ALARMSIGNAL, KV12 / 29.07.2021 – Hamburg, Molotow

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„O tempora, o mores!“, weiß der (kleine) Lateiner und verweist auf Cicero. Aber ist es zur Zeit wirklich so schlimm? „Nichts wird nach der Pandemie so sein wie vor ihr“, titelte der Spiegel – immerhin das selbsternannte Sturmgeschütz deutscher Demokratie - vor knapp einem Jahr. „Was machen, wenn die Dogge keinen Hundekuchen mehr aus dem Blechnapf fressen will?“, fragte daraufhin eine aufgebrachte Redakteurin der ´Familie mit Hund´ in einer Sonderausgabe - jedoch blieb sie eine Antwort schuldig.

 

ALARMSIGNAL

Bericht und Bilder von Doom Fränk



Alarmsignal und KV12 spielen heute im Molotow. Ich kenne beide Bands nicht, also hin da! Immerhin habe ich Alarmsignal kurz online angecheckt und für „eigentlich ganz geil“ befunden. Prinzipiell kann der Hauptact auch gar nicht soooo schlööööcht sein, da es sich um ein Zusatzkonzert handelt. Das ursprünglich angesetzte Konzert findet am Folgetag statt und ist bereits ausverkauft. Gleiches ist nun auch heute Abend der Fall und das Molotow verkündet über Funk und Fernsehen „Sold Out“.



Auf die letzte Sekunde erscheint Don am Bahnsteig – beruflich ist er momentan heftig eingespannt und schiebt eine Überstunde nach der anderen – und wir entern den Regionalexpress. Die zuvor so oft genutzten stündlichen Verbindungen nach Hamburg um ca. 5 Minuten vor Halb sind Corona zum Opfer gefallen und nur noch zur vollen Stunde pfeift nun der Schaffner zum Aufbruch. Natürlich besteht auch im Zug Maskenpflicht und gerade deshalb suchen wir uns einen abgelegenen Viererplatz neben der Toilette und trinken erstmal schön Bierchen. Es ist ausgesprochen heiß und deswegen trinken wir gleich noch eins. Und ein weiteres und dann noch eins, weil wir einfach Durst haben. Und da der Durst echt groß ist, noch eins oder zwei. Der Zugbegleiter verhält sich mehr als fair und lässt uns gewähren; manche haben eben mehr Durst als andere…. Es ist nebenbei 15:00 Uhr – Einlass heute bereits 18:00, da muss man zeitig aufbrechen.

 

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Hier ist kurz anzumerken, dass auf der Reeperbahn inzwischen tagsüber und nachts Alkoholverbot besteht, was zumindest mir vorher nicht bekannt war. Also trinken wir unser letztes Wegbier an der Kreuzung am Ende dieser und dackeln hernach rüber zum Molotow.
Der Einlass erfolgt überaus korrekt und gleichsam freundlich. Eines der 3 „G“s muss vorhanden sein, dazu der Reisepass (oder wer hat: einen Personalausweis) und eine kurze Belehrung bezüglich der Wege im Molotow findet ebenfalls statt. Alles aber ausgesprochen freundlich und nicht mit Nena-eskem Gebrüll oder Helge-Schneider-Like Gestampfe.



Die ganze Chose findet natürlich nicht „indoor“ in einem der vielen Säle des Clubs statt. Nein, unter dem Leitsatz „Molotow Back Yard Shows“ geben im Hinterhof mehr oder weniger bekannte Acts das Verstärkerkabel untereinander weiter. Eigentlich ganz gemütlich mit gewissem Open-Air-Flair ist´s hier. Eckig befindet sich die Bühne, seitlich die Bar und dazwischen ein kleiner Merch Bereich. Platzwahl ist frei, nur muss der Sitzplatz per App oder ausgefülltem Zettel registriert werden. Alles bisher super und erneut fällt das freundliche Personal auf. An der Lautstärke wurde nebenbei auch nichts geändert.

 

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„Geiler Scheiß!“, denke ich bereits nach den ersten Takten des Openers `KV12´. Aber nicht nur das, die Band aus Hamburg gefällt das ganze Set über und bereits jetzt hat sich die Fahrt an die Elbe gelohnt.
„Wer weiß oder möchte wissen, was KV12 bedeutet?“, fragt Sängerin Anni das aus Punks, Pauli-Fans, Arbeitslosen und Arbeitssuchenden bestehende Publikum. Ich habe keinen Plan, aber würde es gerne erfahren!! Aber bevor ich mich deswegen zu Wort melden kann, geht es schon weiter. „Wenn es keiner wissen will, dann spielen wir eben weiter geilen Scheiß!“, stellt sie (so oder so ähnlich) klar und sofort geht der geile Punk wieder ab. Ein kurzes Gespräch mit dem mega coolen und schnauzbärtigen Gitarristen nach dem Konzert gibt mir später eine entsprechende Antwort. Gerne könnt Ihr das Thema „Namenskürzel von KV12“ hier im Forum ausgiebig diskutieren und lasst dann auch gleich noch ein ´Like´ da und abonniert meinen Channel (ich sollte wohl weniger Youtube Videos ansehen….). Kleiner Tip von mir: 5

 

KV12



Traditioneller, schön scheppernder und in gleichem Maße melodischer Punk trifft auf Hardcore, der mit der Brechstange eingespielt wird. Background Shouts vermischen sich mit „Oooooooos“ und „Oooooooo-Ooooooooo-Ooooooos“ (oder war das Don?) und decken so das gesamte Spektrum schmutzigen Gitarren-Rocks ab.
„Wir haben (leider) noch nicht so viele Lieder, deswegen spielen wir ein paar Cover von Ichsucht“ – Dieser (so oder so ähnlich) von der Band geäußerte Satz muss kurz beleuchtet werden:
Ichsucht ist ein anderes Wort für Egoismus und nicht die erste Zeile einer herkömmlichen Ebay Kleinanzeigen Mail (Ichsucht billig Möbel). Hier aber steht es für die Vorgänger Band von KV12, die uns bereits mit Krachern wie „Parole Scheiße“, „Stadtkind“ oder aber auch „Konstrukt. No Problem.“ beglückte. Man/frau covert sich also mehr oder weniger selbst. Großartig! Der Grimme Preis ist in greifbarer Nähe! Und nebenbei – egal ob alte oder neue Lieder – sie gefallen allesamt und auch das restliche Publikum erwachte augenblicklich aus dem noch vor Beginn des Konzerts herrschenden Deliriums und fordert nach jedem Lied mehr und mehr.



Dies liegt aber nicht nur an dem raffiniert orchestriertem Unterbau aus Schlagzeug, 2 E-Gitarren und einem Bass, nein, besonders der schmutzig fordernde Schreigesang der Sängerin verpasst dem gesamten Oeuvre der Band etwas frisches und eigenständiges, was in dieser mehrheitlich von Sängern dominierten Musiksparte eher selten zu finden ist. Teilweise ist der ansonsten raue Gesang etwas überdreht, aber das ist keinesfalls negativ gemeint, sondern steht vielmehr in der Tradition großartiger Bands wie Hans-A-Plast oder den X-Ray-Specs. Dazu kommt eine selbstbewusste Bühnenshow, die mich nur an Claude Cool und die einzigartigen The Blue Screen of Death erinnern kann.
Die sozialkritischen, rotzig vorgetragenen Texte tun ihr übriges und handeln von allem, aber gewiss nicht von Ferien auf dem Bauernhof oder Tante Friedas achtundvierzigstem Geburtstag.
Kurzum: beste Vorband, die ich seit langem gesehen habe und damit meine ich nicht nur die letzten anderthalb Jahre. 10 von 10 Astra Flaschen! 10 von 10 Pflastersteinen! 10 von 10 Bullenhelme!
Absolut empfehlenswert: Mal Ichsucht und KV12 bei Bandcamp anchecken! Auch empfehlenswert: Gründliches Händewaschen dann und wann! Nicht empfehlenswert: Hundekuchen an Doggen aus der Hand verfüttern!

 

ALARMSIGNAL

 


Mit einer Enttäuschung und traurigen Gesichtern im Publikum beginnt der Auftritt von Alarmsignal. „Wir haben uns ein ganz tolles Intro für diesen Abend einfallen lassen, können es aber leider aus Zeitgründen nicht spielen“, erklärt uns die Band (so oder so ähnlich). Keine Ahnung, warum alle Bandmitglieder dabei noch Grinsen. Ebenso komisch: später werden sie eine Stunde länger spielen als ursprünglich geplant. Ich hätte dieses ganz tolle Intro gerne gesehen/gehört, aber es fällt nun mal aus. Ist eben so. Schade. Wäre bestimmt toll gewesen und war scheinbar extra für uns heute Abend. Da haben wir halt Pech gehabt.

 

Dafür gibt es nun schnellen Streetpunk - oder besser (politischen) Deutschpunk. Der ist eingängig, teils melodiös und teils hymnenhaft. Nichts ist sperrig und die Verzahnung aus Musik und Gesang funktioniert nach über 20 Jahren Bandgeschichte wie von selbst. Ich frage mich mehrfach, warum mir die Jungs aus Celle bisher unbekannt waren.

 

ALARMSIGNAL

 


„Ihr haltet euch so super an die Corona Regeln!“ - vorher waren Alarmsignal in Hessen und Rheinland-Pfalz unterwegs (also das ist alles recht frei zitiert…) und entweder gab es da andere Bestimmungen oder es war dem Publikum einfach schnurze, denn dort war bereits wieder Pogo vor der Bühne. „Aber das ist gut so, wie es hier und heute ist, da das Molotow Hausrecht hat und dies so möchte“, ergänzt Sänger Bulli (oder jemand anders der Band…egal…). Wenn wir bei ihm zu Besuch wären – ein toller Gedanke nebenbei –, dann würde er uns ja auch bitten, die Schuhe auszuziehen und wir würden diesem entsprechen, da er ja ebenso Haus- bzw Wohnungsrecht hätte. Selbst Berufspunker können teilweise erschreckend vernünftig sein.

 

Gespielt werden Lieder aus allen Phasen der Bandgeschichte, wie ich erfahre, wobei natürlich auf den letzten Alben der Schwerpunkt liegt. „Das nächste Lied ist für alle Arbeitslosen sowie alle die, die es werden wollen!“
Ok, bei so einer Ansage muss ich auch lachen, zucke aber augenblicklich innerlich zusammen. Kommt jetzt etwa der Fun-Punk Teil?!?!? Ich suche bereits fieberhaft nach dem Notausgang, aber sofort kommt die Entwarnung. Alarmsignal sind dafür glücklicherweise zu politisch. Auch wenn sie sich zuweilen gefährlich der vermeintlichen Eingängigkeit des stumpfen Deutschrocks dumpfer Clone derer aus der Stadt mit dem großen Flughafen nähern, schaffen sie es jedes Mal wieder, das Schiff auf Kurs zu halten. Das gelingt bei weitem nicht jedem und eins ist klar: Die Band hat heute Abend richtig Bock – und das ist ansteckend. Am Nebentisch wird inzwischen sitzend Pogo getanzt. Respekt.

 

Einzig der Versuch, das Publikum zu einem fetten Chor hinzureißen, schlägt fehl. „Da zahlt ihr schon so wenig Eintritt und macht dann nicht mal Stimmung….“ – ungefähr so muss es sich zugetragen haben.
Ganz anders ist es, als die Uralt-Punk-Combo „Pur“ aus Bietigheim-Bissingen um den Bürgerschreck Hartmut Engler kurz zitiert wird: Komm mit mir ins Arbeitslosenland – der Eintritt kostet dein Flaschenpfand! Da kocht die Stimmung über und nein, Alarmsignal spielen keinen Fun Punk. „Labyrinthe aus Beton“, „Fertig mit Euch“ oder „Heimat halt´s Maul“ sprechen eine andere Sprache. Wobei ich persönlich „Heimat“ nun nicht soooo schlimm finde…im Gegensatz zu Vaterland oder Muttererde...ich freue mich immer, wenn es wieder Brötchen statt Reis gibt …. Aber nichtsdestotrotz wird das Thema in dem Lied viel subtiler und feinfühliger angegangen und außerdem ´where i lay my head is home´.
„Für alle, die im Publikum maulen, dass sie die ganze Zeit sitzen müssen: Nun wisst Ihr endlich, wie es mir bei jedem Konzert geht!“ – Diese Weisheit des Schlagzeugers sollten wir alle in Zukunft beherzigen. Da, hinter der Bassdrum und zwischen den Becken, sitzt einer der größten Denker unserer Zeit.
Zum Abschluss wird noch als Überraschung ein weiterer Sänger auf die Bühne gebeten, der voller Inbrunst das letzte (?) Lied ins Mikro brüllt. Ein Lied über die Schönheit der Natur wird es vermutlich nicht gewesen sein, ein super Abschluss aber dennoch. Aber was passiert da neben ihm? Bulli, bisheriger  Sänger, sitzt plötzlich auf den Schultern des Bassisten und beide spielen weiter als wäre morgen Maria Himmelfahrt. Da wird die vermeintliche „Pyramide“ der Scorpions ad absurdum geführt!! Da wird aus Hannover ein schlechter Witz an der Leine gemacht. Super! Super!! Super!!! Das ist Zucker für die Augen!!!!

 

ALARMSIGNAL

Der muss es gefallen haben - sie blieb bis zum Schluss

 


Also schnell zum Mercher und alles kaufen, was nicht festgeklebt ist. Ich habe schon so lange kein Geld mehr für CDs, Topflappen, Schals und rosa Hasskappen ausgegeben, dass ich inzwischen diesbezüglich willenlos geworden bin. Ich nehme alles! Und kann nur alle anderen Bands da draußen auffordern: Kommt! Kommt zurück und bringt Merch mit! Kommt wieder und nehmt mein Geld! Ich hab so lange nichts mehr auf Konzerten ausgegeben, es ist für alle genug da!!!



Fazit: Mega!!! Da kann man nur hoffen, dass der Spiegel sich irrt und nach Corona alles so sein wird wie davor. Mit einer Ausnahme: Die Bahn muss mal was machen – natürlich juckeln wir wieder stundenlang im Schienenersatzverkehr nach Kiel zurück….ach…und die Dogge frisst inzwischen ihren Hundekuchen auch wieder aus dem Blechnapf….

Kommentare   

0 #1 Peter Lustig 2021-08-05 13:00
Hey Doom Fränk, ich habe die Sonderausgabe der Familie mit Hund verpasst, kann ich mir diese bei Gelegenheit einmal ausliehen?
Danke, Peter
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