MOTORPSYCHO / 02.05.2022 - Hamburg, Markthalle

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Motorpsycho sind zuviel für mich. Sie bringen zuviel raus. Sie machen einfach zuviel Musik. Sie machen Musik, wie ich zur Arbeit gehe, nur auf ner vollen Stelle. Daß sie dieses Jahr noch kein neues Album veröffentlicht haben, ein Doppelalbum mit ausufernden Hardprog-Epen, ist ungewöhnlich. Die Pandemie hat‘s gemacht, na klar, kann man nicht mehr hören, und nun ist die Pandemie in die Sommerpause gegangen, und Motorpsycho sind wieder da. Betreten freudlich winkend das heimelige Markthallenrund und legen gleich mal los mit „The Transmutation Of Cosmoctopus Lurker“, einem Stück, daß genauso klingt, wie es heißt. Schwere Hardrock-Grooves fluten den sich allmählich füllenden Raum. Ausverkauft ist nicht. Manche/r traut sich noch nicht hierher wegen kollektivem Trauma und so. „Wir“ müssen da raus.
 
 
MOTORPSYCHO
 
 
Bereits nach 10 Minuten gibt es harmonisch echt abgefahrene zweistimmige Gitarrensoli von Snah und dem jederzeit hervorragenden und auch bei technischen Problemen keine Mine verziehenden Reine Fiske. Wir befinden uns immer noch im Opener. Wie so viele Motorpsycho-Stücke baut auch dieses sich auf und auf, gebiert, mutiert und nimmt mich unweigerlich mit, weil ich mich drauf einlasse, und das mußt du bei Motorpsycho. Dich einlassen. Diese Band ist ein GEGENÜBER und keine Körperschaft, an die du irgendwelche Ansprüche stellen kannst.
 
Ein kurzer Abgleich mit mir selbst ergibt: Das Bedürfnis, ob der musikalischen Überwältigung mit Schwung die Kinnlade runterklappen zu lassen, ist nicht ritualisiert, sondern mal wieder echt, wie jedes Mal bei MP. „Ey, welche Band fängt auf DIESEM NIWOH an!??“, möchte ich den neben mir goutierenden Tim Willig fragen, bremse mich aber, weil ich ahne, daß er „Dream Theater“ antwortet, und mit denen hab ich‘s nicht. Ich formuliere es anders, und er brüllt mir trotzdem irgendwas mit Dream Theater ins Ohr. Na gut.
 
 
Ab dem 2. Stück setzt das Alter-Sack-Syndrom ein: Ich kenne es, ich hab‘s schon gehört, kann aber unmöglich sagen, von welchem der 577 Studioalben es ist, geschweige wie es heißt. Jede neue MP-Platte erschließt sich mir 5-10 Jahre nach ihrem Erscheinen. Das ist ungefähr seit „It‘s A Love Cult“ [2002] so, spätestens seit „Black Hole/Blank Canvas“ [2006], von der sie heute nichts spielen. Den Schwerpunkt des Sets bilden Riemen aus den vergangenen etwa 5 Jahren, und das kenne ich ja alles noch nicht, aber die entsprechenden Artefakte sind natürlich im Regal.
 
 
Siehe auch mein gründlich gescheiterter Versuch, die Setliste mitzuschreiben:
 
Cosmoctopus dingsda
? ?
? (Kingdom)/Pacific sonata?
Pacific Sonata!
-das 3. vd Neuen
Mountain!
—?:
Upstairs-downstairs
Greener
…….?….(puh)…NOX?
Nox
N.o,x
"“““““““““““
ja, nox
Spin, Spin, Spin
Babylon
Sunchild
Big Surprise
 
 
MOTORPSYCHO
 
 
Ausflüge in den Backkatalog sind Snahs Indierock-Schmachtfetzen „Greener“, den ich so zum letzten Mal 1996 im Bremer „Schlachthof“ gehört haben dürfte, und das bald 30 Jahre alte „Mountain“ von Motorpsychos erstem Doppeldecker „Demon Box“ [1993]. Dieser Klassiker hatte immer einen besonderen Platz in ihrer Diskografie. Da nimmt es nicht wunder und erfreut das Herz umso mehr, daß Motorpsycho im akustischen Zugabenblock neben dem Terry-Callier-Cover „Spin, Spin, Spin“ gleich noch 2 Demon-Box-Songs spielen: „Babylon“ und, besonders schön, „Sunchild“, beides Stücke, die als Eigencover auch zum Repertoire der ersten „Tussler“-Inkarnation Motorpsychos [1994] gehörten. Bei letzterem tritt Snah, der seine Neil-Young-Lookalike-Phase durchhat und sich nun David Crosby annähert, versehentlich auf den channel switch, und für 2 unheilvolle und extrem laute Sekunden droht der Song von brüllendem Feedback zerballert zu werden - aber Snah kriegt das Problem nach einem Schreckmoment in den Griff. Dafür kassiert er von Bent Sæther umgehend eine geschickt in den Text improvisierte Rüge. Das Pet-Sounds-beeinflußte „Big Surprise“ von „Let Them Eat Cake“ [2000] beendet dieses Konzert auf einer heiteren Note: Die Crowd ist eingeladen, nach Belieben in die Brian-Wilson-Chöre einzusteigen. Alles macht „BAAAAA-BABA-BAAAA“, wie‘s paßt, und dafür gibt es Props vom Chæf.
 
 
Hochplateau dieser knapp 3 Stunden ist aber „N.O.X.“, die mehrteilige Suite, die das gewaltige Herzstück des 2020 erschienenen „The All Is One“ bildet, sozusagen eine Platte in der Platte und heute ein Konzert im Konzert. Kosmiske Musik! Eine wahrhaft kosmiske Reise, die durchaus deine Geduld fordert, aber das tut ja das ganze Leben. Warten auf besseres Wetter, auf Essen, auf Schlaf, die Wirkung des Kaffees, den Bus oder das irisierende Raumschiff, das uns von hier wegbringt. Und jedes Mal, wenn sie sich das nächste Level erspielt haben, wird unsere Geduld belohnt. Weil wir uns eingelassen haben, uns haben mitnehmen lassen. Und weil Motorpsycho es KÖNNEN, wofür das immer zahlreicher gewordene Publikum Szenenapplaus spendet. Heimlicher Star dieses musikalischen Abenteuers ist Drummer Tomas Järmyr, der seine Jazz-Skills mit classic grip hier reichlich ausleben kann. Er ist vielleicht die perfekte Synthese aus Håkon Gebhardt und Kenneth Kapstad, seinen beiden Vorgängern am Kit. Spielt schlank UND virtuos. Eine Freude ihm zuzusehen. Manchmal streift ein Lächeln sein Gesicht, dann schaut er nach links oder rechts, was die Kollegen machen, und konzentriert sich wieder auf seine Funktion beim Steuern dieses intergalaktischen Liners. Hoffentlich bleibt er lange an Bord!
 
 
Während einer eher sphärischen Passage verabschiedet sich Tim. Morgen wird er mir erklären, daß er dann erstmal in Ruhe aufs Klo gegangen ist, sein XL-Bandshirt am wie immer gut sortierten Merch gegen eine Nummer größer getauscht hat, sich ein bißchen durchdrängeln mußte auf dem Weg nach draußen, und dann irgendwann, als er auf dem Weg zur U-Bahn an der Markthalle vorbeiging, spielten Motorpsycho immer noch das Thema, in das sie wechselten, als er sich Richtung Foyer aufmachte.
 
 
Und hier die korrekte Setliste lt. „Camp Motorpsycho“:
 
Cosmoctopus
Magpie
The T
Pacific Sonata
United Debased
Mountain->
Starhammer
Up/Down
Greener
NOX
Encore (Acoustic)
Spin x3
Babylon
Sunchild
Big Surprise

Bewertung: 5 / 5

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