Ackerfestival 2011 - Tag 1 / 16.09.11 - Kummerfeld

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Junge Mädchen auf den Schultern ihrer Freunde, Tränenvergießen in der ersten Reihe, blitzende Handykameras und eine Elterntraube an dem Zaun, der dem Bierstand am nächsten ist. Das einzige, was diese Szenerie von der eines Justin-Bieber-Konzerts unterscheidet, ist dass dort sicherlich niemand Gefallen an einer Wall of Death gefunden hätte. Ansonsten waren die Parallelen zum Ackerfestival mindestens gewöhnungsbedürftig.

Toffi und ich ahnten von alledem nichts, als wir uns im Namen der Stias auf die Presseliste setzen ließen. Die Anreise per S-Bahn aus Hamburg und Bus aus Pinneberg verlief meinerseits problemlos und unverdächtig. Leicht dörfliche Eindrücke schrieb ich Lage und Titel des Festivals zu. So war ich dann bei meiner Ankunft auf dem Gelände auch erstmal ziemlich erschrocken, als mich das Gefühl beschlich, zum ältesten Zehntel der Gäste zu gehören. Da ich erst nach der Arbeit kommen konnte verpasse ich die scheinbar härteren Gangarten des Tages mit Occulus, DeclareYourFuneral und Tempt Your Fate (ganz schön viele Imperative). So erwartete mich zur Begrüßung stattdessen eine geballte Ladung – aufgepasst! – „College-Pop-Punk“ , so die Beschreibung auf ackerfestival.de.

SAY OKAY nennt sich die vierköpfige Boygroup. Wer je über die Detectors gelästert hat, kann sich in Anbetracht dieses Konzerts nur seiner/ihrer Worte schämen. In diesem Fall schäme ich mich wirklich außerordentlich fremd und bin gleichzeitig fasziniert davon, wie extrem man ein Klischee erfüllen kann. An dieser Stelle kann ich nur auf die Konzertfotos verweisen. Wie das bei Pop, Schlagern und anderer harmlos klingender Musik nunmal so ist, singen die Jungs übrigens gern vom Ficken, so zum Beispiel in „Let’s do it“ („Stay on top and I’ll be alright (and I’ll be alright)“). Vielleicht bin ich ja irgendwie prüde, doch das weckt nunmal ein wenig Befremden in Gesellschaft der jubelnden 13- bis 15-Jährigen. Peinlich auch die interaktive Anbändelung à la „Das ist Peter, das Heinz und das Karl – wer soll sich denn jetzt mal ausziehen?“  (Namen geändert). Glücklicherweise bleiben die Zurufe unverständlich. Über die kleine mitklatschende und hüpfende Menge freut sich die Band nichtsdestotrotz: „Ihr seid das beste Publikum seit langem!“, ruft der Sänger. Das lässt Schlimmes erahnen.

Das Nachmittagsprogramm ist damit dann erstmal beendet. Jetzt kommt eine Idee der VeranstalterInnen zum Tragen, die vielleicht nicht neu, aber meiner Meinung nach sehr gut ist: Eine Umbaupausen-Band!

Die WOHNRAUMHELDEN haben ihr Mr.Bean-Dreirad-Hippie-Kraftfahrzeug „Tourbine“ im hinteren Teil des Geländes aufgestellt und dort schon eine üppige Traube Menschen angelockt. Man könnte die beiden vielleicht auch als Liedermacher bezeichnen, die ihr Publikum entertainermäßig mit Gitarren- und Schlagzeugmusik unterhalten. Über den Humor lässt sich streiten, lustig anzusehen sind die beiden in ihrem Kabuff auf jeden Fall. „C-Punkt“ Stein Schneider verlässt das Schneckenhaus allerdings durchaus auch gern, um auf dem angebauten Laufstegbühnenkonstrukt rumzuhüpfen und das Gefährt gefährlich zum Wackeln zu bringen. Seine Stimme wird auf der entsprechenden Homepage zu Recht als verdammt tief beschrieben, ich hab mich anfangs gefragt, ob da noch Technik mit im Spiel ist.  Einziges Ärgernis: Ein „lustiges“ Lied über Fleischsalat, sprich darüber, dass die Protagonisten mal gar nichts mit Vegetarismus anfangen können. Haha, originell.

 Wenn ich mich recht erinnere, fangen um 20:45 dann ziemlich pünktlich THE AUDIENCE mit ihrem Auftritt an. Für mich ist das die erste Band, die ich mir tatsächlich richtig gerne anhöre. Die Protagonisten sind alle gute zehn Jahre älter als die College-Popper, würd ich sagen. Alle schwarz behemdet und völlig vertieft in ihre Musik. Die wiederum erinnert mich ein bisschen an die der Kieler Leoniden. Beim Publikum kommt das nur so mittelgut an, es gibt zumindest kein Geschrei und auch kein Gedränge vor der Bühne, nur der Pogokreis ist nach wie vor gut frequentiert.

Dann ist es schließlich so weit: WILHELM TELL ME steht als nächstes auf der Liste. Ich bin höchst gespannt. Ehrlich gesagt war ich von dem Bandnamen ja von Anfang an ziemlich begeistert und kann ihn absolut nicht in die Reihe von so manch anderem schlechten Wortwitz stellen. Was für Musik sich dahinter verbergen sollte, hatte ich vorher allerdings gar nicht in Erfahrung gebracht, umso gespannter wartete ich auf diesen Polarisierer. Beim Soundcheck (siehe Video) frage ich mich dann erstmal, ob der Sänger sein „Check check“- und „Eins zwei“-Gestöhnsinge erst meint, will ihn aber nicht zu früh verurteilen. Als die Band richtig anfängt, erfreut mich tatsächlich ein satter Elektrosound. Was Wilhelm Tell Me zwar nicht zu verdanken ist, mich aber besonders geflasht aht, ist die Lichtshow, die ungeahnte Effekte einsetzt, Lichstrahlen sanft umherwirbeln lässt und die Musik anders als bei den vorigen Bands dermaßen taktpassend mit bunten Farben untermalt, dass ich mich frage, ob das von Menschenhand überhaupt zu machen ist. Neid!

Die Musik wiederum erinnert mich ein bisschen an 80er-Elektropop. Elektro(pop) ist ja zurzeit recht beliebt, aber anders als etwa die meisten Audiolith-DJs hat Wilhelm Tell Me aus irgendeinem Grund noch was retrohaftes. Fasziniert bin ich auch von der androgynen Stimme des Sängers, die man einem Geschlecht wirklich absolut nicht zuordnen könnte. Die Melodien und Texte sind zwar teilweise wirklich sehr eingängig und poppig, nichtsdestotrotz fühle ich  mich gut unterhalten. So richtig sympathisch wird mir die Band dabei allerdings nicht, denn ich teile mit Toffi den Eindruck, dass zumindest der Sänger einfach mal der Schanzenyuppie in Person ist. Ich finde zwar, dass man grundsätzlich vorsichtig sein sollte, ehe man irgendwelche fremden Menschen in Yuppies und „korrekte“ Leute einteilt, aber zumindest in seiner Außenwirkung passt das Bild einfach perfekt. Absolut unpassend ist wie so oft auf diesem Festival die zu poppy Wilhelm gebrachte Wall of Death, von der die Leute scheinbar einfach nicht genug kriegen können.

Mit good old Skapunk schließen RANTANPLAN schließlich den durchwachsenen Kreis und kommen zu etwas Dremufestivalbericht-typischeren Musikrichtungen zurück. Ich hab die Band glaub ich zuletzt 2006 gesehen, als es gerade aus irgendeinem Grund keine Bläser gab, und freu mich deshalb auf ein kleines Revival. Der Haken ist nur, dass ich mittlerweile mit Skapunk nicht mehr allzu viel anfangen kann und mich daher recht schnell langweile. Der Band kann man das aber nicht vorwerfen, mit offensichtlich viel Spielfreude bringen sie die Massen zum Tanzen. Einen leicht bitteren Nachgeschmack hinterlässt bei mir die oftmals umstrittene Professionalität, die die Band zutage bringt, indem sie wirklich andauernd für sich und zukünftige Konzerte wirbt und CDs verteilt und dies und das. Ob sowas heutzutage einfach überlebensnotwendig ist, sei mal dahingestellt. Ich freu mich aber dafür sehr, dass mit dem „Unbekannten Pferd“ und „Jeder so wie er kann“ meine beiden Lieblingsrantanplanlieder gespielt werden, obwohl die ja mittlerweile nicht mehr die neuesten sind. Ein bisschen schmunzeln muss ich auch, weil die Ankündigung für ersteres Lied (eins über „unbekannte Fortbewegungsmittel“) offenbar auf völliges Unverständnis stößt. Jaja, die jungen Dinger heutzutage! Ha!

Kurz nach Mitternacht ist das Festivalprogramm damit auch schon beendet. Da wir nicht vorhaben, auf dem Gelände zu übernachten, freuen wir uns sehr darüber, dass es einen günstigen (1,50 € oder so) Shuttle-Bus nach Pinneberg gibt und der auch noch vorzeitig eintrifft, sodass wir uns dort aufwärmen können. Bis zur ersten Samstagsband bleibt so glücklicherweise noch viel Zeit zum Schlafen.

www.ackerfestival.de

Fotos auf www.ctphotodesign.com (werden auch noch eingebunden)

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