DEAF FOREVER #1 (Magazin, IN DUBIO PRO METAL)

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DEAF FOREVER


Im Januar 2014 gab es bekanntlich den großen Knall beim ROCK HARD. Es wurde angekündigt, dass Götz Kühnemund, Frank Albrecht und Andreas Himmelstein die Redaktion verlassen. Dem schlossen sich – z.T. aus Solidarität – ein gutes Dutzend weiterer ROCK-HARD-Schreiber_innen an. Für viele war das eine Überraschung, wenn nicht ein Schock. Natürlich lautete eine der häufigsten Fragen, ob diese Leute etwas Neues starten. Die Vorstellung, dass sie gemeinsam ein neues Magazin starten, schien fast naiv. Und doch ist genau das passiert: DEAF FOREVER ist da. Mit an Bord: Götz Kühnemund, Frank Albrecht, Wolf-Rüdiger Mühlmann, Sebastian „Leimy Leinberger, Andreas „Neudi“ Neuderth, Björn Thorsten Jaschinski, Andreas Schulz, Michael Kohsiek, Jakob Kranz, Kristina Walker, Johannes Paul Köhler, Volkmar Weber, Manuel Trummer, Oliver Weinsheimer, Christian „Bruder Cle“ Clementi, Peter „Brutus“ Habermann, Andreas Stappert, Axel Hermann, Andreas Himmelstein, Felix Patzig, Martin Brandt, Janina Reinhard, Alan Averill und Fenriz. Doch wie gut ist nun das Heft?




Mit derart großer Spannung wurde wohl noch kein Metal Mag erwartet. Titel und Cover-Layout bzw. die Wahl des Cover-Kings treffen schon mal voll auf die Zwölf, Sprüche wie „Schmeckt wie früher“ oder „Metal-historische Erstausgabe“ zeigen, dass die Schreiber_innen ihren typischen Humor nicht verloren haben.

Eine relevante Sache ist zunächst mal, was in einem derartigen Heft NICHT drin ist. Hier atme ich gleich mal auf: KEINE BÖHSE-ONKELZ-Reunion-Story. Überhaupt kein „Deutschrock“ (ihr wisst, was ich meine). Kein Mittelalter Metal, kein Nu Metal, kein Trollzeug, kein – okay, ist klar. Das DEAF FOREVER fokussiert sich auf alle „guten Richtungen im Heavy Metal“, wie Götz Kühnemund wohl sagen würde.

Um eine Art Fazit vorwegzunehmen: Insgesamt könnte man das DEAF FOREVER als eine Art Underground-Version des ROCK HARD bezeichnen. Es ist ja klar, dass die Mitwirkenden alle totale Freaks sind. Die werden hier vollständig von der Leine gelassen. Das ganze Heft ist voller nerdiger Listen mit Titeln wie „Auf diesem Album wäre ein Teichfrosch der bessere Sänger“, „Welches Album hat in diesem Jahrtausend am meisten enttäuscht?“ oder „The Best Of Canadian Steel“. Sehr schön, bitte noch mehr „Listenwahn“ in kommenden Ausgaben!

Die Auswahl der interviewten Bands mag nicht soo überraschen, da sie doch sehr auf aktuelle Veröffentlichungen fixiert ist, u.a. BULLET, OVERKILL, ACCEPT, BLUES PILLS, STEEL PROPHET, BLACK TRIP, MIDNIGHT oder STALLION. Hier könnte man in Zukunft zusätzlich noch etwas investigativer vorgehen und Bands/Musiker_innen ausgraben, von denen man lange nichts gehört hat. Geil ist wiederum der Ansatz im KING-DIAMOND-Interview, den Schwerpunkt auf die zahlreichen MERCYFUL-FATE-Bootlegs zu legen. Auf immerhin drei Seiten werden dann zusätzlich die „besten und wichtigsten MERCYFUL-FATE-Bootlegs“ vorgestellt. Super, das ist ein Beleg für die Leidenschaft der Beteiligten. Inhaltlich berührend ist das TIAMAT-Interview, welches die Standards „neue Platte, letzter Studioaufenthalt“ etc. umschifft, vielmehr berichtet Johan Edlund sehr offen über seine schweren persönlichen Probleme. Ein Highlight. Allerdings zeigt sich bei den Interviews auch eine alte ROCK-HARD-Schwäche: Zum Teil wird für meinen Geschmack bei kontroversen Aussagen nicht kritisch nachgehakt. Wenn z.B. der BÖLZER-Typ sagt, dass er es bedauere, dass das Symbol des Sonnenrades, die Swastika, „auf einen schlimmen Teil der deutschen Geschichte reduziert“ (S. 60) werde und „wieder befreit“ werden solle (ebd.), dann sollte man doch mit Fakten kontern, warum dies in Deutschland, Österreich und weiteren Staaten verboten ist oder mindestens darüber philosophieren, in welche Richtung noch heute der gesellschaftliche Konsens geht. Überhaupt könnten Musiker_innen etwas kritischer befragt werden.

Ein Schwerpunkt des Heftes ist das Länder-Special „Deutschland explodiert“. Ich mag derartige Specials allein deswegen, weil sie eine andere Perspektive auf erschienene Alben ermöglichen, sozusagen ein anderes Raster, welches dem Sammler ermöglicht, Platten zu entdecken, die ihm bei reiner Genre-Betrachtung unter Umständen entgehen. Und in der Tat hab ich mir aufgrund der Rezensionen „Die 50 besten deutschen Metal- und Hardrock-Alben“ ein paar Alben notiert. Auch hier etwas Kritik: Zum Teil jonglieren die Schreiber mir etwas zu sehr mit Superlativen und auch unnötig martialischer Wortwahl. Deutschland sei im Black Metal endlich „wieder Weltmacht“ (S. 21). Dieser „Frontjargon“ muss wirklich nicht sein. Auch nicht so schön: Die Unterzeile zum Bereich Death Metal „Der Tod ist (wieder) ein Meister aus Deutschland“ (S. 17). Das ist immerhin ein Zitat aus Paul Celans „Todesfuge“, welche den Mord an den europäischen Juden aufarbeitet. Sicherlich nur eine Unbedachtheit, aber doch unsensibel im Zusammenhang. Insgesamt aber ein sehr gut recherchiertes Special mit vielen Informationen und Interviews mit Musikern (Mille / KREATOR, Markus Becker / ATLANTEAN KODEX, Katte / ATTIC), Labelmenschen, Produzenten und Plattensammlern (Rainer Krukenberg).

Erfreulich kritisch fallen die Plattenkritiken aus. Die Höchstnote 10 wird lediglich einmal vergeben, die neue JUDAS PRIEST wird im Test von elf Redakteuren erstaunlich hart rangenommen.

Viele Elemente des Heftes sind natürlich aus dem ROCK HARD bekannt, z.B. „Maniac der Ausgabe“, „Forgotten Jewels“, History oder Seziertisch (jetzt: Earmageddon). Das ist völlig okay, denn die Betreffenden haben diese Rubriken z.T. ja miterfunden. Dennoch: Ein Neuanfang bietet generell ja eine Chance für Innovationen. Das DEAF FOREVER folgt rein strukturell (noch?) vielen traditionellen Pfaden: Erst die News, dann Interviews, Specials, Plattenkritiken und schließlich Live-Reviews. Warum nicht mal alles durcheinanderwürfeln und auf links bürsten? Oder noch weitere, völlig neue Rubriken entwickeln? Im PLASTIC BOMB gibt es z.B. diese „Anders Leben“-Serie. Es gibt doch sicherlich auch im Metalgenre Personen, die man nach alternativen Lebensentwürfen befragen könnte, die Typen von WOLVES IN THE THRONE ROOM mit ihrem Öko-Bauernhof beispielsweise oder die Jungs von BULLET, die zum Teil in Bauwagen leben (oder gelebt haben). Generell würde ich mir noch mehr Einblicke in persönliche Gedankenwelten von Musiker_innen wünschen, die über Produktionsdetails oder reine Fakten hinausgehen.

Die kritischen Aspekte habe ich jetzt auf sehr hohem Niveau angesiedelt. Ich respektiere diesen Neuanfang SEHR und habe die Lektüre des Heftes genossen. Pflichtstoff für Metal Maniacs und Plattensammler. Am wichtigsten ist vielleicht, dass man durch ein Mag/Fanzine zu Plattenkäufen animiert wird. Da habe ich einiges gefunden, z.B. CROSS VAULT (Doom im WARNING-Stil!), SAVAGE MASTER oder ORDER OF ISRAFEL. Insgesamt kann man sagen, dass die Maxime, die Oliver Weinsheimer auf seiner fb-Seite formuliert, voll erfüllt wird: „DEAF FOREVER ist wirklich mit Herzblut entstanden, ohne irgendwelche Zwänge von Labels oder Managern. Es ist das Ergebnis von uns positiv Verrückten, die einfach das gemacht haben, was wir am liebsten mögen... Philosophieren über unsere Lieblingsmusik.“

Weitere Details, die ich spannend fand: Fenriz berichtet vom Urlaub in Lübeck/Travemünde und geht natürlich im WoAnders shoppen. Neudis PRIEST-History, in welcher er auch auf einige Details der Drum-Recordings eingeht (bin gespannt auf den zweiten Teil, der ja mit PRIESTs Drumcomputer-Phase beginen müsste). Gerre und Bobby treten im „Battle Of The Records“ gegeneinander an, nette Idee. Die in „Forgotten Jewels“ besprochenen Alben haben hoffentlich weniger Leute vergessen, als Götz befürchtet…

Ab 13.08. am Kiosk.

https://www.facebook.com/deafforever







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