://www.wearedangers.com/


Von GLASSES habe ich kürzlich ein Interview im TRUST gelesen, was mich positiv für die Band eingenommen hat. In der Tat gefallen mir die D.I.Y.-Hardcore-Punker bis jetzt rein musikalisch am besten. Riffs und Beat werden derart unwiderstehlich herausgerotzt, dass es jetzt im gut gefüllten Innenraum des Hafenklangs ordentlich zur Sache geht. Mittendrin die gerade eintrudelnden Sodiumboys, die sich gleich ins Getümmel stürzen. Zwar haben die ersten beiden Bands mehr Bewegung geboten, aber GLASSES setzen meiner Meinung nach auf schlüssigere Songs mit effektiven Riffs, viel Dampf und Drive. Der Gesang kommt dazu herrlich angepisst und wütend.

Witzig, das TRUST-Interview hab ich heute morgen in der U-Bahn aufm Weg zur Arbeit angefangen zu lesen und kann somit eine gesunde Einstellung der MusikerInnen in Sachen D.I.Y attestieren. GLASSES animieren das anwesende Pack deutlich mehr zum mitgehen als die vorherigen Bands, klingt aber irgendwie auch alles eingängiger und weniger verzwirbelt. Positiv anzumerken ist, dass GLASSES in puncto Stageacting als geschlossene Band agieren. Hier dreht die komplette Mannschaft am Rad und es entsteht weniger dieser Eindruck vom überschäumenden Psycho mit dem Mikrofon und der Begleitkapelle im Hintergrund, was bei HC-Bands häufig der Fall ist.

http://www.facebook.com/glasseshc


Nach GLASSES wackele ich rundum zufrieden vor die Tür mit dem Gefühl im Bauch, dass ich alles gesehen habe und es heute nicht besser werden kann. Als BLACK BREATH aus dem Bauch des Hafenklang brummen, verpüre ich deshalb keinen Drang reinzugehen, wobei sicher noch der Wecker am nächsten Morgen mit reinspielt. Also noch bisschen an der frischen Luft gequatscht und ab ins Bett. Augenzeugenberichten nach zu urteilen soll der Schlagzeuger aber rattenähnliche Züge mit nem Schlag Hamsterbacke aufweisen.

BLACK BREATH haben mich mit ihrer „Heavy Breathing“-Scheibe 2010 schlichtweg umgehauen. Es gibt hier vier klare Inspiratoren-Pfeiler im Klanggerüst der Band: ENTOMBED, AUTOPSY, DISCHARGE und MOTÖRHEAD. Nun könnte man natürlich einwenden, dass sie somit keinen Originalitätspreis gewinnen können, aber diese Einflüsse werden extrem geschickt vermischt. UND live entfalten diese Freaks einen unfasslichen Druck – sodass ich tatsächlich sagen muss, dass sie mich hier und jetzt mehr begeistern als ENTOMBED. Der Sänger lässt richtig lange Death-Metal-Schreie wie direkt aus der Gruft ertönen, die Band galoppelt mit allerfeinsten Riffs und epischen Melodien im „Left Hand Path“-Stil nach vorne. Einfach HERRLICH! Vor allem der Gitarrensound ist genial - so ratternd und pumpend. Ich bin sicher, dass diversen Besucher_Innen die Band zu metallisch ist – doch zum Glück gibt es auch viele Anwesende ohne Scheuklappen und die feiern sowohl bei GLASSES als auch bei BLACK BREATH.

Danach muss das Gesehene erst mal verdaut werden – in der Dremu-affinen Hood findet man sich daher aufm Boden vorm Hafenklang im Kreis sitzend & debattierend wieder. Einige hocken dort sicherlich noch immer und schwärmen!

http://www.myspace.com/blackbreath

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