8. KONZERTABEND FÜR B.C.C. mit DIE BRATENDEN HUNDE, HENRI PARKER AND THE LOWERED LIDS, JEWU & NILER, LES EIERLIKÖR SIX, CINEMA NEGRA INTEGRIEREN THE WUTBURGERZ, EXPERTEN AUS LEIDENSCHAFT, PIA, DIE BRENNENDEN HUNDE / 30.09.2023 – Kiel, Hansa48

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Barnim Cnotka starb 2015 an Krebs. Unter Pseudonymen wie B.C.C. oder Jimmy Dog zockte er u.a. bei den Kieler Bands THE WRONGS, B.C.C. & DIE BRENNENDEN HUNDE und FLYING SAUCER CIRCUS. Mitmusiker Michael Möller charakterisierte ihn hier auf DreMu mal als „kompromisslosen Künstler“, „gnadenlosen Entertainer“ und „wunderbaren Menschen“. Und ebenjener Micha (ja, der von den TYPHOON MOTOR DUDES und den ZELLEN) ist einer derjenigen, der diese jährlich wiederkehrende Veranstaltung organisiert. Verrückterweise habe ich es bisher nie auf eine dieser BCC-Gedenkfeiern geschafft (immerhin gibt es aber auf DreMu das Review zum legendären WRONGS-Reunionkonzert in der Bude 2011), was sich heute endlich ändern soll.

 

DIE BRENNENDEN HUNDE

Bilder von MJ.

 

Dieses Review birgt gewisse Herausforderungen. Denn die acht Bands spielen kurze Sets in dichter Abfolge, wobei sich die Besetzungen mehrfach überschneiden. Gehst du auf ‘nen Schnack raus, sabbelst dich gar fest, hast du schnell einen ganzen Auftritt verpasst. Zudem ist es angesichts der Vielzahl der Eindrücke gar nicht so einfach, im Nachhinein aufzudröseln, wer da nun mit wem gespielt hat, welches Stück in welchem Kontext erklang. Vollständigkeit kann ich mit diesem Bericht also gar nicht erst anstreben, aber ich versuche mal, einen bescheidenen Eindruck dieses tollen Abends zu formulieren. 

 

Sinnverwirrend ist bereits das Wiedersehen mit so unfassbar vielen alten Bekannten. Das war gestern in der Bude schon hart, aber heute gehen die Kontakte zum Teil um weitere Jahrzehnte in die Vergangenheit zurück. Mut zur Lücke! Denn manche dieser netten Vögel habe ich derart lange nicht gesehen, dass ich mich nicht mal an deren Namen erinnern kann. Wer kennt all die Namen, wer kennt all die Gesichter?

 

DIE BRENNENDEN HUNDEDIE BRENNENDEN HUNDE 

 

Michael „Evil“ Mölli legt gleich zusammen mit dem Gitarristen Christian ein BRENNENDE-HUNDE-Set hin. Die Texte Barnim Cnotkas hatten es wirklich in sich. Da geht es in kafkaesker Weise um Protagonisten, die dem Alkohol und/oder dem Wahnsinn verfallen, zu Mördern werden. Ein Stück heißt „Christian Klar“ und der Text ist konsequenterweise aus dessen Perspektive verfasst (passend zum Cover der BCC-Platte „Gesucht in Kiel“). Micha überrascht, kennt man ihn ja meist als Gitarre schreddernden Derwisch, präsentiert er sich heute mit Kontrabass, Banjo und Nylonsaiten-Klampfe. Und die Sängerin Pia, die sich bald dazugesellt, ist doch tatsächlich seine Tochter. Hier geht es dann nicht nur um BCC-Songs, denn Pia bietet auch eigene Songs zum Besten – zusammen mit ihrem Dad, der sie auf der Akustischen begleitet. „Falling“ handele von emotionalen Tiefpunkten ihres Lebens, erläutert Pia, und besitzt tatsächlich eine tieftraurige Stimmung. Bei entsprechender Instrumentierung könnte dies glatt ein Doom-Song aus der Feder Patrick Walkers (WARNING, 40 WATT SUN) sein. 

 

HUNDEHUNDE

 

Mit den zusehends zahlreicher eintrudelnden Besucher:innen verstärkt sich der oben beschriebene Effekt: Man wird in einen Sog aus Farben, Tönen, olfaktorischen Sensationen gezogen, Raum und Zeit verschwimmen. Mit der Anzahl der Leute steigt natürlich auch die Zahl der Gespräche und ständig drückt mir jemand ein neues Getränk in die Hand, was wiederum die Toilettengänge pusht. Gefühlt gehe ich nur kurz zum Lokus, komme in den Saal zurück und es spielt bereits die nächste Band. Manchmal zockt auch noch dieselbe Combo, aber die Besetzung hat sich verändert. Ja, einmal komme ich zurück, es wird noch derselbe Song gespielt, aber nun sitzt der Sänger hinterm Schlagzeug und der Trommler singt!

 

CINEMA NEGROCINEMA NEGRO

 

Und es wird ja nicht einfach nur Musik gespielt! Nein, CINEMA NEGRA INTEGRIEREN THE WUTBURGERZ oder vielleicht auch die EXPERTEN AUS LEIDENSCHAFT (oder eine Mischung aus beiden) erweitern die Grenzen ins Theatralische hinein, tanzen mit Lichtern in den Pranken ihre eigene Lightshow oder sprechen Barnim-Cnotka-Lyrics nach. So erklärt sich auch der Titel der Veranstaltungseinladung „Ich trinke jeden Tag, und ich trinke täglich mehr“. Zu perlenden Klängen erklärt der Ich-Erzähler seine immensen Alkoholika-Einkäufe, ergänzt, dass er immer wieder die Cola vergesse, die aber zum Mischen nötig sei, weswegen er erneute Streifzüge in den Getränkemarkt hinterherschieben müsse. Ergreifend. Realistisch. Habe ich übrigens erwähnt, dass ich auf einem Sommerfestival Menschen traf, die alkoholfreien Korn tranken („Nur für den Geschmack!“)?

 

EXPERTEN AUS LEIDENSCHAFT 

 

Ein Highlight wird natürlich der mit Spannung erwartete Auftritt von LES EIERLIKÖR SIX, kehren hier doch Horst Pillau Jr. und Ron Bongiourno mit einem DISCO MAXIM ähnlichen Konzept zurück. Das erfreut mich ja als DISCO MAXIM-Hörer und Besitzer aller Dönerdiscothek-Tonträger, da geht der Daumen automatisch nach oben, dass ich mich jetzt schon auf Facebook als zukünftigen „Top-Fan“ sehe. Doch halt! Als reine Fortsetzung der legendären Schmuse-Beat-Giganten darf man LES EIERLIKÖR SIX nun nicht bezeichnen! Das wäre plump und würde den beteiligten Musiker:innen nicht gerecht werden: Mit dabei sind schließlich außerdem der traurige Oli, Suki Bazooka, Bassam Sexauer III sowie Lucky Felden! Und es gelingt der Band, den Esprit von DISCO MAXIM mit deutsch-französischem Liedgut nicht nur zu reanimieren, sondern zu transformieren. Ron B. singt mit Leidenschaft und lässt diverse unwahrscheinlich emotionale Chanson-Bomben platzen. Ein Song, eine Melodie geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Es geht um Liebe, ums Küssen, um die ganz wichtigen Dinge. Mir fällt der Titel nicht mehr ein. Wer weiß den noch? Zuschriften bitte an die Redaktion. 

 

Ebenfalls im Ohr bleibt „La maladie d’amour“. Ron intoniert den Refrain “Elle court, elle court / La maladie d'amour”, der Chor setzt A-ha-ha’s zum Dahinschmelzen – und die ganze Hütte trällert mit. 

 

JEWU & NILER verpasse ich leider komplett, obwohl ich sie eigentlich sehen wollte. Muss gut gewesen sein, die beiden sind danach völlig nassgeschwitzt. 

 

HENRI PARKER AND THE LOWERED LIDSHENRI PARKER AND THE LOWERED LIDS

 

Auch HENRI PARKER AND THE LOWERED LIDS bestehen aus Kielern, die sich in diversen Bands bewährt haben. Bekanntlich vermischen sie in dieser Formation ihre Punkwurzeln auf sehr originelle Weise mit Folk und Country. Endlich sieht man mal wieder auf einer Bühne, was man so alles mit einem Waschbrett anstellen kann, wobei ich faszinierend finde, wie zielgerichtet und wohldosiert jedes perkussive Element eingesetzt wird. Da wird nicht inflationär auf die Cowbell eingedroschen, nein, das Ding wird dann angespielt, wenn die Zeit dafür reif ist, und wenn das nur ein winziges Detail am Songende darstellt. Super auch der mehrstimmige Gesang und die herrlich leichtfüßig gespielten Gitarren-Cello-Attacken.

 

HENRI PARKER AND THE LOWERED LIDSHENRI PARKER AND THE LOWERED LIDS 

 

War’s das jetzt? Mitnichten! Ein letztes Mal werden BCC-Stücke intoniert, dieses Mal aber von den BRATENDEN HUNDEN mit voller Verstärkung und Leuten von THE WRONGS, ROCKAWAY BEACHBOYS und hastenichgesehen. Der Haufen steigert sich eine entfesselte Rock’n’Roll-Explosion, Menschen fallen über die Bühne und in diverse Instrumente hinein, der überraschte Chronist wird auf die Bühne gezerrt, ein Mikro in sein Maul gestopft und mit „I Wanna Be Your Dog“ gibt es ein STOOGES-Cover, vollgepumpt mit Chaosenergie.  

 

Was für ein schöner Abend! Ich finde es genial, dass diese Gedenkveranstaltung jährlich durchgezogen wird und so an das Schaffen Barnim Cnotkas und den Menschen dahinter erinnert wird. Danke an Micha und alle Beteiligten!

 

Plakat 

 

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