DRITTE WAHL, SKEPTIKER, SHEARER / 02.03.2012 - Lübeck, Treibsand

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Wenn man seine Kindheit in den 90ern und seine Jugend in den anschließenden Nuller-Jahren verbracht hat und das Glück hatte, eine Punksozialisation mitzumachen, gibt es eine handvoll Bands, an denen man einfach nicht vorbeikommen konnte. Wenn ich heute 15jährige Punkkids in zu großen Lederjacken sehe, sind da Bandnamen draufgeschmiert, die ich teilweise schon nicht mehr kenne, aber oft genug finden sich dort noch Schriftzüge wie TERRORGRUPPE, FLUCHTPUNKT TERROR oder eben auch DRITTE WAHL. Und das ist gut so, erinnert es mich doch immer an die eigene Pubertät, diese geile und bisweilen auch schreckliche Zeit, als das größte Problem die gefährdete Versetzung war und sich ansonsten alles um die Wochenenden drehte. Soviel Auswahl gab es da nicht und das knapp bemessene Taschengeld machte es einem unmöglich, große Sprünge zu machen. Aber wenn es hieß, BULLENSACK spielen in Husum und es der finanzielle Spielraum zuließ, hat man sich drei Kumpels geschnappt und 'nen Kassettendreher und ist durch die Weiten Schleswig Holsteins getingelt, in großer Erregung und Erwartung auf das, was wohl kommen möge. Ein gutes Konzertwochenende wurde auch im Nachhinein noch wochenlang zelebriert und analysiert, was vor allem dann half, wenn mal wieder gar nix los war für drei Wochen. So ließ sich die Durststrecke dann einigermaßen überbrücken. Das größte war es natürlich, wenn sich eine Highlightband aus dem aktuellen Deutschpunk-Kosmos anschickte, ein nahegelegenes JUZ mit seiner Anwesenheit zu beehren. Und das aller, allergrößte war es, wenn das ganze dann auch noch im nahen Lübeck über die Bühne gehen sollte und nicht im fernen Kiel, so dass einem eine Weltreise erspart blieb. 2004 sah ich dann zum ersten Mal DRITTE WAHL, eine meiner damaligen Lieblingsbands. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, wer noch von der Partie war, aber ich meine, es waren DER DICKE POLIZIST und/oder SUPERNICHTS. Vielleicht werfe ich da auch was durcheinander ... Sicher ist aber, dass dieses Konzert und vor allem die Darbietung von DRITTE WAHL einen prägenden Eindruck hinterließ und zum Maßstab für ein RICHTIG gutes Konzert wurde.

 

 

Kaum acht Jahre später sind sie mal wieder im Treibsand und ich entschließe kurzfristig, dem Spektakel beizuwohnen. Einiges ist anders als 2004: 1. Ich komme mit dem Auto. 2. Ich fahre alleine hin. 3. Ich darf legal Schnaps an der Bar kaufen. Die Horde Kidpunks, die unweit des Eingangs um einen Kassettenrecorder gescharrt rumlungert und Sangria vernichtet, zeigt aber direkt auf, dass sich eben doch nicht ALLES ändert, nur die Statisten werden alle paar Jahre ausgetauscht, bis sie einer neueren Generation weichen. Soweit so gut. Der Eintritt ist mit 12 Euro recht happig, dafür sind mit SHEARER aber auch eine okaye und mit SKEPTIKER eine super Supportband dabei. Die erst genannten legen dann auch pünktlich los.

Plätschert recht gefällig, aber haut mich wahrlich nicht vom Hocker. Punkrock mit Betonung auf Rock ... Schnunkel, schunkel! Peinlich wird es, als die Band mit dem Publikum interagiert. Das hasse ich ja immer, dieses "Wir sagen Blabla! - Ihr sagt Bla!" Unverständlich, dass ich da immer wieder Kasper finden, die das mitmachen. Das wird nur von diesen Bollo HC Bands getoppt, am besten aus den Staaten, die ihre Jünger vor der Bühne auffordern, den "fuckin' Circle Pit" zu machen, aber "fuckin' California Style!" Fuck that corporate Shit!!

Die Pause zwischen SHEARER und SKEPTIKER kann zum Schnappstrinken genutzt werden und ich muss sagen, dass die Getränkepreise im Treibsand immer noch sehr fair sind. Ein Tequila für einen Euro, das geht runter wie Öl, im wahrsten Sinne des Wortes! Die SKEPTIKER haben dann das Publikum mit ihrem feisten Deutschpunk schnell auf ihrer Seite und auch ich komme bei den Klassikern wie "Deutschland, halt's Maul!" oder "SAUEREI!" voll auf meine Kosten. Das ist plakativer Deutschpunk, gerade raus, ohne interpretierfähige Zwischentöne! So soll das, so muss das! Kostprobe? "Ich seh' eine Wand, voll mit Terrorparolen und irgendwie fühle ich mich zu Haus / ich hab meinen Frust und die anderen die Kohlen und läuft das so weiter, dann RASTE ICH AUS! SAUEREI! SAUEREI! SAUEREI!" Jaaaa ... !! SKEPTIKER machen das ganze ja auch nicht erst seit gestern, aber ich muss sagen, die haben es immer noch auf dem Kasten. Lohnt sich, einen besseren Aufwärmer für DRITTE WAHL kann ich mir gar nicht vorstellen.

Eine kurze Umbaupause kann zum Schnappstrinken verwendet werden. Mir fällt auf, dass der Altersschnitt im Publikum recht hoch ist, die meisten Besucher sind so um die 30. Ich vermute mal, dass das auf die doch recht happigen 12 Euro Eintritt zurückzuführen ist. Aber egal, auch die alten Säcke sind heiß auf die Rostocker, die dann auch alsbald die Bühne entern und von Sekunde eins an Vollgas geben. Übrigens sind die kein Trio mehr, sondern nunmehr zu viert. Ein Keyboarder ist jetzt dabei!? Da rechnet man natürlich mit dem schlimmsten, aber ich muss sagen: Das passt! Unaufdringlich unterstreicht der Klimperkasten die Melodien, das kommt gut. Der Keyboarder sieht zwar aus wie Rainer Langhans, aber headbangt hinter seinen Tasten wie besessen und macht richtig Attacke! DRITTE WAHL haben ja mittlerweile eine ganze Batterie an Klassikern und geben diese auch ausgiebig zum Besten: "Sonne und Meer", "Greif ein", "Wir sind Dritte Wahl", "Tobias geht ins Licht", "Plakativ", alles dabei. Von der neuen Platte wird ebenfalls einiges gespielt, besonders gefällt "Wo ist mein Preis?". Leider spielen sie nicht "Nichts geschafft", mein Lieblingslied der Rostocker, und auch "Bad K.", eine Art Metal-Crossover Rap Ding, das von der Ermordung Wolfgang Grams handelt, wird diesmal leider ausgelassen. Dafür gab es ein sehr gutes, wenn auch sehr metaliges Cover von SCHLEIM KEIMs "In der Kneipe zur trockenen Kehle". Nach zwei Zugaben ist dann Feierabend, schwitzende Leiber drängen in Richtung Ausgang. Überall zufriedene, beseelte Gesichter. Die After-Hour wird ins VEB verlagert und kann zum Schnappstrinken genutzt werden. Ein paar Stunden später liege ich eingerollt  in einem Schlafsack auf dem Boden bei einem Kumpel. Beim Einschlafen habe ich diesen Geschmack im Mund, diese Mischung aus Bier, Schnapps und Zigaretten. Der Geschmack des DEUTSCHPUNKS! Ein wahrlich guter Abend!

Kommentare   

0 #4 JanML 2012-03-09 21:32
Sehr guter Bericht!
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0 #3 MetalSon 2012-03-09 07:35
Sehr gut geschrieben.
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0 #2 czassi 2012-03-09 01:34
geil! mal ein richtig guter bericht aus lübeck. das freut mich!
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0 #1 Philipp 2012-03-08 23:09
Top-Einstand!

Wär übrigens auch sehr gern zu diesem Konz gekommen, aber die Vladis mussten ja im Studio werkeln.
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