Claudio Simonetti’s GOBLIN / 29.03.2018 – Hamburg, Gruenspan
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- Kategorie: Berichte aus dem Pit
- Veröffentlicht: Freitag, 30. März 2018 11:53
- Geschrieben von Philipp Wolter
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Ungewöhnlich: Einerseits befinde ich mich in einer Konzertsituation, die wie gewohnt einem Familientreffen gleicht. Andererseits scheinen sich die Familienmitglieder in einer fremden Sprache zu unterhalten (beim besoffenen Onkel fällt das nicht weiter auf, der lallt immer so), die mir unbekannt ist. Den Grund dafür will ich gleich gern eingangs in einem Coming-Out nennen, um nicht etwaige Erwartungshaltungen zu enttäuschen:
Ich habe keine Ahnung von Horrorfilmen. (Habe in meinem ganzen Leben vielleicht zwei oder drei gesehen.)
Die Hinfahrt mit dem Zug verläuft amüsant, werden wir doch immer wieder gefragt, ob wir auch entweder zu METALLICA oder zu BLACK LABEL SOCIETY fahren wollten, wir daraufhin mit der Antwort hinreichend zu irritieren vermögen. Das Gruenspan füllt sich schnell und ist zu Beginn von GOBLIN sehr gut gefüllt, aber angenehmerweise auch nicht vollgestopft. Es sind viele Diehards angereist, zum Teil recht weit, ich komme mit Freaks aus München, Essen und Karlsruhe ins Gespräch.
Kurz vor Beginn ist eine gewisse Spannung im Raum förmlich zu greifen. Nach einem kurzen Briefing über den weiteren Verlauf des Abends betreten die Musiker*innen unter Applaus die eingenebelte Bühne. Im Hintergrund werden natürlich Szenen aus den entsprechenden Filmen gezeigt. Der Sound ist hervorragend und setzt die exzellenten Fähigkeiten der vier Bandmitglieder gut in Szene. Generell kann die Musik GOBLINs als progressiver Siebzigerrock bezeichnet werden und für mich gibt es immer wieder Aha-Momente, erkennt man doch wiederholt den Einfluss, den GOBLIN ganz gewiss auf eine Band wie GHOST in Sachen Melodieführung als auch Instrumentierung ausgeübt haben muss. Da ist der Meister himself zu nennen, der auf dem Niveau von Don Airey die Keyboards bedient, mal richtig schwere Orgelsounds ins Gruenspan stemmt, mal trippige und schrille Akkorde zockt, zu denen im Hintergrund namenlose Protagonist*innen in ihr Verderben stolpern.
Das Zusammenspiel ist exzellent, alle vier finden zu unerwarteten Breaks und Tempiwechseln zusammen. Der Schlagzeuger wird an exponierten Stellen mit einem Bassdrumgewitter von der Kette gelassen, spielt aber meist sehr akzentuiert und teilweise jazzig. Auch Gitarrist und Bassistin lassen die Instrumente fliegen und erinnern mich stilistisch hier und da an KING CRIMSON und EMERSON, LAKE & PALMER. Gesang gibt es nur in seltenen Ausnahmen, wenn eine weibliche Sopranostimme schauerlich aus der Dose schmettert.
Simonetti geleitet charmant durchs Programm, stellt die Bandmitglieder vor und erzählt etwas zu den Stücken bzw. den entsprechenden Filmen. Hartnäckig ins Ohr bohrt sich das Hauptthema von „Suspiria“, welches sogar vom Publikum mitgekrächzt wird. Hier offenbart sich auch der wieder der Einfluss auf extremere Metalbands, siehe allein diese Melodie am Schluss von ENTOMBEDs „Left Hand Path“ (hier: "Phantasm"-Soundtrack).
Am Schluss geht die Band aus sich heraus, fängt wild zu jammen an und die strahlenden Gesichter der Musiker*innen zeigen, dass sie gerade diesen Teil der Darbietung sehr genießen. Progressiv, faszinierend und fordernd im besten Sinne! Ich vernehme auch später nicht eine einzige negative Stimme, sondern einhellige Begeisterung über das über zweistündige Konzert.
Simonetti erweist sich abermals als charmant und plaudert über die Vorliebe der Band für analoges Equipment und dessen Grenzen, die Zusammenarbeit mit Dario Argento und andere Themen, zu denen auch Gäste Fragen stellen können. Der Film wird dann in englischer Synchronisation gezeigt und in einer Fassung, in der laut Info Teile des beschädigten Originals restauriert wurden. Die Synchro klingt teilweise etwas steif, woran man sich aber mit der Zeit gewöhnt. Jetzt dürfte ich immerhin in derselben Situation sein wie 95% der Anwesenden: Auf richtiger Kino-Leinwand dürfte kaum jemand den Streifen bisher gesehen haben können. Eins ist schnell klar: Mit gängigen Hollywood-Erzählmustern hat das hier zum Glück wenig zu tun. Gerade im Kontrast zu heutigem CGI- und 3D-Bullshit wird die Liebe zum Detail, zu ungewöhnlichen Perspektiven und Kamerafahrten deutlich. Da werden Figuren z.B. plötzlich aus seltsamen Blickwinkeln gezeigt, aus einer Glühbirne oder einem Spiegel heraus. Und die Musik erhöht den Grad der Verstörung wesentlich! Teilweise ist es geradezu schwer erträglich (für mich zumindest), wenn die Handlung in Schockmomenten zu schrillen Tönen kulminiert. Mit dem Soundtrack zusammen ein liebevoll kreiertes und geradezu surreales Kunstwerk!
In den kommenden Nächsten werde ich wohl erst mal mit dem „Suspiria“-Thema im Kopf einschlafen…