EA80, Oiro & Boy Division / 16.06.2017 - Hamburg, Schanzenzelt & 17.07.2017 - Hamburg, MS Stubnitz

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„EA80“, dachte ich, während ich mit Schacke Krüger im Frachtraum der „MS Stubnitz“ saß und durch die wackelige Ketten-Balustrade Martin „Junge“ Kircher beim Seelenexorzismus zuschaute, “an denen könnte man nochmal spaßeshalber den Punk-Katechismus durchexerzieren, vielleicht erschließt sich einem dann wieder mehr, was dieses PUNK nochmal gewesen sein soll.“ Der Löwenanteil ihrer beeindruckenden Diskographie kam im Eigenvertrieb auf den, naja, Markt. Seit Kurzem gibt es ein paar Reissues bei Major Label, und die neueste Platte wird ebendort erscheinen, aber für eine Band mit diesem Status, dieser Ausdauer und diesem Back-Katalog sind EA80 so D.I.Y. wie nur was. Keine Promo, keine Barcodes, keine Gema, kein Gehampel. Ursprünglich wollte ich diesen Lex, plump angelehnt an den Titel eines neuen EA80-Stücks, „Alte Schule Mönchengladbach“ nennen, aber das wird der Band nicht gerecht. „Alt“ stimmt sicherlich (im Sinne von „gealtert“), aber „Schule“? EA80 standen und stehen für sich allein, neben dem ganzen anderen Punkbetrieb, so wie The Fall oder Helge Schneider. Sie sind einfach immer dagewesen und darüber zeitlos geworden. Die Atmosphäre, die Ästhetik, der Sound, alles verläßlich, alles schwarzweißgrau. Auf dem Cover des Albums „2 Takte später“ (1985) gibt es einen Vermerk, daß diejenigen, „…die erwartet haben, daß wir für das Aufnehmen unserer 2. LP länger als drei Tage brauchen würden […]“, dahin gehen sollen, „…wo schon die hingehen sollten, die auf der Single die Soli, auf dem Sampler die Weiterentwicklung und auf der 1. LP ein Foto der Gruppe vermißten: zum Teufel!!!“ – und tatsächlich sind EA80 in all den Jahren technisch immer so ungefähr auf ihrem Level geblieben, haben sehr EA80-mäßige Songs geschrieben und ihre Platten binnen weniger Tage eingespielt. Was es in der Süddeutschen Zeitung am 07.10.1982 über die erste EA80-EP „Der Mord fällt aus“ zu lesen gab, stimmt im Kern immer noch: „Hier wird […] das alte Punkideal vom eigensinnigen „Punk for Punk’s sake“ aufrecht erhalten, ohne auf Plattenverträge und das vermeintliche große Geld zu schielen. Wer es vergessen hat: So war die Palastrevolution geplant, damals.“


An dieser Stelle macht es Sinn, nebenher auf die unüberschaubare Menge an Spezialveröffentlichungen zu verweisen: Singles, Flexis, abspielbare Eintrittskarten, fancy Schachtelware, Sondercover und anderes Gelöte, was es teils nur auf bestimmten Konzerten gab. Ich erinnere nur an die in Beton gegossene Split mit HAPPY GRINDCORE von vor ein paar Jahren, die bei mir zu Hause im unausgepackten Zustand einen herrlich rustikalen Tischventilator-Untersetzer abgibt. Fast scheint es, als wollten EA80 dem Komplettistenzwang und -statusgeheische ruheloser Plattensammler auf diese Weise auch noch ein Schnippchen schlagen und sich der totalen Archivierung entziehen.

Also: Unkommerziell, Unbestechlich, Unverwechselbar und Underground – Es scheint, als wären EA80 die PERFEKTE PUNKBAND. Und dann geht’s auf der Stubnitz Richtung halb eins, und ich höre Schacke sagen: „Zweieinhalb Stunden, nee, das hat nichts mehr mit Punkrock zu tun.“ Zum Teufel!!!

Auf dem Weg zum Schanzenzelt stoße ich auf Jörkk Mechenbier, was ja immer nett ist. Gespräch übers Nichtdrübersprechenkönnen, und ich lasse es mir nicht nehmen, die neue LOVE A ausdrücklich zu loben. Von da aus sind wir schnell bei der Faustregel „Ab 300 kommen die Arschlöcher.“ Wer hat das nochmal gesagt? War’s der Uhlmann? Wir wissen es nicht, aber ich kann zumindest vermelden, daß wir dann ja mit LaPaloma relativ stabil unterhalb der Arschlochgrenze rangieren/rangierten, was für Gelächter sorgt. EA80 werden an diesem und dem morgigen Abend jeweils an die 400 Leute um sich versammeln und damit theoretisch einen kleinen Batzen Arschlöcher mobilisiert haben. Aber Moment mal, kann das sein, daß eine so dermaßen unarschlochige Band Arschlöcher anzieht?

Am nächsten Abend, unter Deck, beantwortete ich diese Frage für mich mit „Ja“. Pogodancing ist am Ende des Tages eben doch nur besoffener Männersport und legitimierte Gewalt, vor allem, wenn man bald 48 ist und Angst um die Brille hat. Einer der generic Ausdrucksbullies brüllte zwischen 2 Stücken die ganze Zeit „AFD! AFD! AFD!“, was in der allgemeinen Euphorie so ziemlich unterging, und ich fragte mich danach, ob das so ´ne Art subversive Aktion sein sollte oder vielleicht doch ein hochexklusiver Punkrock-Geheimcode, von dem ich natürlich mal wieder keinen Schimmer hatte.

Am Zelteingang herumlungern und kucken. Ein Mann, von dem ich nicht weiß, daß er der Veranstalter beider Konzerte ist, fragt mich, ob ich zu EA80 gehöre. Ich hab ja auch immer schwarze Sachen an. „Nein“, antworte ich höflich, „aber ich bin bei der Band, die ursprünglich heute hier spielen sollte.“ „Na, dann gehörst du ja doch irgendwie dazu.“ Herzlich willkommen im Inner Circle, dabei dachte ich immer, Punk wäre in soziologischer Hinsicht so eine Art Volksmusik. Na gut, dann kann ich mir ja jetzt hochoffiziell den EA80-Soundcheck ansehen, aber sooo viel Interessantes passiert da eigentlich auch nicht, so daß ich mich glücklich schätze, bald von MichelNextMatch, der bei BOY DIVISION die Baßgitarre bedient, in den Backstage-Bereich geleitet zu werden. Mitten in die Har-Har-Konversation, die sich zwischen dreiviertel Boy Division und mir entspinnt, platzt die Nachricht, daß Helmut Kohl tot ist und verpufft auch sofort wieder in 2-3 Witzen, die vor allem Desinteresse und erst in zweiter Linie Zynismus oozen. Viel aufregender ist, daß ich bei Martin Kircher die „III“-LP-Box erstehen kann (Nr. 89/100). Jetzt besitze ich das 2., 3. und 4. EA80-Album jeweils zwei Mal auf Vinyl und dann noch jeweils auf CD, wie sinnvoll und bescheiden. Record collectors are pretentious arseholes.

Leider sind die ominösen „Testpressungen“ des neuen Albums ausverkauft, aber es gibt bereits die reguläre CD. Ich bringe das alles zum Auto.

Als ich zurückkomme, diesmal unter Umgehung der skinny drug dealers und ihrer teilnahmsvollen Erkundigung, ob „Alles gut?“ sei, haben Boy Division schon angefangen. Alle in schwarz mit roten Schlipsen, der megaphonschwenkende Sänger mit SA-Lookalike-Armbinde. Hat was, wie Bernd Bastro auf einem Midi-Pad und einem kaputten Becken stoische Beats peitscht. Ich bin noch zu reizüberflutet, um Originale rauszuhören (Is ja ´ne Coverband), das muß bis morgen warten. Draußen entdecke ich Bart Simmons, meinen alten Kupferstecher aus längst vergangenen Graue-Zellen- und Clash-undsoweiter-Jahren. Wir führen ein schwungvolles Gespräch. Darüber verpasse ich auch überwiegend die mir bis hierhin unbekannten OIRO, aber das ist ok für mich. Bin vollkommen Headliner-verrückt heute und morgen wahrscheinlich auch.

Draußen stehen und Bier trinken macht dumm, und deswegen sind nur sehr wenige Leute im Schanzenzelt, als EA80 loslegen. Junge hat die Bühne verlassen, steht gute drei Meter von mir entfernt und spielt das tonangebende Riff von „Sommerjugend“, diesem sich mehr als die meisten anderen SONIC YOUTH verdankenden EA80-Stück, das ich so sehr liebe. Mein bester Moment dieser zwei Tage und einer der besten Konzertmomente meines Lebens. Erst vor ein paar Tagen erzählte mir ein sehr guter Freund von seinen Erfahrungen mit Zen-Meditation und von seiner tiefen Sehnsucht, absichtslos im Hier und Jetzt zu sein, die ich teile. Und dieser Moment, in dem Junge „Sommerjugend“ spielt, ist genau so ein Moment. Die absolute Gegenwart. Das lärmende JETZT. Mir ist oft alles zuviel, oder ich finde alles Scheiße, aber in solchen Momenten spüre ich, daß ich lebe und daß das Leben großartig ist! Man erlebt sowas nicht oft. Vielleicht ab und an ganz kurz beim Selber-Musikmachen. Oder natürlich beim Gewürzgurkeneinwecken.

Es folgen ein paar schnellere Stücke, z.B. „Alle Ziele“ vom gleichnamigen 2001er Album. Martin Kircher hat seine begaffate Strat abgelegt und mischt sich unters mittlerweile dichtgedrängte Volk, singt mit verzerrtem Gesicht Leute an, singt in Trauben rein. Das hat eigentlich nichts von „Bad in der Menge“, eher was von „Junge konfrontiert uns mit sich“. Nach diesen Aktionen wirkt das Publikum wie wachgeschüttelt. Ob es deswegen die ganze Zeit quasselt? EA80 spielen „Tunnel“, und in Oddels allmählich vergehenden, swingenden Baßlauf am Ende des Stücks hinein beginnt Kircher, einen Satz zu wiederholen: „Und du hörst Stimmen…und sie sprechen…die ganze Zeit…Und du hörst Stimmen…und sie sprechen…die ganze Zeit…“ Vielleicht zehn Mal, was unter den gegebenen Umständen eine ganze Menge ist. Sensiblere Naturen spüren, wie subtil die Spannung steigt, die anderen quasseln weiter. Ich natürlich nicht. Ich habe ja auch niemanden zum Quasseln, bin allein hier, aber ich quassel auch nicht auf Konzerten, ich höre den Künstlern und ihrer Kunst zu.

Ich mag das, wie Martin Kircher an ausgewählten Stellen dafür sorgt, daß es nicht zu behaglich wird. Auch am Folgeabend wird er im letzten Drittel des Auftritts „…und quatschen…und quatschen…und quatschen…und quatschen…und quatschen…und quatschen“ skandieren, mit den Lippen am Mikrofon, so daß sein tiefer Bariton den ganzen Raum füllt. Selten, selbst auf Punkkonzerten (die aber mitunter ja auch nichts anderes sind als schmuddeligere Rockkonzerte mit weniger Eintritt) sah ich einen Frontmann, der dem Aspekt „Begegnung“ so viel Energie widmet, wie es dieser schwarz gekleidete Doc-Martens-Mann tut! Interessant auch seine Erklärung zur früh geäußerten Bitte eines Menschen aus der ersten Reihe, eines Bühnensoundhörers also, bitte den Gesang lauter zu machen: Es gebe da eine Reihe Faktoren, die mitunter nicht vollständig in Einklang zu bringen seien; z.B. Gitarrenlautstärken, die ab einem bestimmten Punkt der Textverständlichkeit im Wege stehen. Entscheidend sei aber, daß jeder in der Band sich wohlfühle. Ja, man sei hier, um sich wohlzufühlen.

Genau, eine Band ist ja kein Dienstleistungsunternehmen. Eine Band ist im Idealfall ein Haufen Leute, die zusammen mehr sind als die Summe ihrer Teile, sich selbst als Botschaft haben, und sie sind meist umso authentischer, je weniger sie sich an die Crowd ranschmeißen.

Viel Neues heute Abend. „Ramputage!“ sei ein Stück über ein Gefühl, für das es keine Bezeichnung gibt, bzw. die zur Verfügung stehenden Bezeichnungen möchte man einfach nicht benutzen. Dem Titel nach zu urteilen vielleicht ein Gefühl, das mit einem herben Verlust einhergeht, einem Verlust, der einen trifft wie eine Abrißbirne; vielleicht aber auch ein kathartischer Akt mit konvulsivischen Bewegungen der Seele, so lang und so erbarmungslos, daß das nicht Gewollte irgendwann metaphysisch ausgekotzt in der Wand verschwindet, gegen die man den eigenen Kopf geschlagen hat. „So hat dieser Schmerz sein eigenes Wort bekommen, einen Namen ganz für sich allein, und so habe ich Kontrolle über ihn gewonnen, und er wird nie wieder grausam zu mir“, lese ich im Booklet, bevor ich nach Hause fahre.

Gegen Ende zerschossen Mauls gerissene Saiten das Konzert ein wenig, hat man mal mit. Junge appellierte an diejenigen, die morgen auf der Stubnitz wären, Saiten mitzubringen. Und Gitarren! Ich nahm mir vor, nachher einen Satz D’Addarios einzupacken und ihn möglichst unfeierlich zu überreichen. „Fliegen“ war das letzte Stück. Ich erinnere mich außerdem an eine ausgezeichnete „Fort von krank“-Version. Der Rest der Setlist ist leider schon im Nebel verschwunden. Und an Martin Kirchers massives Bekenntnis zur Drogenfreiheit: Er sei ja auch an den Dealern vorbeigekommen, und sie hätten ihn gefragt, ob es ihm gutgehe. „Ja“, habe er gesagt und rahmt sein Gesicht mit 2 Mittelfingern ein“, FÜNFUNDFÜNFZIG JAHRE OHNE EUCH, IHR WICHSER. UND DAS SOLLTET IHR AUCH ALLE TUN, DANN SIND SIE NÄMLICH BALD VERSCHWUNDEN…“ – und im Wegtreten vom Mikrofon: „Das gibt Band-Schelte“…nicht nur das, diese Aussage kommt beim teils selber drogenabhängigen Publikum ob ihrer provokanten Überklarheit nicht durch die Bank gut an. „Wieso, der Basser kifft doch selber!“ rufe ich im Scherz, aber es geht unter und ist durch die Antizipation der Band-Schelte sowieso abegegolten.

22:00 Uhr, komplett anderes Ambiente: Gestern war wegen rigider Deadline Schluß, heute fangen EA80 gerade erst an. Boy Division setzten dresscodemäßig auf klassisches Schwarzweiß, ich erkannte „Teenage Kicks“, „Thunderstruck“, Sweet Dreams“, und Oiro gingen mehr noch als gestern an mir vorbei. Nicht meine Tasse Punk.

Ich verkaufe Bernd Bastro eine CHERUBS-Single zu einem Preis, mit dem ich garantiert kein Geschäft mache (Punk), und habe haufenweise Gesprächskontakt mit tollen Leuten. Schon die Hinfahrt mit einem etwas schlafdefizitären Matze Koch und den Lobecks, die sich auf dem Rücksitz ein paar Hülsen aufmachten, war das reinste Vergnügen. Wir parken etwas weiter weg und gehen unter einem dramatisch bewölkten gelb-grauen Himmel an der Elbe entlang auf die eigentlich ganz geile Skyline zu, Kräne, Kirchtürme, Häuser, Elblobotomie; zur Rechten eine Schutthalde, auf die sie eine Flüchtlingsunterkunft gestellt haben, schön weit weg von der vollverglasten Geldsphäre: Ballspielende Kinder, in Gruppen stehende Erwachsene, und wir gehen da so längs. Seltsames Gefühl.

Übers schaukelnde und metallisch klappernde Fallreep torkeln wir auf die MS STUBNITZ rauf, einen ehemaligen Fischtrawler, der von 1964 bis 1992 in der Ostsee auf Hering ging. Wenn man im Laderaum vor der relativ hohen Bühne steht, hält man sich quasi mitten in einem Riesenberg Fisch auf; mittschiffs eine Art Laufsteg, beidseitig mit Geländern versehen. Wer sich hier aufhält, hat den besten Blick zur Bühne. Mit seinem U-förmigen Balkon erinnert der Raum direkt an die „Fabrik“, nur dunkler, enger und vor allem metallischer. Die Treppen sind potentielle Todesfallen bei zuviel Besoffenheit. Der Mischer sitzt in einer Art Krähennest. Und es schwankt ganz sachte. Ich muß an Wolfgang Petersens „Boot“ denken, und mich überkommt ein wohliges Gefühl aus Apokalypse und Klaustrophobie. Hier sollte man mal gewesen sein.

EA80 eröffnen ihr heutiges Konzert so dermaßen druckvoll und emotional, daß ich mich frage, ob sie, vor allem natürlich Martin Kircher, dieses Erregungslevel durchhalten werden. „200 Meter und danach“, sowieso eins der besten Stücke in ihrem gewaltigen Katalog, ist ab dem ersten Akkord von geradezu verstörender Intensität. „ICH HATTE DICH GERN!“ brüllt Junge mit rotem Gesicht, wie unter Schmerzen. Ein Amoklauf von einem Punkrocksong. Der Mob fängt diese Energie auf und schleudert sie, vermengt mit dem eigenen Heißsein auf den Auftritt, zurück. In den Riesenberg Fisch. Die Leute fangen an zu kochen, es wird ruppig auf dem vorderen Ende des Laufstegs. Wie bereits klargestellt, macht mich dieser Pogo krank, und ich verlasse die Area. Würde gern vorn bleiben und die Band frontal abkriegen, aber der Baum-Modus, in dem ich 500 Knüffe pro Minute durchaus einstecken kann, schockt auf die Dauer nicht. Entweder ganz nach vorn zu Hagen Pahl, mit dem ich mich kurz vor Beginn übers Zwillingselterndasein austauschte, oder erstmal weg. Ich entscheide mich für „weg“ und stehe, wie das immer so ist, erstmal eine Weile an verschiedenen Orten im Weg und doof rum. Darüber verliere ich ein wenig den Anschluß ans Event. Kennt Ihr diese Typen, die sich großgewachsen und selbstbewußt ihren Weg durch die dichte Menge bahnen und dann genau vor Eurer Nase stehenbleiben, weil sie der Meinung sind, ihren Platz gefunden zu haben? So einer möchte ich nicht sein, und ich taste mich in diverse Lichtungen hinein, bis ich weiter hinten das Gefühl habe, bleiben zu können.

Ganz andere Setliste als gestern: Sie spielen „Auf Wiedersehen“, womit ich nicht gerechnet hätte, und sogar „5x4“ vom gleichen Album („Mehr Schreie“, 1987). „Irgendwo passiert ein Mord, an einem anderen Ort, doch was kann er schon dafür?“ Beklemmende Metapher, beinah kinderreimartig formuliert: Anderswo wird einer abgeschlachtet, und man selber stirbt an der eigenen Isolation. Das Leben ist grausam.

Und noch mehr von der „Schauspiele“ (1992), einer der besten EA80-LPs (Gibt es eigentlich weniger Gute? Vorher hatte ich mich mit Schrottgrenze-Alex unterhalten, der „Definitiv: Nein!“ für einen relativen Schwachpunkt hält; kann ich mitgehen, wenn auch nur im Nuancenbereich…Ich tendiere zu „Alles gut!“, wie es Bart Simmons ausdrücken würde): „Starr“ und „Keine Frage“, bei dessen geschaffeltem Intro Oddel rumsteht, als habe er vergessen, wie seine Lines gehen; war am Vorabend tatsächlich 2-3 Mal so, aber hier spielt er ja wirklich nicht mit. Keine Saitenrisse, Song reiht sich an Song, auch ganz Altes wie „Tot sind wir noch lange nicht“ dabei, mir wird es stickig und ich gehe an Deck. EA80 spielen „Balsam“, sogar mit Gast-Violinist, sozusagen das „Like A Hurricane“ der Band, ein Publikumsfavorit, Viele streben freudig in den Bauch der Stubnitz, ich fand das Stück immer eher okay und gehe davon aus, daß der Auftritt sich zum Ende neigt. Weit gefehlt, das Beste soll noch kommen.

EA80 spielen „Mantra“ von „Definitiv: Ja!“, dem neuen Album, das ich zwischen gestern und heute 5x gehört und für gut befunden habe. Daß der Band zwischendurch fast das komplette Equipment gestohlen wurde, geheimnisse ich mir da nicht raus. Die 2. EA80-Platte überhaupt, die gemastert wurde und das nach ca. 40 Jahren Existenz! WENN DU NICHT DA WÄRST, WÜRD´ ICH DICH VERMISSEN BIIHIHIIHIHIIHIHIIS ANS ENDE MEINER TAGE…“ – natürlich total von JOY DIVISIONs „Atmosphere“ geklaut, dieser Song, aber „Atmosphere“ ist ja ein überaus schönes Stück Musik, und wenn man sowas vernünftig klaut, wird da ja wieder was Schönes draus.

Dann „Trashfest“. War schon für gestern eingeplant, wie ich der Setliste, die Andere schneller entwendeten als ich, entnehmen konnte, aber es kam nicht mehr dazu. Das andere überdurchschnittlich Sonic-Youth-beeinflußte EA80-Stück und wiederum einer meiner ewigen Lieblinge; überwiegend schlagzeuglos, und Junge bedeutet Sascha, der den regulären Drummer Nico heute wie gestern nach der Hälfte des Standardsets ablöste, die Akzente auf dem Ride wegzulassen. „In dieser Stunde, in dieser fremden Stadt, fanden die Gedanken ein Zuhause und setzten sich ab von allem Wirrwar, Chaos und Einerlei, das zwischen den Menschen und sicher uns zweien, sein Unwesen treibt und nicht atmen läßt“ – Ich fand an EA80 immer gut, daß die Texte eher einen literarischen Gestus haben. Laut „Scheiße!“ brüllen kann schließlich jeder. Ein Song über die Sehnsucht nach dem/der Anderen, nach Schlaf und Klärung in Zeiten innerer und äußerer Aufgewühltheit. „Die Stärke des Kaffees macht die Nacht zum Tag, die Gedanken sind zuhause und lösen sich ab, mit dem Wunsch zu schlafen und nah bei dir zu sein, ganz anders als jetzt, und so ganz allein, zwischen Kneipen, die schließen und Menschen halbtot.“ Wenig später steigt Junge herab von der Bühne, begibt sich in den Pit und torkelt mit leerem Blick darin herum, als könne er unmöglich irgendwo andocken, als sei er der Welt abhandengekommen. Dieser Typ sucht keine Nähe, er zelebriert paradox die Distanz. Was ihn natürlich eher noch interessanter macht. Inmitten all der Menschen halbtot. Das Stück steigert sich über Saschas eskalierenden Toms und Becken, bis es im Feedbackgeheule vergeht. Eigentlich könnte jetzt Schluß sein.

Aber nein, es gibt noch und wieder „Sommerjugend“! Ich fasse es nicht, schwärme Schacke brüllend ins Ohr, wie weltklasse ich diesen Song finde, und dann, als Letztes: „Grab X“. Schon in früheren Abschnitten dieser denkwürdigen Show malträtierte Martin Kircher seine Gitarre, z.B., indem er sie gegen eine der links und rechts von seinem Platz die Decke stützenden Metallsäulen dergelte, daß man dachte: „Aua, die Bünde!“; aber während sich auch dieser Song in eine klingelnde Kakophonie hineinsteigert, scheint er das Instrument endgültig loswerden, eher noch sich austreiben zu wollen. Er nimmt es ab, schleudert es herum, übergießt es mit Wasser, reißt nebenher sein Pedalboard in Stücke (Ich muß bei diesem Anblick „Junge und Technik“ denken, was nur so halb paßt, schon klar) und läßt die Gitarre schließlich auf den Boden der Bühne fallen, die er dann endlich verläßt. Der ganze Raum ist Krach, unendlich reflektiert und metallisiert von den Wänden der Stubnitz. Meine Ohren flaggen halbmast, und ich kämpfe mich nach oben. Matze Koch will los. Ich bin beschallert. Ich werde Tage brauchen, bis ich das verarbeitet habe.

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