HOTEL KEMPAUSKI, KNUD VOSS, THE SUPPORTERS / 14.06.2019 – Kiel, Schaubude

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HOTEL KEMPAUSKI sind genau die Band, die Kiel gefehlt hat. Gäbe es sie nicht, müsste man sie erfinden. Warum das so ist, versucht der folgende Bericht zu begründen. Wahrscheinlich vergeblich, aber Scheitern ist irrelevant.

 

 

Dabei hätte ich das im Februar 2018 noch gar nicht gedacht. Damals spielte die Band noch ohne Namen auf der Überraschungsparty zu Schrammis 40. Geburtstag zusammen mit NOM, TYPHOON MOTOR DUDES und MOMS DEMAND ACTION (folgt dem Schlagwort unten, um zum entsprechenden Bericht zu kommen). Ich schrieb u.a. dazu: „Dass Schrammi selbst auch in einer Band tätig ist, wusste ich gar nicht. Ich frage JoyBoy, wie die denn heißen. Der nu: ‚Schrammi hat mir den Namen gesagt, aber ich hab ihn wieder vergessen, was er genau so vorhergesagt hat. Daher sollte ich mir TOKIO HOTEL merken. Der echte Name klang so ähnlich.‘ TOKIO HOTEL also, läuft als Name doch. Fast krasser als die Musik ist aber eine Personalie: Ist es ein Vogel? Ein fucking Flugzeug? Nein, da steht echt Herbert von den DISTURBERS am Bass, das ist somit sein erster Auftritt seit dem DISTURBERS-Abschied 2008! Die Musik ist erstaunlich schnell und wütend, Schrammi kreischt gefühlt ununterbrochen. Worum es wohl in den Texten geht? Schrammi stellt klar, dass die Band jedenfalls aus Bausparpunks in der Midlifecrisis bestehe. Ich glaube, irgendwann spielen sie ein BLACK-FLAG-Cover, vielleicht hätte ich das in dem Moment aber auch einfach gerne von ihnen gehört.“ Mittlerweile wissen wir: Die Band heißt tatsächlich fast so wie TOKIO HOTEL, in den Texten bekommt JEDE*R aufs Maul, der oder die es verdient hat, das BLACK-FLAG-Cover wird tatsächlich gespielt („Police Story“) und mittlerweile haben die Bausparpunks nicht nur auffem Rd-Rock und Wlwarin gespielt (Berichte folgen), sondern auch ein Debutalbum veröffentlicht, dessen Existenz es heute zu befeiern gilt.

 

 

Zunächst erledigen THE SUPPORTERS das, was ihr Name verspricht. Diese Band habe ich gerade erst im Februar gesehen, hatten wir doch in der Troika SUPPORTERS – KNUD VOSS – VLADIMIR HARKONNEN einen gemeinsamen Auftritt in Itzehoe. Gezockt wird Hardcore/Punk mit Rock’n’Roll-, Metal- und Punkeinflüssen. Heute erscheinen sie mir etwas fokussierter, straighter und zackiger als beim ersten Mal. Der Gesang gefällt, da schön rotzig und melodisch. Man merkt, dass KNUD VOSS, HOTEL KEMPAUSKI und THE SUPPORTERS schon mehrfach zusammen gespielt haben, feuern doch alle drei Bands heute Sprüche in Richtung der Genossen ab. Die Hütte füllt sich zusehends, die Frühankömmlinge fühlen sich augenscheinlich bestens unterhalten.

 

KNUD VOSS werden wohl noch einige Zeit damit leben müssen, dass ihnen Bandnamen aus dem Jensen-Universum als Vergleiche um die Ohren geworfen werden. Auch TURBOSTAAT und KEINE ZÄHNE IM MAUL, ABER LA PALOMA PFEIFFEN  kommen mir in den Sinn. Aber es gibt Schlimmeres, wat ist gegen gute neue Songs in diesem Genre einzuwenden? Andrés Stimme klingt genehm knurrig, die Texten lassen immer aufhorchen (ich bin schon gespannt auf die LP, welche ein genaueres Studium dieser lyrischen Ergüsse ermöglichen wird). Auch hier pöbelt Band gegen Band und die gegenseitige Liebe wird spürbar. Wie schon die SUPPORTERS gefallen mir KNUD VOSS besser als in Itzehoe, aber dieses neue Jugendzentrum, in dem wir da zusammen gespielt hatten, war auch viel zu steril.

 

Schon vorm Auftritt ernte ich die LP und den Büddel („Problemstorch Ronny“) im Bundle zum Spezialpreis ab. Man merkt jetzt schon: Hier sind Profis am Werk, die wissen, wie man’s macht. Aber ohne jegliche Ironie: Es ist schon erstaunlich, wie rasant sich HOTEL KEMPAUSKI seit dem Geheimauftritt entwickelt haben! Die Band versprüht eine ansteckende Intensität und hat – z.B. in der Gitarrenarbeit – jetzt schon einen eigenen Charakter. Es steckt viel alte Schule HC/Punk drin, aber auch aktuellere Bands wie meinetwegen AFFENMESSERKAMPF. Und obendruff halt Schrammi, der hochcharismatisch schreit, brüllt und tobt. Die Texte: spot-on. So spricht Schrammi auch heute wieder aus, was viele denken und disst öffentlich die Combo THE KLEMPINS für ihren BÖHSE-ONKELZ-Support-Auftritt. Ihnen sei der Song „Rechte Spießer“ gewidmet, denn sie stinken wie Deutschland, „komisch… / Irgendwie säuerlich aus dem Mund / und gegoren unter der Achsel… / Faulig und schwer“. Ebenso akkurat textet Schrammi in „Metaphern, maritim“ über Jack Letten bzw. ERIK COHEN: „Der Brustton der Übertreibung, gemeinsam sind wir dark, / Das Ende der Enthaltsamkeit, Autogrammstunde im Park. / Phrasensport und Gleichnisse, jetzt wird endlich verdient. / Im Spätwerk endlich anerkannt mit Lorem Ipsum-Poesie / Und im Zweifel ist es Kunst / Das ist alles, Metaphern, maritim.“ Hier muss ergänzt werden, dass Schrammi Letten als Mensch schätzt, sein musikalisches Schaffen respektiert/mag, aber die Erik-Cohen-Texte und das Bandimage halt fürchterlich findet. Ich kenne zwar nur wenige EC-Stücke, hatte aber exakt denselben Eindruck. Jetzt, als ich die Stücke live zum Teil bereits zum dritten Mal höre, begeistern mich auch „Trommeltrump“ („2000 Jahre Kultur, aber du gehörst nicht dazu“), „Problemstorch Ronny“ („Essen, Schlafen, Arbeit – vorbei.“), „Eulen nach Canossa“ („Bloß nicht klatschen, wenn die Vorgruppe spielt! Du bestiehlst dich damit selbst. / Backstagepässe und falsche Versprechen, den Kredit zahlst du nie mehr zurück.“) und und und. Hier hat jemand genau zugeguckt und liefert in der Analyse gnadenlos. Einer ist heute nicht dabei: JoyBoy hat das Album aufgenommen, zockt aber heute selbst mit DIE BULLEN. Zur Kompensierung hat er aber einen Brief hinterlassen, der backstage versteckt war oder so und jetzt live geöffnet und vorgelesen wird: „Rocken Sie jetzt!“ Nur einer von zahlreichen schönen Momenten.

 

Das war was.  

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