BAUHAUS, HOPE / 22.08.2022 - Spandau, Zitadelle

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Beim Parkplatzsuchen in Berlin-Spandau sehe ich die ersten Gruftis (Endlich Gruftis!). Später, zwischen Burger King und St. Nikolai-Kirche in der Altstadt, erhöht sich die Dichte an Leuten in Schwarz, die größtenteils, wie es immer heißt, mit der Band gealtert sind. Mutti, Mutti, die frühen Achtziger spannen ein wenig über meiner Absinthplauze! Mit meinem Sonic-Youth-T-Shirt bin ich outer rim, hier tragen die Menschen Neubauten, Dead Can Dance, Joy Division, Nick Cave, M‘Era Luna, Cure, Apotheke Bergwerk und natürlich Sisters Of Mercy. Wer sich mit profanen Brust-Aufdrucken nicht abgibt, hat sich in Korsagen eingebaut, die Frisur erhöht, ordentlich aufgetragen, sakrales Geklimper umgehängt und/oder die Lackfummel gewichst. Wie Metal ist Goth auch so ne Art Karneval, nur die Musik finde ich nicht so gut.
 
 
BAUHAUS
 
 
Von BAUHAUS und ein paar üblichen Verdächtigen natürlich abgesehen. Sie gründeten sich 1978 und klingen demzufolge ganz anders als heutiger Mittelalterquatsch oder bestraferisches EBM-Gesynthe (Ich habe im Grunde keine Ahnung vom Portfolio des gestandenen WGT-Besuchers, brauche ich auch nicht, um über Bauhaus zu schreiben). Daniel Ashs Gitarre ist neben Peter Murphys wandlungsfähiger Stimme das dominierende Melodie-Instrument, oft verhallt oder durch einen scharfen, schnellen Echo-Effekt gespielt. Kevin Haskins trommelt meist stark synkopierte, eher leicht vor der Eins einschlagende Beats oder gleich Voodoorhythmen, und David J. spielt einen bundlosen Baß (was zu subtilen Verstimmungseffekten führt); bei manchen Songs verzerrt oder anderweitig verfremdet. Saxophon und diverse Tasteninstrumente erweitern das Klangbild nach Bedarf.
 
 
BAUHAUS
 
 
 
Es ist vor allem Peter Murphys facettenreicher und seit eh und je Duke-durchdrungener („Bowie für Arme“ hab ich mal sagen hören, finde ich aber gemein) Gesang, der für eine düstere Theatralik und Exaltiertheit sorgt, die aber für mein Empfinden nie ins Selbstzweckhafte oder Kasperloide abdrifteten. Als Artschool-Studenten war Bauhaus neben allem Vordergründigen auch immer an einem künstlerischen Aspekt gelegen, böse Zungen würden „gekünstelt“ dazu sagen, aber das halte ich für Geschmackssache. Außerdem spricht die Namenswahl (Anfangs hießen sie sogar „Bauhaus 1919") für sich. Walter Gropius, ick hör dir trapsen.
 
 
Unter Goten
 
 
„Mask“ aus dem Jahr 1981 gilt als ihr bestes Album. Hier ist die Raserei des Debüts („In The Flat Field“, 1980) schon zurückgenommen, und Stücke wie „Of Lillies And Remains“ oder der gegen Ende auf „Tubular Bells“ im Kontext des Films „Der Exorzist“ anspielende Titelsong zeugen vom Mut zum Experiment. Diese Entwicklung wurde auf „The Sky‘s Gone Out“ (1982) und dem vorläufigen Abschlußwerk „Burning From The Inside“ (1984) forciert: Manche Songs sind Montagen aus mehreren Fragmenten (eine Herangehensweise, die Bauhaus für ihre vor Wochen erschienene neue Single „Drink The New Wine“ anscheinend reaktiviert haben), alles wirkt surrealer, zersplitterter und teils weniger zugänglich, gute Platten sind trotzdem dabei rausgekommen. Auch das vermeintlich wirklich letzte Bauhaus-Album „Go Away White“ (2008) ist überraschend stimmig, und „Adrenalin“ hat es sogar in den Zugabenblock geschafft!
 
 
Heute mal kein T-Shirt kaufen, weil das Geld wg. Krieg und sorgloser Prasserei gerade knapp ist. Nach dem Konzert werde ich, supported by Fritzcola, zu lauter Musik & Energydrinks, 330 Kilometer direkt nach Hause bratzen. Morgen ist ein anderer Tag.
 
 
HOPE
 
 
Die Vorgruppe HOPE kommt von hier und verdient Anerkennung a) für ihr unbedingtes Bestreben, einen ganz eigenen Ansatz zu entwickeln, b) dafür, daß sie sich durch häßliche Farzgeräusche der PA und eine auf den Boden knallende Korg-Orgel äußerlich null vom Kurs abbringen läßt - und c) dafür, sich dieser Crowd, deren Mehrheit nur den Sound des eigenen Universums hören möchte und den Auftritt halt so wegwartet, zu stellen. Sängerin Christine Börsch-Supan schaut zwischen den Stücken ostentativ in die Reihen, als würde sie dem Braten nicht trauen, freut sich aber über das „…warme Willkommen…“ derjenigen, die sich regen und Applaus spenden.
Auf längere Sicht finde ich persönlich HOPE aber ein wenig zäh. Ihre Stücke generieren vor allem Atmosphäre. Gitarrist Phillip Staffa agiert fast wie ein zweiter Keyboarder, und die Fülle an Ambientsounds, die er aus seinem Zeug holt, ist beeindruckend, auch wenn mir ein paar Hooks lieber wären. Diese Funktion erfüllen im HOPE-Sound eher bestimmte, markige Zeilen, von denen Christine Börsch-Supan reichlich im Gepäck hat. Ihr stimmliches Spektrum wirkt limitiert, vielleicht ist es auch nur die Songauswahl, aber sie macht durch ihr Charisma alles wett - bis auch dieses Element anfängt, sich zu wiederholen, und am Ende ist mir das, ehrlich gesagt, alles etwas zu one-trick-pony-haft. Immerhin sind HOPE zu Eruptionen in der Lage, wie der letzte Song zeigt: Die Band peitscht sich selber auf, zischt, wummert, bebt und lärmt, und Börsch-Supan insistiert gepreßt und mit dem Rücken an der imaginären Wand: „Don‘t touch me! Don‘t touch me!“ Ein würdiger Abschluß!
 
 
HOPE
 
 
„Mit der Stimme könnte sie auch in einer Frauenpunkband auftreten“, erläutert der 2m große, Schwarz tragende Erklärbär, mit dem ich zwischendurch ein wenig ins höfliche Gespräch gekommen bin, seiner Partnerin. Frauen? Was‘ dat denn für ne Musikrichtung? Oder meint er „Frownpunk“? Er dürfte ca. meine Altersklasse sein, hat in seinem Leben endlos Konzerte gesehen und holt aus der Sache leider relativ wenig raus. Slime, das sei Dummpunk, und die Texte wären ja hörbar nicht von Brecht, haha. „Immerhin Musik mit einem klaren politischen Bekenntnis“, wende ich ein, „was Dummpunk ja meist nicht so hinbekommt“ - will er aber nicht wissen, denn für ihn ist vor allem wichtig, daß man(n) mit ü60 eigentlich keinen Punkrock mehr machen kann, welch originelle und provokante These, ich gähne innerlich wie ein Scheunentor. „Iggy & die Stooges, DIE SAẞEN AUF BARHOCKERN!!“ Ich murmele konziliant, daß Leuten ihr Alterungsprozeß nicht zum Vorwurf gemacht werden sollte, aber er (irgendwann auch 60 und sich an seine Jugend klammernd, wie er’s Anderen ankreidet) ist voll auf der Zielgeraden, kommste nicht gegenan. Immerhin, es gäbe Ausnahmen, Jaz Coleman von KILLING JOKE, 2012 in der Fabrik (Da waren er & ich wohl auf dem selben Konzert) zum Beispiel. Vorher hätten sie im Grünspan gespielt, „…da ist die Bühne ungefähr so…[macht eine Handbewegung],…das wirkt natürlich anders.“ Natürlich, du Zange, das wirkt ganz anders. Als ich ihm grinsend stecke, daß IRON MAIDEN, die ich neulich sah, für mich auch eine dieser Ausnahmen sind, verzieht er sich kaum merklich in seine Komfortzone („nicht meine Musik“), gibt mir aber noch eine Chance.
 
 
BAUHAUS
 
 
Völlig gerechtfertigt hingegen sein Ergötzen an der Bauhaus-Backline. Alles schwarz und silber, lediglich die Blende von Daniel Ashs Marshall-Stack und sein Saxophon glänzen golden. Sieht super aus. „SCHWARZE BECKEN, das ist doch mal stilecht!“ - „Ja, sind E-Cymbals“, präzisiere ich, und damit war es das dann bald mit uns. Jetzt muß er auch einen kiffen, denn seine Band legt bald los. Kein Klischee ausgelassen, was für‘n Projektor.
 
 
BAUHAUS
 
 
Mit dem Erscheinen der Band sind solche Nickeligkeiten komplett vergessen, denn Bauhaus lassen vom ersten räudigen Feedback aus Daniel Ashs vollverspiegelter Telecaster an keine Fragen offen. Kevin Haskins spielt einen Beat auf seinem E-Set, bzgl. dessen ich über Jahrzehte sicher war, schon damals in Cloudy Hills Kinderzimmer sicher war, er käme aus der Dose, tut er aber nicht, und rein geht‘s in das John-Cale-Cover „Rosegarden Funeral Of Sores“, dem ersten Klassiker, auf den nur weitere Klassiker folgen werden. „DNA“ sagt Matthias Holling immer, und auch wenn ich in den vergangenen Jahren nicht übermäßig viel Bauhaus an hatte, ist diese Musik für mich genau das. Jeden Moment kommt I.C. um die Ecke, erste Gothic-Person des Helene-Lange-Gymnasiums in den Scheißachtzigern und setzt mir ihre Ratte auf die Schulter, wie damals, als ich im 11. Jahrgang neben ihr saß und ihre Ratte unterm Tisch auf meinen Schoß kroch und wahrscheinlich auf meine Jeans pißte.
 
 
Genug der Anekdoten. Ganz nostalgiefrei kann ein Bauhaus-Konzert im 21. Jahrhundert nicht sein, aber diese Show ist größer als Szenegebundenheit und Schwelgerei. „Double Dare“! David J.s Baßgitarre mit dieser unglaublichen Zerre und dazu die unheilvollen Klickgeräusche, die Daniel Ash seiner Gitarre entlockt. Ganz große Individualisten, diese beiden Saitentypen! J. cool und ausdruckslos mit Sonnenbrille, was ihn optisch zu einem Zwilling des Drummers macht. Spielt sein Instrument mit einem Finger oder mit der halben Hand und mischt permanent diese leichte harmonische Unwucht unter Ashs harsches Geklingel, so daß ein Schweben in der Musik entsteht, nicht unähnlich dem Schweben Linda Blairs, als Pater Merrin den Dämonen Pazuzu aus der Hütte lockt.
 
 
Und Daniel Ashs Spiel war immer einfach aber hocheffektiv und unglaublich vielseitig. Hier gehen Slasherscore und Barré-Riffing eine jederzeit den Punkt treffende, geile Ehe ein, auch wenn er für „Silent Hedges“ und „The Passion Of Lovers“ zur Zwölfsaitigen wechselt. Ein first-wave-Postpunk-guitar-hero, wie er im Buche steht, und das tut er ja tatsächlich. Hinreißend!
 
 
BAUHAUSBAUHAUS
 
 
Peter Murphy im glasperlenbesetzten schwarzen Hemd und anfangs mit Gehstock, was ihm ausgezeichnet steht, ist in good shape. Figur und Stimme, da ist nichts abgehalftert, da ist nur ein Typ nach überstandener Herz-OP, der seinen act beherrscht und dabei eine sinistre Freude verspürt. Er zelebriert jede Zeile mit maximaler Intensität und läßt sich von seinen perfekt abgestimmten Musikern von Song zu Song tragen. Es gibt keine Pausen, alles geht ineinander über, teilweise so, daß reizvolle Kontraste aufpoppen, z.B. wenn auf das zerschossene „Spy In The Cab“, bei dem David J. mit dem Schlagbrettspiegel seines Instruments Lichtreflexionen über die Leute schickt, aus dem Nichts „She‘s In Parties“ folgt, eines der aufgeräumtesten, ja poppigsten Stücke im Bauhaus-Katalog - und sogar mit Melodica-Soli und Dub-Extension, bei der Murphy elektronische Percussions spielt. Reggae und Postpunk, da war doch mal was. Das gibt es heute alles nicht mehr.
 
 
BAUHAUS
 
 
„Bela Lugosi Is Dead“, immer noch ein Fixpunkt in jeder Bauhaus-Show. Das „Born To Be Wild“ der schwarzen Szene, potentiell abgenudelt, aber nein: Die hypnotische Power bannt mich auch nach 40 Jahren, und Murphy steht am Bühnenrand, von unten mit Neonröhren vampirisch illuminiert fixiert er die ersten Reihen mit seinem stahlblauen Blick - Er IST es. Er IST Bela Lugosi, und selbst das kann man ihm getrost abnehmen.
 
 
BAUHAUSBAUHAUS
 
 
13 Songs, kompaktes Set. Den Zugabenteil eröffnet „Sister Midnight“ (Iggy Pop), eine weitere gute Bauhaus-Coverversion, die mir bisher unbekannt war; danach „Telegram Sam“ (T.Rex), und als letztes Lied natürlich „Ziggy Stardust“, das ich zuerst von Bauhaus und erst danach von Bowie kannte. „But BOY, could he play guitar!“ echauffiert sich Murphy und deutet auf Daniel Ash, dessen überaus flamboyante Kostümierung mit zahllosen Ketten und einer Pailettenjacke, bei deren Schnitt ich kurz an Prince zu „Purple Rain“-Zeiten denken mußte, in diesem Moment vollkommen sinnhaft wird: Daniel Ash IST Ziggy Stardust, wie Peter Murphy Bela Lugosi ist, und für einen Augenblick machen Bauhaus den uralten Gassenhauer zu ihrem eigenen Song.

Kommentare   

+2 #1 Ulli Untod 2022-08-25 16:02
Bitte "The Sisters of Mercy" - sonst droht eine Vertragsstrafe und das wäre ja schade.
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