PRIMITIVE MAN, VERSAT ZERO / 30.04.2022 - Kiel, Alte Meierei

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Vorbemerkung 1: Mir hat mal jemand zurückgemeldet, bei mir könne etwas nicht stimmen, wenn ich solche Musik höre. Das habe ich aber schnell in ein Kompliment umgemodelt.
 
Vorbemerkung 2: Ich habe gestern Abend keine Fotos gemacht, daher gibt es welche aus meinem Privatarchiv.
 
 
PRIMITIVE MAN
 
 
Nihilismus in den Mai mit PRIMITIVE MAN inner Meierei. Reim Dich, oder ich zerstör mich. Hätten sie sich einen anderen Namen gegeben, hätte ich sie vielleicht gar nicht so gedigt. Primitive Man. Da steckt so viel drin und bekanntlich kaum Gutes. Am Angenehmsten sind vielleicht noch Assoziation in Richtung der menschlichen Frühgeschichte, und eine gewisse Archaik ist dem Sound des Trios aus Denver/Colorado wahrlich nicht abzusprechen, aber solche Gedanken führen nirgendwo hin. Primitiv. Die Biologie verwendet es wertfrei, sein sozialer Bedeutungsgehalt strotzt so dermaßen vor Abwertung, daß ich es selten in den Mund nehme, und zusammen mit „Mann“ fängt es an wehzutun und eignet sich als Metapher für die vielleicht nicht zu verhindernde Auslöschung der Welt. „Human nature is poisonous and fucking foul/Stay the fuck away from me“, lautet eine ihrer zahllosen misanthropischen Zeilen, und dieses Gefühl übersetzen sie in eine Musik, die maßlos heavy, unmelodisch und destruktiv ist; ohne Hoffnung, ohne kämpferische Appelle, statt dessen verwundet und trotz all ihrer verletzenden physischen Gewalt letztlich introvertiert und abgewandt. Passive Aggressivität auf höchster Verbrennungsstufe.
 
 
PRIMITIVE MAN
 
 
Leider treiben sich Dorothea und Darius Dämmfleisch heute Abend auf zuvielen anderen 30.-April-Sausen herum und/oder haben Fracksausen wegen Corona. Für eine beunruhigend lange Zeit bin ich der einzige Zahlende. Dann kommen doch noch ein paar, so daß beim Hauptact vielleicht 20 Menschen im Parkett konvulsivisch nicken oder nichtmal das.
 
 
Vorher Austausch der angenehmsten Sorte mit Torsten Matzat, dann der „Vortyp“, wie FOH Ace Riff es ausdrückt, VERSET ZERO, mit einem schwarzen Tuch auf dem Kopf, damit ihn keiner erkennt. Steht hinter einer Phalanx verkabelter Elektronik und beschallt die spärliche Crowd mit industriell-okkultem Ambient/Noise. Ich als Dronelord hatte schon bessere Immersionen. Alles etwas formlos. Zuviel von Allem und nichts so richtig. Ab und an nimmt der Künstler seinen weißen(!) Thunderbird-Baß und schickt ein paar dramatisch gegriffene aber vor allem randomisiert wirkende Töne in seine Ampére-Katakomben. Das fügt der Sache nichts hinzu, und hinterher muß er sich sein Kopftuch wieder hinzuppeln. Hätte mir ja glatt eins seiner T-Shirts gekauft, aber so wird das nix.
 
 
PRIMITIVE MAN
 
 
Ethan McCarthys ganze Haptik läßt mich mich fragen, ob er sich in seinem Körper nicht wohlfühlt. Das ist natürlich stimmig und läßt Primitive-Man-Gefühle aufkommen, bevor der erste, naja, Ton erklungen ist. Der Trockeneisnebel hat sich gut verteilt, McCarthy steht in einer Aura aus gedimmtem roten Licht, Bassist Jonathan Campos erkennt man hauptsächlich, weil er den höchsten Anteil an körperlicher Bewegung einbringt, und Drummer Ben Kennedy verprügelt sein Instrument mit bestechender Präzision in völliger Dunkelheit.
 
 
Schwer zu sagen, welche Songs gespielt werden, denn PMs Oeuvre ist im Grunde ein einziger, immer länger werdender Song. Die Register, die sie ziehen, sind ungefähr wie folgt: 2 Arten Gitarre zu spielen (Drop-irgendwas-Akkorde oder Singlenotes); 3 Tempi (Den sich in einem Stück ereignenden D-Beat würde ich noch nicht dazuzählen.); 2 Arten des Growlings (Text-Growling und nur-so-Growling) und: Drones. Nicht daß PMs Musik je weit weg war vom Drone, dennoch ist es nur konsequent, daß sie dieses Element in ihr Live-Konzept integriert haben. Ihr Studio-Output enthält massenhaft atmosphärischen Noise, Ambient für Leidensfähige, und auch die 4 Tapes, die mir am Merchstand eine frisch bekiffte/sehr müde Französin verkauft, Solowerke von Ethan McCarty bzw. seinem experimentellen Alias MANY BLESSINGS, gehen in diese Richtung.
 
 
PRIMITIVE MAN
 
Alles an seinem Platz also. Totaler Abriß. Monolithisches Doomsludge-Inferno mit Arthrose und Herzverfettung. Primitive Man tun weh. Sie sind das monströse Gewölle unserer negativen Energien. Katarsis und Vernichtung. Haß und Schmerz. Sie waren früh vollendet und haben ihrem Sound seitdem wenig hinzugefügt. Die Entschieden- und Aufgeräumtheit, mit der sie ihr Zeug hinauskotzen, beeindruckt und, ja, berührt mich immer wieder, auch wenn ich danach meist eine Pause brauche, um Neil Young oder anderen lieblichen Kram zu hören. Nach weniger als einer Stunde ist alles vorbei, und das genügt. Zugabenforderungen erledigen sich. Zuviel Konzession. Vergiftungsgefühle am 1. Mai.
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