ROCKSPEKTAKEL XXX mit BLUES PILLS, THE VINTAGE CARAVAN, HORISONT / 09.09.2017 – Hamburg, Rathausmarkt

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HÄ? Wieso wusste ich davon nichts?

Dieser Gedanke überfiel mich, als ich nach einer entsprechenden Info beim letzten BLUES-PILLS-Auftritt in Kiel über das ROCKSPEKTAKEL recherchierte. Denn ich fand folgendes heraus: Nicht nur sollen die geschätzten Schwed*innen für lau in Hamburg mit HORISONT und THE VINTAGE CARAVAN spielen, nein, bei dieser Veranstaltung handelt es sich um ein jährlich stattfindendes Event. Und – jetzt kommt’s – das diesjährige ROCKSPEKTAKEL ist bereits das dreißigste! WTF? Ich kann mich noch erinnern, 1987 zum ersten Mal zum DYNAMO gefahren zu sein (das war das Jahr mit u.a. TESTAMENT, DESTRUCTION, EXUMER, STRYPER und VENGEANCE) – wir sagten damals, dass es unvorstellbar sei, dass ein derartiges Rock’n’Roll-Open Air mitten in einer deutschen Stadt durchgezogen werden könnte (das Dynamo fand damals noch mitten auf dem Marktplatz von Eindhoven statt). Und nun stelle ich fest, dass genau das der Fall ist, und zwar seit dreißig Jahren! Umsonst! Ich frage mich, warum ich und andere davon bisher null mitbekommen haben. Haben da nur völlig uninteressante Bands gespielt? Dieses Jahr muss jedenfalls von einem äußerst geschmackvoll zusammengestellten Billing gesprochen werden. Schade nur, dass ausgerechnet heute auch ULI JON ROTH (übrigens ebenfalls umsonst) auf dem Stadtteilfest in Billstedt zockt, den wir natürlich auch gern gesehen hätten. Verrückterweise ist dann ja noch das STONES-Konzert im Stadtpark, weswegen der Zug vollgestopft mit Konzertgänger*innen ist.

THE VINTAGE CARAVAN

Fotos von Dennis Otto und Meike.



 
Die Fahrt verläuft entspannt und der Rathausmarkt ist schnell erreicht. Als wir ankommen, ist gerade eher wenig los, denn viele Gäste waren durch den mittäglichen Regen durchnässt und sind erst mal abgehauen, um sich trockene Klamotten zu holen. Uns ist es vergönnt, überhaupt keinen Regen mehr abzubekommen, anfänglich ist es sogar angenehm warm, später ohne Sonne wärmt dann nur noch der Rock’n’Roll! Während der ersten Band, die wir sehen, füllt es sich zusehends, wobei vor der Bühne des Rathausmarktes den ganzen Tag über kein Gedrängel zu beklagen ist. Die Location erweist sich als überaus geeignet für'n Rockfestival, denn gerade die zahlreichen Lichter des Rathauses sowie das olle Gemäuer selbst sorgen für 'ne geile Atmosphäre.
 

THE WAKE WOODS fallen den zahlreichen Begrüßungen zum Opfer, die nun im Sekundentakt erfolgen. Was ich mitbekomme, klingt okay, aber im Gegensatz zum Titel des Festes eher unspektakulär. Aber auch nicht grottenschlecht. Die Berliner gehen grob gesagt in die Indie/Garage-Richtung und haben sicher alle Scheiben von den HIVES zu Hause. Der Sänger ist nicht so der Ansagenkönig, so haben THE WAKE WOODS zum Beispiel einen Song namens „Blow Up Your Radio“ (oder ähnlich) und den darin enthaltenen Imperativ schwächt er durch den Zusatz „natürlich gilt das nicht für Delta Radio“ ab. Pff, nur weil die das Ding hier präsentieren? Da hätte man doch gerade mal charmant angreifen können. Ansonsten gibbet gute Refrains, ein paar coole Bassläufe (überhaupt geiler Basssound!) und generell einen erbaulichen Mitwippgroove auf der Habenseite.


HORISONTHORISONT
 

Das erhoffte Spektakel kommt dann aber, und wie! HORISONT übertreffen sich selbst und zaubern einen Auftritt auf die Bretter, der mich nachhaltig flasht. Der Sound ist perfekt und so perlen die Gitarrenläufe nur so aus der Anlage. Ich hab die Band zwar schon seit dem Debut immer wieder gesehen, aber SO gut waren sie live noch nie. Der verstärkte Einsatz der Orgel verleiht den Songs eine erhabene Aura. Endgültig nicht von dieser Welt sind die Vocals von Axel Söderberg, die sich scheinbar mühelos in höchste Höhen schrauben und so manche Schlaghose flattern lassen. Aaaaaah! „Odyssey“, „Electrical“ (wäre früher ein Hit geworden), „Writing On The Wall“, „The Unseen“, „Boston Gold“ oder “The Hive” verkörpern die perfekte Symbiose aus RUSH, UFO, early PRIEST, THIN LIZZY und frühen SCORPIONS. Warum dieser Auftritt noch besser ist als eh schon von HORISONT gewohnt? Erstmal kommt Axel Söderberg mit der Doppelbelastung Gesang/Keyboard deutlich besser klar, teilweise bedient der Sänger das Ding nebenbei mit einer Hand, ohne auch nur hinzusehen. Und dann sind schlicht die Songs der beiden letzten Alben derart großartig, dass im Classic-Rock-Genre eigentlich keine andere junge Band mehr mithalten kann. Auf der letzten Tour hatte ich noch etwas das Gefühl, dass HORISONT sich mit ihren eigenen Kompositionen ordentlich etwas zu knabbern gegeben haben, mittlerweile flutscht, rollt und groovt alles mit einer Magie versprühenden Performance. Sensationell!


BesucherHORISONT
 

Die drei verrückten Isländer Oskar, Alexander und Stefan gehen im Vergleich basischer vor und setzen eher auf schwer rockende Grooves denn auf zwingende Gesangslinien. Ich finde, dass ihnen ein wenig die ganz großen Songs fehlen. Auch ist ihr Stil und wie sie ihn interpretieren nicht völlig unverwechselbar. Während man die Nadel auf irgendeine Stelle der fünf HORISONT-Alben setzen könnte und die Band sofort identifizieren könnte, fällt das bei THE VINTAGE CARAVAN schwerer. Aber das ist jetzt natürlich auf sehr hohem Niveau „gemeckert“, denn auch dieser Auftritt macht Spaß wie Sau. „Midnight Meditation“, „Craving“ und „Expand Your Mind“ machen sehr viel Dampf – Oskar Logi (g, v) und Alexander Örn (b) rennen wie immer von einer Bühnenseite zur anderen und rempeln sich wohl eher nur durch Glück nicht über den Haufen. Mir fällt auf, wie dynamisch die Band spielt: Da sind Passagen, in denen VC regelrecht lospeitschen, um dann auch wieder ganz entspannte blueslastige Parts zu zocken. Auch hier geht der Daumen also letztlich klar nach oben, kann mir auch vorstellen, dass einige Leute diese Band am besten fanden.


BLUES PILLSBLUES PILLS
 

Für mich bleibt das Tageshighlight HORISONT, obwohl natürlich auch BLUES PILLS für restlose Begeisterung sorgen. Es ist bereits mein viertes Konzert der „Lady In Gold“-Tour und die Band überzeugt abermals durch Spielwitz, Bock und ihre erstaunlichen Fähigkeiten. Elin Larsson könnte heute etwas lauter abgemischt sein, aber mehr fällt mir an Kritik dann auch wirklich nicht ein. Ellenlange Jams, ein gut aufgelegter Sorriaux, Killerversion von „Little Boy Preacher“ – da schmeckt sogar das Beck’s, welches die Bierstände feilbieten. Übrigens gibt es keinen Zaun oder so, der den Rathausmarkt absperrt. Von daher hätte man sich den Rucksack mit Humpen befüllen können, aber der Bierverkauf finanziert die Veranstaltung. Trinken für den Rock! Elin Larsson springt und rennt unermüdlich über die Bühne und scheint diesen Sport mittlerweile so gewöhnt zu sein, dass sie dabei weder aus der Puste gerät noch überhaupt ins Schwitzen gerät. Meine Setlistfaves sind heute die sehr emotionale Version von „Little Sun“, das gut gelaunte „Somebody To Love“ und der Rauswerfer „Devil Man“, den Elin mit beeindruckendem Stimmvolumen in die mittlerweile kühle Abendluft pustet. Diese Band wird mir wohl nie über sein.


BLUES PILLS

 
Auch der Rückweg gestaltet sich problemfrei, wobei wir echt Glück haben, Sitzplätze ergattern zu können, denn natürlich nehmen tausende von STONES-Besucher*innen denselben Zug. Viele tragen das Merch in Tüten mit sich und wenn ich recht sehe, gibt es sogar Plastiktüten mit Rolling-Stones-Logo drauf, also quasi wie in einem Supermarkt… Anyway, zum ROCKSPEKTAKEL würd ich wieder fahren, wenn das Billing stimmt.

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