25 Jahre YACØPSÆ / 28.11.2015 – Hamburg, Markthalle

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Die Hamburger Lärminstanz YACØPSÆ feiert ihr 25 jähriges Jubiläum und hat dazu sechs weitere Bands eingeladen, die sie in ihrer Anfangszeit beeinflusst haben. So sollen am selben Abend auch RAZZIA, RAZORS, HOLY MOSES, BLOOD, CRIPPLE BASTARDS und ZZZ Hacker die Bühne der Markthalle betreten. Letztere müssen kurzfristig absagen. Dafür darf die „Nachwuchsband“ RESTMENSCH nachrücken. Damit gesellen sich zu den 25 Jahren YACØPSÆ für jede andere Band auch noch mal mindestens ebenso viele Jahre musikalische Erfahrung. Aber Punk hat ja zum Glück keine Altersbeschränkung, also war die Hoffnung auf einen unterhaltsamen Abend groß.

HOLY MOSES





Früh morgens, irgendwann so um 15 Uhr rum, strotzen wir also Richtung ZOB, wo uns ein Billigbusreiseunternehmen nach Hamburg befördern soll. Der Weg dorthin hält Freudiges bereit wie frische Plakate, die überall im Stadtbild zu finden sind und ein Ende der Repression gegen die PKK und somit auch ein Ende des generellen Kriminalisierung von Kurd*innen fordern. Neben Sängerknabenchören wird allerdings auch irgend so ein dämlicher Sportevent für Kiel gefordert, da kann mensch aber wohl auch gegen wählen gehen oder so…


Im Bus eingestiegen stellen wir fest, dass Glätteisen wichtig sind, um nicht auf die prekären Arbeitsverhältnisse von Müttern schließen zu lassen und auch ein vom Alltag abgekämpfter Busfahrer kann ein wenig Spaß an seinem Job finden, wenn er denn will. In Hamburg dauert es dann nicht lange, bis wir auf andere Freaks treffen, die so gammlig aussehen, dass sie eigentlich nur zum selben Konzi wollen können (oder in die Lobusch, wo später VLADIMIR HARKONNEN auftischen lassen). Ich war ja nun schon länger nicht mehr in der Markthalle und es hat sich was getan. Die Kasse und die Garderobe ist nun auf halber Treppe anzutreffen, das Personal ist freundlich und sogar die Sicherheitsmenschen gehen einem nicht auf die Nerven und sind bestens gelaunt. Gut so.


RESTMENSCH


In der Halle gilt es erstmal einige Plattenstände zu durchwühlen und wer will, findet hier unter anderem auch die BONEHOUSE “Knochenpogo” für’n Fünfer und auch einige Grindraritäten für wenig Geld nachgeworfen. Sympathisch auch, dass sie Bands selbst eher minimal mit Merch eingedeckt sind und nur das nötigste anbieten oder gar nicht erst was verkaufen wollen. Wer Oma also zu Weihnachten RAZZIA-Socken schenken wollte, muss weiter suchen. Für den Konsum war gerade noch genug Zeit, da ertönen erste Töne aus der sehr leeren Halle. ZZZ HACKER sollen jetzt eigentlich spielen, die Band sieht aber anders aus und klingt im positiven Sinne auch nicht so. Die Hacker haben wohl absagen müssen und stattdessen eröffnen nun RESTMENSCH den Abend. Statt Fußball- und Saufliedern gibt es also Songs wie “Hermann” über Deutschtümelei, “Willkür” - gegen Frontex oder “Unbeteiligte Rockband”, der von Stadionrock, rechtsoffenem Oi! Und Deutschrockscheiße handelt. Gradliniger deutschsprachiger Punk, ohne Schnörkel, locker und freudig vorgetragen. Wahrscheinlich ist die Bühne für RESTMENSCH etwas zu groß und in der Halle befinden sich auch erst ein paar handvoll Musikfreunde, die noch mit Begrüßungen und Getränke holen beschäftigt sind. Später am Abend wäre da sicher mehr gegangen, trotzdem eine gute Eröffnung der ganzen Angelegenheit.


CRIPPLE BASTARDS


CRIPPLE BASTARDS haben einen echt kackigen Bandnamen, sind abgesehen davon aber eine überaus sympathische Grindkapelle. Seit 27 Jahren wird regelmäßig neues Vinyl rausgehauen und neben Grindcore typischen Gore Texten geht es immer wieder gegen Polizei, Rassismus, Sexismus und die Scheiße des Alltags und damit einhergehende Depressionen und Hass auf die Gesellschaft. Die Setlist ist lang und geht kreuz und quer durch die Bandgeschichte. Vom anfänglichen Noisecore ist nicht allzu viel geblieben, dafür spielt die Band mittlerweile technisch routinierten Grindcore mit einigen Moshparts und Midtempo Hardcore Einlagen. Die Bühnenpräsenz ist dabei noch wirklich erwähnenswert. Die Band steht brav in einer Reihe auf der Bühne und wirkt meist angepisst und scheint trotzdem Spaß zu haben, während Shouter Giulio sich unentwegt das Mikro gegen die Stirn hält und leblos ins Publikum starrt. Gruselig. Übrigens sitzt seit letztem Jahr Raphael Saini am Schlagzeug, der nicht nur bei ICED EARTH gespielt hat, sondern unter anderem auch der Tourdrummer von MASTER ist. Nach gut einer halben Stunde und dem depressiven Stimmungshit “Stimmung!”, der übrigens sogar Ohohooo-Singalongs bieten kann, ist dann auch schon wieder Schluss. Wirklich lang hat aber eh keine Band gespielt. Bei CB war die Halle schon okay gefüllt, auch wenn es den ganzen Abend nie voll werden sollte. Angenehm für mich, für die Bands teilweise aber vielleicht nicht ganz so sehr.

RAZORS


Nach dem Geballer ging es in der Zeit noch weiter zurück. RAZORS aus Hamburg gibt es schon seit 77 und die Jahreszahl ist zugleich das Genre der Band. Angelehnt an ihre Vorbilder aus UK zocken die RAZORS auch heute noch diesen unveränderten und etwas öden Stil. Abgeklärt und entspannt werden einige Songs, die sie nach eigener Aussage auch schon 79 in der Markthalle gespielt wurden vorgetragen. Der letzte Song wird dann auch einem verstorbenen Bandmitglied gewidmet, was zumindest für Kenner der Band für Gänsehaut gesorgt haben sollte. Sympathisch, aber nicht mein Cup of Tea. Kurios wird es jetzt aber im Publikum. Während bei CB noch eine Truppe von aus Italien angereisten Grindfreaks den Pit dominierte, tanzen nun Altpunker*innen Dorfpogo oder beschwören mit ihren esoterisch angehauchten Gesten Erdgeister weit entfernter Länder. Gleichzeitig sucht eine andere nicht mehr ganz junge Dame Kontakt zu Männern aus ihrer Umgebung. Gleich mehrere werden zu erobern versucht und kassieren einige Fingerpiekser in den Penis. Unvergesslich auch eine Person mit selbstgehäkelten SLIME-Weihnachtspulli und einige Typen, die plötzlich anfangen in der Frontrow Erdnüsse zu snacken. Dabei werden aber auch die Nüsschen verputzt, die der Schwerkraft halber den Boden besudelt haben. Lecker!


BLOODBLOOD


Mit freundlicher Zurückhaltung ist danach erstmal Schluss. BLOOD dekorieren die Bühne mit Bannern und Backdrop, die Halle wird ordentlich eingenebelt und die Musiker besudeln sich vorsichtig mit Kunstblut. BLOOD lassen nun schon seit 1986 Körperflüssigkeiten fließen und gehören somit mit NAPALM DEATH und AGATHOCLES zu den dienstältesten Grindbands überhaupt. Trotzdem kann Schreihals Slaughter Geier mit kindischem Humor glänzen. Jeder Song wird extremer und trver angesagt, es geht natürlich um Blut und die Schandtaten der Kirche. Auch das Publikum wird ordentlich bepöbelt. Insgesamt viel zu dicke aufgetragen, da die Band selbst aber durchweg kichern muss, dennoch sympathisch. Da alle Musiker auch noch aussehen wie nette Familienväter, sorgt die Diskrepanz zwischen Musik/Texten/Auftreten und der Optik der Band bei mir für einige Lacher. Keine Band, die ich zu Hause auf den Plattenteller rotieren lassen würde, aber live eine sehr kurzweilige Sache.


Hunde, Hunde, Hunde. Überall nur Hunde. “Reborn Dogs”, “Finished with the Dogs”, “Hellhound” und weitere hündische Texte lassen darauf schließen, dass Sabina und ihre Livemusiker auf der Bühne stehen. Eigentlich hat das, was da auf der Bühne steht, ja nur noch wenig mit HOLY MOSES zu tun und auch über die äußerst zweifelswürdigen Fernsehauftritte von Sabina kann und sollte man sich kritisch äußern, nach ein paar Songs kommen die Thrasher langsam in Fahrt und auch das eher skeptische Publikum kommt in Fahrt. Mit “Panic” wird dann sogar noch ein cooler Antikriegssong zum ersten mal seit 20 Jahren performed und mit “Nothing for My Mum” noch ein weiterer der cooleren HM Songs. Überhaupt werden eigentlich nur Klassiker gespielt bis auf 1-2 Songs, die noch nicht mindestens 20 Jahre auf dem Buckel haben. Zum Abschluss gibt es dann noch das DEAD KENNEDYS Cover “Too Drunk to Fuck”, zu dem eine ranzige Horde die Bühne betritt und mitschmettert. Hätten ruhig ein paar Songs weniger sein können, letztlich wurden meine (zugegebenermaßen geringen) Erwartungen übertroffen.


RAZZIA


Der Abend kommt seinem Ende nahe und schon wieder tauscht sich das Publikum gefühlt komplett aus. Altgewordene, aber betont schick gekleidete Punker*innen gehobenen Alters finden sich vor der Bühne ein. Nach einem kurzen Soundcheck, der Sound ist übrigens den gesamten Abend über ziemlich gut, nur der Gesang ist meist etwas zu leise, geht’s mit angenehmen Understatement los. RAZZIA haben Bock, agieren dennoch eher introvertiert und spielen so ziemlich alle zu erwartenden Hits wie “Nacht im Ghetto”, “Arsch im Sarge”, “Schatten über Geroldshofen”, “Kaiserwetter”, “Als Haus wärst du ne Hütte” usw. Sogar das fünfeinhalb minütige Instrumental “In der Mentalkorrektur” und “Selbstgespräch unter vier Augen” von der eher künstlerischen “Menschen zu Wasser” Scheibe werden gespielt. Das dafür auch mal das Keyboard etwas mehr in den Mittelpunkt rückt, gefällt vor allem den etwas prolligeren Punks nicht, die meisten im Saal sind allerdings ähnlich wie ich von der Ausstrahlung und immer noch unverwechselbaren Stimme von Rajas Thiele begeistert. Beste Band des Abends und auf jeden Fall eines meiner Livehighlights des Jahres.


YACØPSÆ


“Danke, dass ihr hier seid. Wir haben Geburtstag und haben deshalb ein paar Bands eingeladen die uns beeinflusst haben.” Die Höflichkeit in Person ist Stoffel ja immer und diesmal ist er wirklich zuckersüß. Ändert natürlich nichts daran, dass YACØPSÆ wie immer infernalischen Lärm fabrizieren. Von den alten Stücken aus “Fuck Punkrock”, über “Einstweilige Vernichtung” bis hin zu den modernen Klassikern von “Tanz, Grosny, Tanz” werden alle Erwartungen und Wünsche erfüllt. Mehr Gepolter und mehr Verzerrung geht nicht. Abgehen sowieso nicht, da der Körper vor Lautstärke und Tempo kapituliert. Geil! Nach einer gefühlten Viertelstunde, die in Wahrheit vielleicht doppelt so lang war, ist der Spaß dann schon vorbei. Die drei YACØPSÆ werden unter Androhungen von Gewalt zwei mal zurück auf die Bühne gebracht und verfeuern nicht nur das RAZZIA Cover “Die Helden von Nordvietnam”, sondern auch ein eher ungewöhnlicher Song wird ausgegraben. Mit dem weihnachtlichen “Blind” gibt es nämlich als Rausschmeißer die einmalige Verbindung aus Hamburgerschule und dynamisch vorgetragenem Punk (mensch sagt nicht mehr Grindcore dazu).


Fazit: Geiler, teilweise verstörender Abend, den mir meine Ohren so schnell nicht verzeihen werden. Jede Band war für sich ziemlich gut, wenn auch nicht immer ganz mein Fall und zudem machte das positiv asoziale Publikum durchgängig Laune. Angemessene Geburtstagssause. Zurück nach Kiel ging es dann übrigens mit dem Auto. Erstmal nichts Aufregendes, aber der Horror ist wahr geworden. Die Autobahn hört in Neumünster auf und man muss da jetzt durchfahren. Horror. Wir haben es aber überlebt. In Kiel durften wir aber feststellen, dass man der Polizei niemals ihre Träume ausreden sollte, selbst dann nicht wenn sie ihr Auto als Passantin tarnen, die an der Ampel auf grün wartet. 


Fotos von der Vogelspinne und von Jan M-L folgen baldigst.




Kommentare   

+1 #2 Eisen 2015-12-05 12:20
is die E-Mail...
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+2 #1 Eisen 2015-12-05 08:11
Hallo!
Danke für das coole review.
Könnt ihr mir die Fotos von Blood in guter Qualität an die hier genannte E-Mail adresse schicken?

Blood sagen schonmal Danke!
Eisen + Blood
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