WACKEN OPEN AIR XXIII / 03.08.12 – Wacken, Tag 2

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Philipp: Heute also der erste „richtige“ Festivaltag. Mein geplantes Tagesprogramm enthält diverse Kracher, lässt aber genug Luft für Pausen. In der Theorie will ich ENDSTILLE, SACRED REICH, SANCTUARY, HENRY ROLLINS, THE BLACK DAHLIA MURDER, GRAVEYARD, CORONER, D.R.I., DIMMU BORGIR und AURA NOIR sehen. OVERKILL werden somit GRAVEYARD geopfert, die ich erst zweimal gesehen habe. Die anderen haben ähnlich hochgesteckte Ziele. Und nu der Cliffhanger: WIRD DIE DREMU-GESANDTSCHAFT ES SCHAFFEN, ALLE DIESE BANDS ZU SEHEN? BITTE UMBLÄTTERN!

Harkonnens_Endstille

Bericht von Toffi, Leif, Strecker, Stefan & Philipp. Bilder von Cindy Gusinski & Andi Harkonnen.

 

 

ENDSTILLE

ENDSTILLE

 

Philipp: 11.00 Uhr ist 'ne Ansage, aber wir schaffen es tatsächlich, unsere Morgentoilette rechtzeitig erledigt zu haben und pünktlich zur Black-Metal-Abreibung zu erscheinen. Zingultus ist beeindruckt, dass sich derart viele Leute „ohne Kaffee“ auf den Beinen halten und begrüßt uns zum „Frühstückserwachen“. Wie nachvollziehbar das Songwriting der Kieler im Grunde ist, lässt sich allein schon daran ermessen, dass ich die Setlist mühelos mitprotokollieren kann. Zu Stücken wie  „Dominanz“, „Endstilles Reich“, „Satanarchie“, „When Kathaaria Falls“, „Ripping Angel Flesh“, „Anomie“ (guter Titel übrigens) oder „Navigator“ bemüht man doch gerne einen der emsigen Bier-Boys und genießt das dritte Morgenbierchen. Die Bühne ist mit Ruinen, stacheldrahtbewehrten Panzersprerren und ähnlichem Gedöns liebevoll dekoriert, zu „Satanarchie“ kommen Gasmaskenheinze auf die Bühne, welche Flaggen mit einem entsprechenden Symbol schwenken – einer Art Kreuzung aus Anarchie-Zeichen und Pentagramm. Kreativ sind die Jungs, das zeigen auch die  unzähligen ENDSTILLE-T-Shirt-Motive.

Toffi: Neuer Tag, neues Glück? Denkste! Das Unheil kündigt sich bereits an, noch aber unschuldig anmutend in Form fluffiger Schäfchenwolken, die sich aber im Laufe des Nachmittags zu 'nem fiesen Wolf zusammenrotten sollen. Bisher siehts wettertechnisch aber noch ganz muckelig aus und so mach ich mich colaschlürfenderweise an die erste Band des Tages. ENDSTILLE fahren ordentlich auf und schleppen nicht nur stacheldrahtbewehrte Panzersperren und eine zerbombte Hauswand als Deko mit, nee, im Hintergrund posiert auch ein Bataillon Gasmaskenkrieger mit Flaggen. Naja, jedem seinen Fetisch, ich find's wie auch die Mucke eher ungeil, beäumel mich dann aber doch eine gute halbe Stunde über das Schauspiel und frage mich, als kurz vor Ende ein Düsenjäger im Tiefflug übers Gelände ballert, ob das auch Teil der Show war. Später erfahre ich, dass das Festival wohl tatsächlich mal zu Übungszwecken genutzt wird, indem im Vorfeld irgendwelche zu ortenden Objekte auf dem Acker verbuddelt werden, die dann in den Menschenmassen aus der Luft ausfindig gemacht werden müssen.

Leif: Auf dem Weg zu Endstille winken mir aus ca. 100 Meter Entfernung zwei unheimlich schmierig wirkende Pommesverkäufer zu, die sich bei näherer Betrachtung als Mitglieder der Avantgarde-Artrock-Band MOIN MOIN herausstellen. Leider vergesse ich zu fragen, wie genau sie es geschafft haben, sich einen Gastauftritt im Rebellen-Video von SLIME zu erschleichen, weil der öde Anblick der Pommesbude mich irgendwie selber müde macht. Macht aber nichts, denn ich habe jetzt sehr viel mehr Ballastwissen über Remoulade. Weil ich für’s Konzert zu früh und für ein Mittagsschläfchen im Bus zu spät dran bin, spiel ich einfach mal total verrückt und kaufe mir ein Bier. Mit den anderen verabrede ich mich zu einem unbestimmten Zeitpunkt am FOH, treffe aber niemanden, weil wir nicht vor, neben oder hinter'm FOH verabredet sind, sondern... am. Endstille gefallen mir trotzdem ganz gut. Besonders die fröhlich-freundlichen Ansagen des Sängers im Kontext der liebevoll gestalteten (Anti-)Kriegskulisse bereiten ein heiteres Frühstückserwacken... wachen.

Strecker: Nach einer kurzen Nacht und einem kurzen Frühstück geht es noch ziemlich müde zu Endstille, die bereits um 11 Uhr spielen müssen. Wach bekommen Endstille mich nicht. Die Kieler wirken auch noch ziemlich müde und etwas lustlos. Songs wie „Endstilles Reich“ werden zwar routiniert gespielt, aber mir fehlt so ein bisschen der Enthusiasmus.

Stefan: Endstille machen zu unchristlicher Zeit (11 Uhr morgens!!!) einen auf dicke Hose. Bühnenaufbauten wie im Häuserkampf. Wer es braucht?! Musikalisch schockt mich das Ganze nicht wirklich an, was auch an dem dürftigen Sound liegen könnte. Kein Vergleich zu den am nächsten Tag spielenden Watain. Nette Hintergrundmusik für die ersten 2-3 Bier des Tages, mehr aber auch nicht.

 

SACRED REICH

Cindy

 

Strecker: Weiter geht es mit Sacred Reich, die ich auf der Tour leider verpasst habe und so nutze ich diesmal die Chance, die Band zum ersten Mal live zu erleben. Die Band hat sichtlich Spaß bei Ihrem Konzert und ich fühle mich in die 80iger Jahre zurückversetzt. Songs wie „Independent“ und „Surf Nicaragua“ gehen immer und ich werde auch langsam wach. Sehr schön ist der Kommentar eines Besuchers neben mir, der zu seinem Kollegen meint, dass mit „War Pigs“ ein geiles Faith No More Cover gespielt werde. Es sind nicht nur Musikexperten in Wacken.

Philipp: Over the top! Phil Rind ist derart gut gelaunt, dass er auf der Bühne Songs aus irgendwelchen Disney-Filmen singt. Wie er selbst sagt: Seit 16 Jahren hat die Band kein Album veröffentlicht und dennoch hat das kollektive Gedächtnis des metallischen Paralleluniversums sie keineswegs vergessen. Das Programm ist ähnlich wie in Hamburg neulich - „Administrative Decisions“, „Love/Hate“, „World Peace“, „The American Way“, „War Pigs“, „Surf Nicaragua“... Keine Überraschungen, einfach ein purer Genuss. Mir fällt übrigens zum wiederholten Male auf, wie ähnlich Zarc Harkonnens Stimme der von Phil Rind ist!

Stefan: Gleich weiter zu Sacred Reich. Schön dass es auch Bands gibt, die einfach nur noch aus purem Spaß dabei sind. Ähnliche Setlist wie neulich inner Markthalle, aber egal. So denken offensichtlich einige, denn es ist schon gut was los vor der Bühne und die Band wird verdientermaßen abgefeiert. Könnte ich ab jetzt jedes Jahr in Wacken haben!

 

SANCTUARY

Stecker

 

Strecker: Als nächste Band gucke ich mir Sanctuary an, die ich bisher auch noch nicht live gesehen hatte. Die komplexen Songs wirken auf der großen Bühne und in der noch vorhandenen Sonne leider nicht und auch Sänger Warrel Dane hat nicht gerade seinen besten Tag erwischt. So liegt er doch einige Male deutlich neben den Tönen, die er eigentlich treffen will. Eric Harkonnen merkt dazu nur an: „Ihr müsst auf jeden Fall im Bericht schreiben, dass ich besser bei Stimme bin als Warrel“…

Philipp: Von vorneherein weiß ich, dass ich mir lediglich ein paar Songs ansehen kann, wenn ich den Spoken-Word-Auftritt von HENRY ROLLINS sehen will. Das frühzeitige Verlassen der Show fällt mir dann jedoch nicht allzu schwer, denn SANCTUARY sind definitiv nicht so gut wie früher. Ich habe die Band in ihrer aktiven Phase mehrfach live gesehen, damals hat sie auf allen Zylindern gefeuert und Warrel Dane hat gescreamt wie auf Platte. Der Wacken-Auftritt ist nun auch nicht scheiße, kann da aber nicht mithalten. Leider scheint Warrel Dane sich weiterhin in einer schlechten Phase zu befinden. Eric Harkonnen neben mir ist jedenfalls textsicherer und besser bei Stimme...

Stefan: Ich stehe nun vor der Wahl, Sanctuary komplett zu gucken oder mich Herrn Wolter anzuschließen und nach ein paar Songs zu H. Rollins zu gehen. Ich entscheide mich dafür, Sanctuary komplett zu sehen, da ich die Band noch nie gesehen habe. Im Nachhinein vielleicht nicht die beste Entscheidung. Warrel Dane wirkt wie schon in der letzten Zeit bei Nevermore nicht wirklich fit, was dem Songmaterial einiges seiner Wirkung nimmt. Bei „Battle Angels“ trifft er beispielsweise nicht ansatzweise die hohen Töne. Kein wirklich schlechter Auftritt, ich hatte allerdings weitaus mehr erwartet.

Danach will ich nach einer kurzen Pause am Auto zwecks Durstlöschung weiter zu Black Dahlia Murder ins Zelt. Allerdings sehen Magnus, Adi, Strecker und ich auf einmal, wie sich der Himmel schwarz verfärbt und ein kurzer Blick auf wetter.com bestätigt das drohende Unheil. Unwetterwarnung! Schon kurz danach sind wir zu viert damit beschäftigt unseren Pavillon zu sichern und unser Camp vor den Regenmassen zu schützen. Selten so viel Regen in so kurzer Zeit erlebt! Wir bleiben halbwegs trocken, die nächsten Bands fallen für uns aber buchstäblich ins Wasser und das Festivalgelände gleicht von nun an einer Schlammwüste.

 

HENRY ROLLINS

Waddat

 

Philipp: Die Entscheidung, SANCTUARY frühzeitig zu verlassen, um ROLLINS zweimal sehen zu können, ist die richtige! Denn Eisenheinrich bietet zwei komplett unterschiedliche Vorträge. Erfreulich voll ist es. Ein schönes Gegenbild zu den Mutanten, welche die Medien sich gerne für ihre Wacken-Berichte herauspicken, denn die meisten Zuhörer_innen lauschen aufmerksam, wissen feine Ironie ebenso wie kritische Aussagen zu schätzen und reagieren differenziert mit Gelächter, Nachdenklichkeit, Applaus oder Betroffenheit! HENRY ROLLINS betritt ohne irgendwelche Notizzettel die Bühne, lediglich mit einem Mikro in der Hand, ein Bein leicht vorgestreckt. Fast erwartet man, dass Greg Ginn mit auf die Bühne stürmt und gleich BLACK FLAG loslegen… Henry Rollins schafft es, die Leute durch ein Wechselbad der Gefühle zu schicken. Einige Geschichten scheinen zunächst lediglich amüsant-beeindruckende Geschichten aus dem Tourleben von BLACK FLAG zu sein, doch nicht selten gibt Rollins der Erzählung eine Wendung, die einem das Lachen im Halse erstickt. Mit einer gewissen Leichtigkeit verbindet Rollins das „Get in the van“-Thema mit seinen Reisen um die ganze Welt, vor allem gern in Länder, welche dem „Durchschnittsamerikaner“ als Schurkenstaaten verkauft werden. Und es ist inspirierend, wie eindringlich er letztlich verdeutlicht, dass Reisen den Horizont erweitert und alle beschissenen Vorurteile widerlegen kann. Auch wenn man – falls man so reist wie Rollins! – mal eine „sri-lankian rat’s liver“ serviert bekommt (an der Stelle muss ich so lachen – wie Rollins seine Überlegung schildert, diese Rattenleber schnell in einem Haps herunterzuschlingen und seine Gastgeber diese Schnelligkeit mit einem gewissen Appetit fehlinterpretieren und ihm gleich die nächste Rattenleber in die Pranken drücken). Ein Festivalhöhepunkt – Rollins hat mein Hirn in Brand gesetzt!

Toffi: Bis zu HENRY ROLLINS' Spoken Word Performance ist noch büschn Zeit und so verplempere ich noch ein bisschen Zeit mit Sightseeing und gucke mir bei den Wackingern ein Match BRUCHENBALL TOURNAMENT an. Das Prinzip des Spiels ist recht simpel gehalten: zwei Mannschaften kloppen sich um einen mit schwerem Klumpatsch angefüllten Sack, Ziel ist es den Sack über eine Begrenzungslinie zu bugsieren, erlaubt ist dafür alles was im entferntesten Sinne nach professionellem Ringen aussieht. Das Ganze natürlich stilecht mittelalterlich(?), also barfuß, oberkörperfrei (uneingeölt)und in Leinenhosen. Der Andrang ist wie zu erwarten enorm, das Spiel zumindest für die Zuschauer dann aber doch eher langweilig.

Zu den Zeiten, in denen BLACK FLAG Konzertläden zerrockt haben, lag mein persönlicher Fokus leider noch mehr auf Pixi-Büchern als auf Punkrock. Ein Grund mehr, sich den Auftritt von HENRY ROLLINS nun nicht entgehen zu lassen, zumal mich auch Poetry Slams meistens schnell mitreißen können. Aber das hier ist schon ein anderes Kaliber als eine gewöhnliche Slam-Lesung. Große Bühne, dicke PA, eine Stunde zu füllen... Schwer die Meute da am Haken zu behalten, denkt man, doch wird eines Besseren belehrt. Rollins wetzt mit Elan auf die Bühne, schnappt sich das Mikro und ich rechne schon damit, dass von irgendwoher Gitarren einsetzen, aber er beginnt wirklich zu reden statt zu singen. Das aber mit einer Energie, als würde vor ihm gerade die Hölle im Pit losbrechen! Ohne Pause, ohne Verhaspeln, OHNE einen einzigen Schluck Wasser zu nehmen, zieht er sein Ding durch. Immer wieder gespickt mit geilen beatboxartigen Soundeffekten und Stimmenverstellern erzählt er Storys aus seiner Zeit mit der Band, der abgefuckten Kindheit oder seinen abgefahrenen Jobs für National Geographic. Ich hab abwechselnd Lachtränen in den Augen oder einen Kloß im Hals und am Ende das Gefühl zufrieden nach Hause fahren zu können, da die Show ja vorbei ist.

Leif: Ich durfte Henry Rollins schon mal vor ein paar Jahren im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg sehen und wusste ungefähr, was mich erwartet. Dass ausgerechnet `ne Spoken Word Performance mein Wacken-Highlight werden würde, hätte ich aber auch nicht gedacht. Es sei jedem wärmstens ans Herz gelegt, sich das mal selber anzugucken! Es gibt derzeit vielleicht niemanden, der mit so wenig Mitteln so unterhaltsam, selbstironisch und, warte mal, inspirierend ist wie dieses graue, vor Energie strotzende, in-Afghanistan-Urlaub-machende Kraftpaket.

 

DARKEST HOUR

Philipp: Oben habe ich gefragt, ob mein Programm wohl schaffen werde. Tatsächlich erweitert es sich spontan. Und zwar um DARKEST HOUR, welche ich schlicht übersehen hatte. Da es sich bis THE BLACK DAHLIA MURDER eh nicht lohnt, noch groß woanders hinzugehen, bleibe ich natürlich und sehe eine überzeugende Show. DARKEST HOUR sind schön schnell und düster, haben aber zum Glück keine zeitgeistigen Breakdowns oder abgeschmackten Clean Gesänge. Das zahlreich erschienene und bunt gemischte Publikum honoriert das und feiert. Conférencier Maschine klingt übrigens mittlerweile ganz schön heiser…

 

THE BLACK DAHLIA MURDER

Philipp: Die Band habe ich jetzt länger nicht live gesehen  und freue mich über eine heftige Death-Metal-Harke. Trevor Strnad rudert wie gewohnt auf seine unnachahmliche Art wild mit den Armen und kreischgrunzt sich durch Knaller wie „A Shrine To Madness“, „Moonlight Equilibrium“, „What A Horrible Night To Have A Curse“, „Malenchantments Of The Necrosphere“, „Necropolis“, „On Stirring Seas Of Salted Blood“ oder „I Will Return“. Im Publikum beobachte ich übrigens einen neuen Move! Das Death-Metal-Rudern! Eine ganze Anzahl Freaks setzt sich dazu hintereinander in eine gerade Reihe auf den Boden – und rudert im Rhythmus der Band vor und zurück. Da sich schnell sieben (!) Reihen nebeneinander bilden, von denen einige gerade vor-, die anderen zurückrudern, ergibt sich ein imposantes und dynamisches Gesamtbild. Als ich den anderen Mitgliedern unserer Reisegruppe später davon berichte, urteilt Magnus trocken: „Das ist sicherlich gesünder als violent dancing.“

 

GRAVEYARD

Philipp: Mein viertes Konzert in Folge im Zelt, weswegen ich erst spät mitbekomme, dass es draußen heftig geregnet hatte und der Wacken-Acker in einer relativ kurzen Zeit in eine Schlammwüste verwandelt wurde. Gerade nach zwei Knüppelbands kommen GRAVEYARD einfach großartig. Bester Sound! Das ist so geil, dass ich bei mehreren Songs Gänsehaut bekomme. Ob in einer Halle, bei strahlendem Sonnenschein oder hier in diesem feisten Zelt – die Schweden überzeugen einfach immer. Gerade als ich diese Zeilen schreiben, geben GRAVEYARD das Coverartwork ihrer dritten Scheibe bekannt. JA, ICH WILL! Für diesen Auftritt habe ich sogar auf OVERKILL verzichtet, von denen ich danach noch, zwei, drei gewohnt knackige Songs mitbekomme.

Stefan: Kurz vor Graveyard beruhigt sich der Himmel wieder und wir machen uns auf dem Weg durch den Matsch zur W.E.T.-Stage, wo wir auch Philipp wiedertreffen, der von dem Unwetter nichts mitbekommen hatte, da er die letzte Zeit in dem riesigen Zelt verbracht hatte. Dass ich mal freiwillig auf einen Overkill-Gig verzichte, passiert auch sehr selten. Graveyard ist allerdings eine der besten Bands der heutigen Zeit. Auch der heutige Auftritt ist wieder absolut großartig, auch wenn, wie bei allen Bands in diesem Zelt, der Sound einen leichten Hall hat. Bin gespannt aufs neue Album.

 

CORONER

Zölcks_CORONER

 

Strecker: Nach den drei Bands zum Tagesanbruch gönne ich mir erst mal eine Auszeit und es gibt eine Grillung. Ursprünglich hatte ich vor, mich nach dem Essen auf den Weg machen und mir Overkill angucken, aber da macht mir das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Die Sonne vom Vormittag ist verschwunden und es ziehen Gewitterwolken auf, die sich dann dazu entscheiden, über dem Gelände erst mal einiges an Wasser fallen zu lassen. Auch wenn es heißt „Duschen ist kein Heavy Metal“ - alle, die zu dieser Zeit keinen Unterstand finden, duschen. Nach ungefähr einer Stunde verzieht sich der Regen vorerst und auf unserem Campingplatz sieht der Boden noch ganz gut aus. Auf dem Weg zum Coroner-Konzert stellen wir dann aber fest, dass unser Campingplatz leider eine Ausnahme ist. Das gesamte Gelände hat sich in eine Schlammwüste verwandelt und ist kaum noch begehbar. Ähnlich wie eine Entenfamilie watscheln wir dann auch durch den Schlamm. Es ist leider nicht unüblich, dass es in Norddeutschland im Sommer regnet und von daher bin ich sehr negativ überrascht, wie unvorbereitet die Veranstalter damit umgehen. Ich erwarte bestimmt nicht, dass das gesamte Gelände trockengelegt wird, aber zumindest an den Kontenpunkten in den Eingangsbereichen und Durchgängen hätte man einiges unternehmen können und meiner Meinung nach auch müssen.

Nachdem wir durch den Schlamm gerutscht sind, kommen wir bei der Party Stage an, auf der Coroner spielen. Nachdem Regen ist vor dem Regen. Pünktlich zum Beginn des Coroner-Konzertes fängt es wieder an zu regnen und so spielen Coroner vor einer sehr überschaubaren Zuschauermenge. Schade ist, dass sich die Band die Enttäuschung über die wenigen Zuhörer anmerken lässt und so wirken Songs wie „Die By My Hand“ doch etwas mau.

Philipp: Hihi, ich muss ja sagen, dass ich wettermäßig ein echtes Glücksschwein bin. Während es geschüttet hatte, war ich komplett im W.E.T./Headbanger-Zelt, danach schien die Sonne und zu CORONER bin ich natürlich mit Regencape gut präpariert. CORONER beginnen also bei einem apokalyptischen Szenario, düstere und schwere Regenwolke hängen am Himmel. Während des Gigs ziehen diese aber komplett von dannen und die Sonne strahlt wieder. Viel wichtiger: CORONER enttäuschen NICHT, sondern überzeugen auf ganzer Linie. Da schickt mir sogar Zarc Harkonnen eine aufgeregte SMS. Die Band agiert wie früher schon unaufgeregt, auch in den Ansagen bleibt Ron Broder, der stimmlich nichts an Charisma eingebüßt hat, gewohnt zurückhaltend und charmant. Musikalisch brillieren die Schweizer und schreddern ihren einzigartigen Techno/Jazz Thrash Metal nahezu perfekt. Ein reines Old-School-Set ausschließlich mit Stücken der beiden ersten Platten hätte mir wohl noch besser gefallen, aber man kann CORONER nun wirklich nicht vorwerfen, dass die anderen drei Platten weniger innovativ seien (sie klingen meines Erachtens einfach etwas weniger lebendig/wild und mir schon etwas ZU perfekt). Die Playlist konzentriert sich auf die Alben „Grin“ und „Mental Vortex“, live kommen Songs wie „Semtex Revolution“, „Grin (Nails Hurt)“, „Status: Still Thinking“, „The Lethargic Age“, „Internal Conflicts“, „Serpent Moves“, „Metamorphosis“ und „Divine Step (Conspectu Mortis)“ intensiver. Am besten gefällt mir dennoch „Masked Jackal“ – was für ein Killersong!

Stefan: Nun geht es zügig zur Party Stage zu Coroner. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich keine einzige Platte  von ihnen besitze.  Das wird sich aber demnächst ändern. Sehr gelungener und sympathischer Auftritt bei nahezu perfektem Sound. Die Musik ist nicht so leicht zu beschreiben, hat ihre Wurzel im Thrash Metal, aber mit progressiven jazzigen Einflüssen. Sehr geil! Da lacht sogar wieder die Sonne am Ende des Sets.

 

D.R.I.

D.R.I.

 

Philipp: Gar nicht so einfach, in einer größeren Gruppe den Weg von der Party Stage bis zum Zelt zu latschen – wenn man das in einer Viertelstunde schaffen will. Ständig will jemand irgendwelchen Bedürfnissen nachgeben. Essen, Bier, urinieren… Irgendwie schaffen wir es dennoch pünktlich zum Anfang von D.R.I. Im Zelt entstehen schon bald Giganto-Circle-Pits, denn die ollen D.R.I.-Hits kennen natürlich Freaks aller Altersklassen und Subgenres. „Who Am I“, „Argument Than War“, „Acid Rain“, „I Don’t Need Society“, “Couch Slouch”, “Violent Pacification” und “Five Year Plan” seien als Beispiele genannt. Kommen alle räudig und in dem Tempo, in dem man sie kennt und liebt. Und der Bass klackert so schön. Keine Klagen von meiner Seite, denn ich habe die Band schon wesentlich routinierter im negativen Sinn erlebt. Als sie zu ihren Hochzeiten sehr häufig auf Tour waren, wirkten sie manchmal etwas „blass“, heute aber stürzen sich Kurt Brecht, Spike Cassidy & Co. motiviert ins Geschehen.

Stefan: Und wieder denselben Weg zurück ins Zelt. Gar nicht mal so einfach bei den Bodenverhältnissen. Trotzdem kommen wir pünktlich zu D.R.I. an erleben einen äußerst unterhaltsamen und kurzweiligen Gig. Ich hab die Band noch nie live gesehen und bin jetzt auch nicht der allergrößte Fan, heute macht es aber extrem Spaß. Dem Mob vor der Bühne gefällt es auch und es gibt ordentlich Circle Pits. Daumen hoch.

Strecker: Nun heißt es schnell sein. Wir haben nur 15 Minuten Zeit, um von der Party Stage zur Headbanger Stage zu kommen, auf der D.R.I spielen. Vor allem Philipp will von dem D.R.I. Konzert nichts verpassen und setzt zum Dauerlauf an. Etwas außer Atem, aber pünktlich schaffen wir es und es hat sich gelohnt. D.R.I haben Lust auf das Konzert und so ist die Stimmung im Zelt gut.

 

DIMMU BORGIR

DIMMU BORGIR

 

Stefan: Philipp und ich beschließen uns erneut auf den beschwerlichen Weg zurück zum Hauptgelände zu machen, um uns eine kleine Klassiklehrstunde von Dimmu Borgir geben zu lassen. Die Band ist wie üblich sehr stylisch angezogen und einzelne Orchestermusiker probieren sich am Corpsepaint. Insgesamt eine sehr auf die Optik getrimmte Show. Die Musik ist anfangs ganz interessant, nutzt sich aber auch relativ schnell ab. Irgendwie ein bisschen zu viel Brimborium für meine Verhältnisse. Also zurück zum Auto, Bier verhaften.

Philipp: Ich bin ein Klassikbanause und mag die Verbindung von Metal und Klassik nicht so. Nun, bei DIMMU BORGIR ist der orchestrale oder sinfonische Aspekt immer zentraler geworden, allerdings eher im Stile cineastischer Soundtracks. Black Metal meets Harry Potter. Die jungen DIMMU BORGIR hätten sich 1993 sicher nicht träumen lassen, dass sie mal mit einem großen Orchester vor Zehntausenden Menschen performen würden. In chefmäßig designten Endzeit-Klamotten und unter stetigen Pyroeffekten und Funkenregen… Den ersten Titeln kann ich eine gewisse Faszination nicht absprechen und im Vergleich zu leblosen Projekten wie METALLICAs „S & M“ steckt hier sicherlich mehr Arbeit und Herzblut dahinter. Also „gut gemacht“, wie ein Banger neben mir fachmännisch urteilt... Aber der Effekt nutzt sich dann auch mal ab und als Stefan fragt: „Reicht, wa? Barbecue?“, bin ich dabei und wir steuern den Totenschädel an, der den Eingang zur Backstage-Brücke umrahmt.

Stecker: Auf dem Weg zurück in unser Camp machen wir noch kurz bei Dimmu Borgir halt, die heute mit Orchester spielen. Mir gefällt es überhaupt nicht und so geht es schnell weiter n Richtung Camp. 

 

AURA NOIR

Stefan: Nach kurzem Zwischenstopp am Auto vertraue ich Philipp und Magnus, die mir Aura Noir schon den ganzen Tag empfehlen. Was soll ich sagen? Einer der besten Tipps seit langem. Mehr METAL geht nicht! Schön räudiger, schneller Black-/Thrash Metal, der ohne Umwege mitten in die Fresse geht. Die Optik des Gitarristen/Sängers mit verspiegelter Porno-Sonnenbrille ist großartig, dazu sitzt/lehnt er die ganze Zeit auf einem Hocker. Macht der das immer so? Für mich das bisherige Highlight und es soll nur noch von Watain erreicht werden.

Philipp: Mensch, auch schon wieder fast Mitternacht… Aber jegliche etwaige aufkommende Müdigkeit nach einem so …äh… arbeitsreichen Tag wird von der black thrash attack AURA NOIRs sofort und KOMPLETT weggeblasen. DAS ist Metal! Auch optisch - der Gitarrist/Sänger mit der 70er-Jahre-Porno-Sonnenbrille gibt mir alles. Die Norweger sind so übertrieben schnell, dass sich jeder Song vor Speed zu überschlagen scheint. Ist das geil! Vor lauter Rübeschütteln verkleckere ich glatt mein Bier. Wenigen Bands gelingt es heutzutage, eine solch barbarische und chaotische Energie zu erzeugen, die an alte SODOM, POSSESSED oder DARK ANGEL erinnert. Vielleicht aktuell KETZER, DESASTER oder NEKROMANTHEON. Songtitel sind im Nachhinein schwer zu benennen, da ich im Zustand des metallischen Rausches auch keine Notizen tätige, aber „Destructor“, „Eternally Your Shadow“, „Black Thrash Attack“ und „Conqueror“ sind dabei, meine ich. Unsere gesamte Reisegruppe ist begeistert und wankt schwärmend gen Schlafsack.

Strecker: Nach einigen Erfrischungsgetränken geht es wieder Richtung W.E.T. Stage, auf der Aura Noir spielen. Auira Noir spielen dann ein sehr agiles Konzert und unterhalten mit ihren rohen Thrash-Songs gut. Passt gut zur Stimmung, die auf Grund des Wetters etwas gelitten hatte. Sollte für mich eigentlich auch das letzte Konzert des Tages sein, aber bei den Absackergetränken im Camp löst sich unsere Gruppe immer mehr auf und ich sitze irgendwann alleine da.

 

D.A.D.

Strecker: Das ist mir zu langweilig und so mache ich mich noch mal auf zum Gelände und gucke mir D.A.D. an, die mich auf der Kieler Woche schon überzeugt hatten.  Trotz der schon stark dezimierten Zuschauerreihen machen D.A.D. das Beste aus Ihrer Situation und überzeugen mit einer gelungen Songauswahl und Spielfreude. Hat sich gelohnt, dass ich mich noch mal aufgerafft habe und nun kann ich beruhigt ins Bett gehen.

Waaas

FORTSETZUNG FOLGT.... YOU BETTER BELIEVE IT!

Kommentare   

+2 #11 Necro Nico 2012-08-29 09:22
Haha dat mit dem rudern kannt ich auch noch nicht, find ich aber lustiger als die ganzen andern ausgelutschten Spielchen wie Wall of Death oder Circle Pits :P
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0 #10 DoctorJoyBoyLove 2012-08-28 16:25
Ich gebe Rollins recht, dass man die große Bereitschaft vieler Amerikaner_innen, zum Militär zu gehen nicht ohne den dortigen hohen ökonomischen Druck, die Perspektivlosigkeit und die dazugehörige PR-Maschienerie bewerten darf (was bei weitem ja nicht die einzigen Unterschiede sind, die da eine Rolle spielen mögen). Jede Verantwortung für so eine Entscheidung abzusprechen und Soldat_innen als nur als unterstützenswerte Opfer der Umstände zu sehen finde ich allerdings auch ziemlich irritierend.
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0 #9 bockfred 2012-08-28 09:06
Watt `n blödsinn, als wenn die truppen nicht ein wichtiger teil des krieges sind. Naja, über schräge ansichten die in amerika zum thema krieg gerne mal vertreten werden, gabs hier glaube ich schon genug diskussionen.
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0 #8 Leifer 2012-08-28 05:30
Ich hab 'nen Audiobook von Rollins, auf dem er von seinem Afghanistan-Auftritt erzählt... U.a. wird er da von 'nem Soldaten gebeten, doch bitte "seine Bombe" zu signieren (!) Die Platte ist voll mit scharfer Bush-Kritik. Am Ende bringt er es jedenfalls für sich auf die Formel "I am against the WAR, but I'm not against the TROOPS".
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0 #7 Leifer 2012-08-28 05:29
Ich hab 'nen Audiobook von Rollins, auf dem er von seinem er über den Afghanistan-Auftritt erzählt... U.a. wird er da von 'nem Soldaten gebeten, doch bitte "seine Bombe" zu signieren (!) Die Platte ist voll mit scharfer Bush-Kritik. Am Ende bringt er es jedenfalls für sich auf die Formel "I am against the WAR, but I'm not against the TROOPS".
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+1 #6 Philipp 2012-08-27 17:59
RUDER-ACTION! Nee, hatte ich wirklich vorher noch nie gesehen.

Von diesem Auftritt Rollins' hatte ich noch nichts gehört. In der Tat zwiespältig. Ich denke, dass wir viele Dinge, die Rollins tut, nur schwer nachvollziehen können...
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+1 #5 DoctorJoyBoyLove 2012-08-27 16:27
Diesen Support für die Truppen finde ich auch mit der Begründung mindestens höchst schwierig, aber der ist zumindest ganz gut: "Your commander would never lie to you," Rollins told the crowd. "That's the vice president's job."

Rollins recalled, "I watched the USO people and some officers go, 'Ohhhh, boy.' Some people laughed. Some glared at me. I couldn't help it, because (Vice President) Cheney makes me mad." http://www.usatoday.com/news/world/iraq/2005-12-22-uso-cover_x.htm
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+1 #4 DoctorJoyBoyLove 2012-08-27 16:19
Hier ist eine ganz interessante Interviewaussage dazu: http://theindiespiritualist.com/2012/02/13/the-angry-truth-an-interview-with-henry-rollins/

"TIS: Right, right…so one of the things you mentioned, which really impresses me, is all of the volunteer work you do with the troops, yet you’re still against the wars we’re involved in. Can you tell me where your reconciliation between the two is?

HR: Well for me, it’s more of a humanitarian thing. These guys are there…these guys and gals, let’s not leave out the ladies, they’re over there. They signed up for this, which probably wasn’t the best move, but America has put a lot of people into an economic straight where it’s not only a viable option, it starts looking like maybe the best option, and when the best option for a young person is basically playing Russian Roulette in Kandahar or Kabul, I think we need more options."
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0 #3 bockfred 2012-08-27 11:34
@Philipp: Ich dachte du als mensch der täglich 12 konzerte besucht kennt alles neue immer gleich als erstes, so neu ist das mit dem rudern garnicht: http://www.youtube.com/watch?v=HpVt_A-jm0w


Was mich mal interessieren würde: Wie ist das eigentlich mit rollins spoken words auftritt vor den u.s-truppen (war das im irak oder afghanistan,? weiss ich nicht mehr). hat er da kritische texte vorgetragen oder war das so eine scheiss "support our troops"- unterhaltungsnummer?
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+1 #2 DoctorJoyBoyLove 2012-08-26 22:53
oh - falscher Teil.
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