JENNY DON'T AND THE SPURS / 13.06.2019 – Kiel, Julius' Saloon

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"Der wilde, wilde Westen fängt gleich hinter Hamburg an", textete mal eine ominöse Trucker Band aus Seevetal-Maschen.

Da dieser Ort bekanntlich südlich von Hamburg liegt, muss er zudem - wenn sich der Schreiber jener Weisheit zum Zeitpunkt ihrer Entstehung dort aufhielt - "vor" Hamburg liegen. Dies bedeutet, "hinter" Hamburg liegt einzig Schleswig-Holstein. Und da in unserem Bundesland im Allgemeinen weniger los ist als am Karfreitag in Deadwood, South Dakota, ist mit dem wilden, wilden Westen sicherlich und ausschließlich Kiel gemeint.

Ein Beweis für diese Theorie ist zweifellos der heutige Auftritt von Jenny Don´t and the Spurs im Saloon der Kieler Schaubude. Also rein in die Cowboy Boots, den Stetson ausgepackt und das Pferd gesattelt.

 

JENNY DON'T AND THE SPURS

 

Jenny Don´t ist für den geneigten Leser längst keine Unbekannte mehr. Mit "Don´t", einer wirklich guten Punk Band aus Portland, OR, war sie bereits öfter in Kiel zu Gast als Torfrock auf der Kieler Woche. Ich erinnere mich an zwei (oder waren es drei?) Konzerte in der Schaubude und ein weiteres bei Meiers. Letzteres war so super, dass wir am nächsten Abend noch zusätzlich ins Hafenklang gefahren sind. Dies natürlich klimafreundlich mit der Bahn.

Am Bass heute Abend Kelly Halliburton, den einige sicherlich noch von den grandiosen P.R.O.B.L.E.M.S. kennen. Hier muss ein kleiner Scherz eingestreut werden. Auf die Frage, ob er heute Abend mit zu P.R.O.B.L.E.M.S. käme, antwortete ein Kumpel mal: "Ich habe selber genug Probleme! Ich würde lieber mal eine Band sehen, die sich S.O.L.U.T.I.O.N.S. nennt." Ok, war vielleicht Situationskomik und zündet hier nur bedingt. Außerdem spielt(e) Kelly bei Pierced Arrow, die nun wirklich jeder außer mir kennt.

Diese Portland-All-Star-Group rundet Sam Henry ab. Ja, von dem Wipers!, höre ich euch sagen. Aber das ist nicht alles. Der inzwischen 104-jährige spielte auch Schlagzeug bei The Rats, The Fats, Napalm Beach, Napalm Death, Poison Idea, Black Flag, Madball und 62 weiteren Bands. Ich hoffe, ich bin da nicht durcheinander gekommen. Da verliert man schnell den Überblick.

Last but not least Christopher March, der im perfekten Cowboy-Hat-with-Boots-on-Style daher kommt und so ne doppelte Gitarre sowie ein anderes komisches Instrument spielen wird, dessen Namen ich nicht kenne. Steht auf so nem Ständer, hat Saiten und gibt jaulende Töne von sich.

Jetzt aber der Reihe nach! Ich erreiche also den Saloon und habe gerade meinen alten Wallach „Jolly Jumper“ festgebunden, da öffnet sich bereits die Tür der Bude und ein mir bekannter Gringo offenbart mir, dass sich mit meiner Ankunft die Zahl der Besucher gerade verdoppelt hat. Dies stimmt allerdings nicht ganz, rechnerisch korrekt sind 50% dazu gekommen. Wie viele waren also schon da? Dies beantworte ich hier nicht, sondern empfehle zur Lösung dieser Aufgabe, Freitags einfach mal wieder in die Schule zu gehen. Oder bei Herrn Wolthers privat anzurufen. Der unterrichtet zwar keine Mathematik, aber bei der Berechnung, wie viel jeder der 5-köpfigen Reisegruppe zu blechen hat, wenn das Länderticket 40 Euro kostet - da liegt er bis auf 1-2 Euro Differenz pro Person schon recht Nahe am richtigen Ergebnis.

 

Da drinnen die Thumbleweeds von einem heißen Wind hin und her geweht werden, gesellt sich vor dem Eingang noch der gerade erschiene, knautschgesichtige Inhaber des VVK-Tickets mit der Nummer 1 zu uns (ich habe Nummer 2), der Barkeeper und zuletzt die Band. Jene gibt sich nichtsdestotrotz gut gelaunt und wir tauschen geiles Gesülze aus. Kelly berichtet, dass P.R.O.B.L.E.M.S mit dem Tod des Sängers (R.I.P.) ebenfalls Geschichte sind. Jenny erklärt uns, mit Don´t sieht es nicht viel besser aus. Gerade in den USA haben sie mit der Country Schiene eben mehr Auftrittsmöglichkeiten und Rechnungen bekommen wir alle täglich.

 

Sicherlich ist auf der anderen Seite des Teichs für diese Art von Musik auch der Zuspruch größer. In Kiel tut sich nicht mehr viel. Wir rätseln, ob es eine Meuterei am Schlangenfluss gab, es in der Wik gerade 12:00 Uhr mittags ist oder ob die Komandschen in der Bergstraße erneut das Kriegsbeil ausgegraben haben.

 

Da keiner mehr kommt (unsere Rauchzeichen waren vergebens), geht’s also rein in den Bums und die Chose beginnt ohne weitere Umschweife oder Vorband.

 

Ich bemerke gerade, dass diese Konzertkritik bisher recht ausschweifend geworden ist - die langen liest eh keiner und ich muss gleich noch den Rucksack für Süd Korea packen...daher:

 

Das Ganze geht mehr als flott ab und auf Western Balladen wird verzichtet. Im Up-Tempo Bereich geht es um Schießereien auf dem Boot-Hill oder am O.K.-Coral, ein Viehtrieb nach Schweinfurt wird besungen oder auch die große Sehnsucht nach dem Oregon Trail. Das Leitmotiv – in Country Gitarre und den Lyrics fest eingewebt – ist die Open Range. Erbarmungslos und immer noch punkig bearbeitet Kelly seine Bass dazu, während für eine Handvoll Dollar Sam Henry zwar keine Blast Beats spielt, aber weit ab von laaaaaangweiligem US Billboard Chart Country die einzelnen Lieder nach vorne prügelt.

 

Natürlich ist da noch Christopher March – ein Wyatt Earp Lookalike par excellence– vor dem selbst Billy the Kid die Winchester ´73 senken würde. Immer wieder wechselt er das Instrument und ist von allen auf der Bühne noch der klassischste Country Musiker.

 

Jenny Don´t überzeugt im roten Cowgirl Outfit, kleinen Side Step Tanz Einlagen und vor allem mit ungebremster Spielfreude. Ihr ist es egal, ob hier nur 4 Zuschauer anwesend sind oder ob sich 400 hier versammelt haben. Ganz großes Kino, das mit lautem Jubel der Anwesenden goutiert (Frage an die Redaktion: Wurde dieses Wort hier schon einmal benutzt?) wird.

 

Die Setlist wird natürlich bis zum Ende durchgespielt und selbst eine Zugabe erhalten wir. Leider ist es nicht das von allen Anwesenden geforderte „Jolene“ - von diesem kennt nur einer in der Band den Text und er versichert uns, wir würden ihn nicht singen hören wollen – aber der Ersatz dafür ist auch super.

 

Vielleicht muss sich der Veranstalter hier den Vorwurf gefallen lassen, im Bereich Marketing und Public Relation - ähnlich der ICB vor einiger Zeit – durchaus Nachholbedarf zu haben. So war das Konzert nicht mal auf der eigenen Homepage angekündigt und einige Gespräche am folgenden Tag ergaben, dass durchaus mehr Interesse bestand – jene aber von dem Konzert einfach nichts wussten.

 

Vor allem für die Band finde ich es persönlich sehr schade, da alle Musiker auf der Symphatieskala von 1 bis 10 mindestens eine 12 erreichen. Und geil abgeliefert haben sie auch. 곧 뵙겠습니다

Kommentare   

+2 #1 smeerlapp 2019-06-21 03:38
Das Lesen des Berichts war auf jeden Fall schonmal ein guter Start in den Tag!
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