Claudio Simonetti’s GOBLIN / 29.03.2018 – Hamburg, Gruenspan

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Ungewöhnlich: Einerseits befinde ich mich in einer Konzertsituation, die wie gewohnt einem Familientreffen gleicht. Andererseits scheinen sich die Familienmitglieder in einer fremden Sprache zu unterhalten (beim besoffenen Onkel fällt das nicht weiter auf, der lallt immer so), die mir unbekannt ist. Den Grund dafür will ich gleich gern eingangs in einem Coming-Out nennen, um nicht etwaige Erwartungshaltungen zu enttäuschen:

Ich habe keine Ahnung von Horrorfilmen. (Habe in meinem ganzen Leben vielleicht zwei oder drei gesehen.)

Mit diesem Background stehe ich heute mit ziemlicher Sicherheit vollständig alleine da, handelt es sich bei Claudio Simonetti doch in Horrorfilmfankreisen geradezu um eine Legende: Der italienische Musiker hat für Werke von Dario Argento, Lucio Fulci etc. die Soundtracks komponiert. Obwohl mir Filme wie „Dawn Of The Dead“, „Suspiria“ oder „Opera“ unbekannt sind, sind mir diese Namen dann doch ein Begriff. Und ich bin mir natürlich auch bewusst, dass gerade diese 70er Horrorfilme einen enorm wichtigen Einfluss auf Heavy Metal (den Bezug zu BLACK SABBATH muss man nicht näher erläutern) und auch Subgenres des Punk (-> MISFITS, ist klar) ausgeübt haben. Das Medium Film ist halt generell nicht so mein Ding, ich mochte aber schon immer die Ästhetik gerade dieser alten Streifen. Richtig interessant wird die Sache für mich insofern, als dass Claudio Simonetti die Soundtracks im Rahmen einer richtigen Band kreiert hat, eben GOBLIN (im „Suspiria“-Abspann auch THE GOBLINS betitelt), die in verschiedenen Besetzungen und mit Unterbrechungen seit 1974 existiert und in jüngerer Zeit wohl auch auf dem ROADBURN, dem NETHERLAND DEATHFEST und dem MUSKELROCK gespielt hat.


 

Die Hinfahrt mit dem Zug verläuft amüsant, werden wir doch immer wieder gefragt, ob wir auch entweder zu METALLICA oder zu BLACK LABEL SOCIETY fahren wollten, wir daraufhin mit der Antwort hinreichend zu irritieren vermögen. Das Gruenspan füllt sich schnell und ist zu Beginn von GOBLIN sehr gut gefüllt, aber angenehmerweise auch nicht vollgestopft. Es sind viele Diehards angereist, zum Teil recht weit, ich komme mit Freaks aus München, Essen und Karlsruhe ins Gespräch.


Kurz vor Beginn ist eine gewisse Spannung im Raum förmlich zu greifen. Nach einem kurzen Briefing über den weiteren Verlauf des Abends betreten die Musiker*innen unter Applaus die eingenebelte Bühne. Im Hintergrund werden natürlich Szenen aus den entsprechenden Filmen gezeigt. Der Sound ist hervorragend und setzt die exzellenten Fähigkeiten der vier Bandmitglieder gut in Szene. Generell kann die Musik GOBLINs als progressiver Siebzigerrock bezeichnet werden und für mich gibt es immer wieder Aha-Momente, erkennt man doch wiederholt den Einfluss, den GOBLIN ganz gewiss auf eine Band wie GHOST in Sachen Melodieführung als auch Instrumentierung ausgeübt haben muss. Da ist der Meister himself zu nennen, der auf dem Niveau von Don Airey die Keyboards bedient, mal richtig schwere Orgelsounds ins Gruenspan stemmt, mal trippige und schrille Akkorde zockt, zu denen im Hintergrund namenlose Protagonist*innen in ihr Verderben stolpern.

 

Das Zusammenspiel ist exzellent, alle vier finden zu unerwarteten Breaks und Tempiwechseln zusammen. Der Schlagzeuger wird an exponierten Stellen mit einem Bassdrumgewitter von der Kette gelassen, spielt aber meist sehr akzentuiert und teilweise jazzig. Auch Gitarrist und Bassistin lassen die Instrumente fliegen und erinnern mich stilistisch hier und da an KING CRIMSON und EMERSON, LAKE & PALMER. Gesang gibt es nur in seltenen Ausnahmen, wenn eine weibliche Sopranostimme schauerlich aus der Dose schmettert.

 

Simonetti geleitet charmant durchs Programm, stellt die Bandmitglieder vor und erzählt etwas zu den Stücken bzw. den entsprechenden Filmen. Hartnäckig ins Ohr bohrt sich das Hauptthema von „Suspiria“, welches sogar vom Publikum mitgekrächzt wird. Hier offenbart sich auch der wieder der Einfluss auf extremere Metalbands, siehe allein diese Melodie am Schluss von ENTOMBEDs „Left Hand Path“ (hier: "Phantasm"-Soundtrack).

 

Am Schluss geht die Band aus sich heraus, fängt wild zu jammen an und die strahlenden Gesichter der Musiker*innen zeigen, dass sie gerade diesen Teil der Darbietung sehr genießen. Progressiv, faszinierend und fordernd im besten Sinne! Ich vernehme auch später nicht eine einzige negative Stimme, sondern einhellige Begeisterung über das über zweistündige Konzert.

 
Die Organisation muss man unbedingt extra loben: Neben schicken Hardtickets erhält man gewebte Bändchen mit GOBLIN-Logo, für die Besitzer*innen des „Profondo Rosso-Tickets“ gibt’s ‘nen feudalen Shuttle-Bus zum Savoy, wo nun erst ein Interview mit der Band erfolgt und dann „Suspiria“ gezeigt wird. Das Kino ist klasse, so ein richtig geräumiges Ding mit klassischem Ambiente gekoppelt mit moderner Technik. Das Interview führt ein Filmexperte namens Christian Keßler.
 

Simonetti erweist sich abermals als charmant und plaudert über die Vorliebe der Band für analoges Equipment und dessen Grenzen, die Zusammenarbeit mit Dario Argento und andere Themen, zu denen auch Gäste Fragen stellen können. Der Film wird dann in englischer Synchronisation gezeigt und in einer Fassung, in der laut Info Teile des beschädigten Originals restauriert wurden. Die Synchro klingt teilweise etwas steif, woran man sich aber mit der Zeit gewöhnt. Jetzt dürfte ich immerhin in derselben Situation sein wie 95% der Anwesenden: Auf richtiger Kino-Leinwand dürfte kaum jemand den Streifen bisher gesehen haben können. Eins ist schnell klar: Mit gängigen Hollywood-Erzählmustern hat das hier zum Glück wenig zu tun. Gerade im Kontrast zu heutigem CGI- und 3D-Bullshit wird die Liebe zum Detail, zu ungewöhnlichen Perspektiven und Kamerafahrten deutlich. Da werden Figuren z.B. plötzlich aus seltsamen Blickwinkeln gezeigt, aus einer Glühbirne oder einem Spiegel heraus. Und die Musik erhöht den Grad der Verstörung wesentlich! Teilweise ist es geradezu schwer erträglich (für mich zumindest), wenn die Handlung in Schockmomenten zu schrillen Tönen kulminiert. Mit dem Soundtrack zusammen ein liebevoll kreiertes und geradezu surreales Kunstwerk!
          
In den kommenden Nächsten werde ich wohl erst mal mit dem „Suspiria“-Thema im Kopf einschlafen…

Kommentare   

+2 #4 Steven Frame 2018-04-11 11:17
Starke Bilder!
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+2 #3 JanML 2018-04-10 16:45
Jetzt auch mit Fotos!
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+2 #2 Philipp 2018-04-04 18:45
Sehr interessant, Danke!

2019 wird es übrigens eine ähnliche Veranstaltung geben. Die Crew um Oliver Lange holt Fabio Frizzi nach Hamburg.

Aus der Info:

"LaSy GbR , DEADLINE - DAS FILMMAGAZIN, Plattenkiste, Venal Virulent, Hard To Get - Horror präsentieren
Frizzi 2 Fulci

Am Gründonnerstag 2019, am 18.04.2019 wird der legendäre Soundtrack Komponist Fabio Frizzi sein erstes Live Konzert in Hamburg geben.
Vorverkauf 29,00 € plus VVK Gebühren
Fantickets bei Plattenkiste und bei Eventim


„...E tu vivrai nel terrore! L'aldilà“ So manch einer wird sofort eine bestimmte Musiksequenz mit einem hypnotischen Chorus im Kopf haben, sobald er den vorangegangenen Filmtitel liest: "Dove sorge creatura?". Fabio Frizzi hatte es tatsächlich geschafft, den perfekten Soundtrack für die surreale Bilderwelt des Lucio Fulci zu kreieren. Die Zusammenarbeit mit Fulci begann aber schon 6 Jahre zuvor. Damals noch als Trio „Bixio Frizzi Tempera“ auftretend, sammelte Frizzi wertvolle Erfahrungen im Filmbusiness. Er fand in Fulci nicht nur einen Mentor, sondern auch echte Herausforderungen in frühen Jahren, denen er sich in den unterschiedlichen Genres des Regisseurs stellen musste.
Die Zusammenarbeit zwischen Fulci und Frizzi fing mit der Komödie „Dracula in Brianza“ an, bevor es weiterging mit dem wunderbaren Western „I quattro dell'apocalisse“, gefolgt von dem hervorragenden Thriller (Giallo) „Sette note in Nero“, dessen Filmmusik zum Klassiker wurde und bei dem sich auch Quentin Tarantino bedient hat („Kill Bill Volume 1“). Nach dem nächsten Western „Sella d'argento” löste sich das musikalische Trio auf und fortan arbeitete Frizzi allein verantwortlich. Gleichzeitig veröffentlichte Fulci in dieser Zeit eine Reihe von Genre Klassikern. Für viele Fans der Filme “Zombi 2”, “Paura nella città dei morti viventi“, „Il contrabbandiere”, den bereits erwähnten „..E tu vivrai nel terrore! L'aldilà“ und „Manhattan Baby“ bildet der jeweilige Soundtrack mit der visuellen Darbietung eine fast schon magische Einheit. Fabio Frizzi wird nun zum ersten Mal in Hamburg seine „Frizzi2Fulci“ Show darbieten. Wie es sich für eine Aufführung von Soundtracks gehört, wird die Musik durch berühmte (und vielleicht auch einige berüchtigte Szenen) aus den jeweiligen Filmen begleitet."

https://www.facebook.com/events/179664492667389/
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+2 #1 Neffets Mharf 2018-04-04 16:30
Christian Keßler, guter Typ! Ich hatte früher ein paar Jahre das "Splatting Image" im Abo, und da waren seine Artikel (viel über abseitige Filmgenres und Perlen des "besonderen" Geschmacks) immer die Unterhaltsamsten. Da brauchte man sich die besprochenen Filme gar nicht anschauen (was angesichts ihrer Obskurität wohl auch schwierig geworden wäre). Keßlers Texte haben dicke gereicht! Seine Homepage (www.christiankessler.de) ist auch mindestens einen Anchecker wert.

BLACK SABBATH benannten sich übrigens nach dem Horror-Episodenfilm "I tre volti della paura" ("Die drei Gesichter der Furcht", 1964), der in GB unter dem eigentlich überhaupt nicht passenden Titel "Black Sabbath" lief. Als Regisseur zeichnet ein anderer großer Italiener mit Faible und Talent für mehr oder weniger seltsamen Grusel: Mario Bava. Dario Argento hat ihn als wichtigen Einfluß benannt. Bavas bekanntester und schönster Horrorfilm dürfte "Die Stunde wenn Dracula kommt" (1960) sein, dessen englischer Titel "Black Sunday" war. Da erschien es wohl aus kommerziellen Gründen naheliegend, mit heißer Nadel einen äußerlich kompatiblen Titel an "I tre volti della paura" ranzuhäkeln, nach dem Motto: Hauptsache irgendwas mit "Black".
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