TRAGEDY, LIFE-SUCKER, URIN / 11.09.2018 - Berlin, SO36

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Tragedy spielen im legendären wie altehrwürdigen SO36! Also hin da! Keine Ahnung, wem das wie aufgefallen ist (vermutlich HC Olli), da ansonsten keine Auftritte der Band in Deutschland geplant waren. Tragedy nennen zudem weder eine Homepage noch eine blöde Facebook Seite ihr Eigen. Hin und zurück geht‘s mit der Bahn für jeweils 19,90, aber auf beiden Strecken bleibt der ICE später liegen. Komischerweise wird auf der Hinfahrt im Zug noch nicht gesoffen – das erste Bier gibt es tatsächlich erst in Berlin. Ein Opfer gibt es dennoch im Vorwege zu beklagen: JanHL, Konzertphotograph und Labelboss aus Kiel, hat einen Muskelfaserriss und muss zu Hause bleiben. Also machen wir uns nur noch zu zweit auf den Weg.


TRAGEDY





Local Support hatte das SO36 angekündigt. Das muss nicht immer schlecht sein. Wie ist`s heute?


URIN


Urin aus Berlin dürfen als erste Band des Abends dem Publikum vermitteln, was ihnen alles nicht gefällt. Aber werden die Probleme hier und jetzt nur benannt oder bietet die Truppe um die schreiende Sängerin Urinella(?) auch Lösungsvorschläge an? Keine Ahnung – wie so oft versteht der Zuhörer kein Wort. Wir rätseln zuerst, ob die Sängerin ihre Texte in Englisch oder Deutsch lautstark artikuliert – später erfahren wir, dass es in Polnisch ist. Das gibt natürlich einen extra Punkt für die vorhandene Innovativität – aber auch ein gebürtiger Warschauer würde es wohl nicht verstehen. Ein Kompliment an die Stimmbänder, aber mehr als Geschrei ist das wirklich nicht. Dazu springt sie mal mehr und mal weniger energisch über die Bühne, derweil im Hintergrund einfach nur geschrammelt wird. Ok, besser eine Stunde mal geschrammelt, als wieder nur den ganzen Tag gegammelt – ein Satz, den wohl jeder Punk Rock Musiker kennt. Das Ganze klingt jedoch seit 30 Jahren immer gleich und hängen bleibt nichts. Gespielt werden Stücke von dem in diesem Jahr erschienenen Demo, wobei mir vermutlich „Powloka“ und „Rozczarowania“ noch am wenigsten auf die Eier gingen. Subjektiv muss ich sagen, ich fand Urin P*sse, aber im Publikum gab es hier und da auch Applaus.


Life-Fucker kommen ebenfalls aus Berlin und haben es immerhin schon auf eine Demo, eine 12“ und eine EP gebracht. Ähnlich wie bei den Urins gibt‘s Krach im Fahrwasser des 80er Jahre HC Punk. Nicht mehr oder weniger. Hier brüllt diesmal ein durchaus exotisch anmutender Sänger auf Englisch, der auch noch mit einer „Feuershow“ den Auftritt beginnt. Da werden die Becken des Schlagzeugs mit einer brennbaren Flüssigkeit befeuchtet, in Brand gesetzt und anschließend prügelt der Drummer weiter auf sie ein als wären sie ein Wahlplakat der NPD. Oder es wird die Haarspray Dose hervor geholt, das Zippo entzündet und der Flammenwerfer gemacht. Die Kommentare im Publikum reichen von „geht so“ bis „so mittel“. Berliner Publikum, schwieriges Publikum- das weiß jeder Konzertveranstalter in Hamburg. Ich hatte mal Ramstein als Vorband der Ramones in den Docks gesehen. Da kannte sie noch keine Sau. Als sich der Sänger da selbst anzündete, war das schon ein Oberkracher und sorgte für große Augen vor der Bühne. Natürlich waren die Ramones im Anschluss viel geiler und Ramstein ist seit Jahrzehnten nur Kommerz K*cke– aber das ganze war doch ne andere Nummer. So knüppeln sich Life-Fucker also durch ihr Set, der eine in der Band ist frustriert, der andere angepisst und noch einer voller Hass. Jedes Lied klingt wie das davor. Irgendwie hat man das alles von Poison Idea oder diversen anderen schon deutlich besser gehört. Keine Melodie, einfach nur hämmernd nach vorne und dazu wütendes Gebrüll – so klingt es auch, wenn die Schwiegermutter in spe zu Besuch ist und die Treppe herunter stampft. Aber alles immer noch besser, als wenn die Bühne in der Zeit leer gewesen wäre.


Was jetzt aber kommt, entschädigt für alles. Das SO36 ist natürlich ausverkauft. Dichtgedrängt steht inzwischen das schwitzende und (im Gegensatz zu den meisten Veranstaltungen in Hamburg) sehr internationale Publikum in dem engen aber langgezogenen Saal.


Flyer 


Tragedy reißen dieses ab der ersten Sekunde derart mit, dass sich sofort ein Mosh Pit bildet und bis zum Konzertende bestehen bleibt. Stagediver erklimmen unentwegt die Bühne und springen ins Publikum zurück. Nicht nur das erinnert an mighty Bolt Thrower im Schlachthof in Bremen. Auch der Sound ist ähnlich. Unvorstellbar fett, brachial, massiv knallt es hier aus den Boxen. Rhythmus Gitarre, dröhnender Bass und treibendes (aber oft nicht überschnelles) Schlagzeug verweben sich zur einer undurchdringlichen Wand. Ab und zu legt sich dann noch die Lead Gitarre darüber und schwebt über dem alles verschlingenden Malstrom aus schweren Riffs. Abwechselnd ächzen und gurgeln Todd wie auch Billy ihre Vocals - stumpfes Gegrunze ist dies aber nicht und auch hier muss ich Parallelen zu Karl Willets ziehen. Natürlich spielt die Band aus Portland, OR keinen Death Metal, aber Hardcore ist Tragedy auch nicht. Zu groß ist der Metal-Anteil an Riffs und (kurzen) Solos – hier wird allerbester Crust ins Publikum gebrettert.  


TRAGEDY


Und dieses geht mal richtig ab – ständig werden Fäuste nach oben gereckt oder die Texte mitgebrüllt, besonders bei Stücken wie „Darker Days ahead“ oder „The Hunger“. Keine überlangen Ansagen unterbrechen die Chose, ein Lied folgt dem anderen und nur die gedämpfte Bühnenbeleuchtung erhellt schwach die düstere Halle. Hier kommt alles zusammen, was ein geniales Konzert ausmacht: Eine super Akustik, eine Band, die hemmungslos ihre geilen Tracks durchrotzt und ein durch Lübzer Bier in Stimmung gebrachter Mob vor der Bühne….und natürlich auch Sozialkritik….die hatte ich fast vergessen.


Wer braucht da noch eine extra Light Show, Tänzer, eine tolle Bühnen Deko mit Wikinger-Schiff aus Pappmarché oder ein sich in die Luft erhebendes Schlagzeug? Keiner! Hier geschieht das Raue, das Ursprüngliche – dies sind die Klänge, zu denen sich die Steinzeitmenschen vor Äonen bereits nach erfolgreicher Mammut-Jagd am Lagerfeuer versammelten. Dort entschlossen sie sich sodann, sesshaft zu werden und Crust-Bands zu gründen (und fortan nur noch Lumpen zu tragen).


Tragedy spielen vom gerade erst auf dem eigenen Label erschienen Album „Fury“ die Stücke „Enter the Void“, „Kick and Scream“ sowie „Swallow the Pill“. Nach 12 Liedern gibt es noch genau eine Zugabe – Vengeance knallt uns um die Ohren – aber immerhin. Normal ist Schicht, wenn die Band die Bühne verlassen hat. Von mir aus hätten sie allerdings noch eine Stunde länger spielen können, aber nichtsdestotrotz lieferten Tragedy (für mich) bisher eines der besten Konzerte des Jahres ab.

Einziger Kritikpunkt: EUR 15 für eine CD und EUR 20 für eine Platte ist für eine DIY Band schon mal eine Ansage….aber egal. Hauptsache sie kommen irgendwann wieder über den Teich!


Setlist


Hernach ging es auf das RAW-Gelände und zum Berghain. Warum allerdings auf ersterem absolut keine Stimmung war und wir in letzteren nicht herein gelassen wurden, ist an sich schon einen weiteren Bericht wert.

Kommentare   

+1 #1 Klöter 2018-09-17 21:25
Warum die euch ins Berghain micht reinlassen wollten ist klar: Ihr seid zu jung!
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