HELL OVER HAMMABURG IX / 03.03.2023 – Hamburg, Markthalle, Tag 1

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Philipp: Man mag den folgenden Teilsatz ja gar nicht mehr schreiben, aber nach zwei Jahren coronabedingter Zwangspause ist das HELL OVER HAMMABURG endlich zurück. Und wie! Das Billing bietet wie immer das Beste aus allen guten Metalgenres. Fast könnte man von einer Art „Best Of HOH…“-Besetzung sprechen, stehen doch mit HIGH SPIRITS, RUINS OF BEVERAST, SANHEDRIN, IMHA TARIKAT oder DESASTER diverse schwere Kaliber auf der Bühne, welche das HOH-Publikum in der Vergangenheit hart gefeiert hat. Dazu kommen ein paar frische Bands, die geile Scheiben abgeliefert haben, z.B. WHEEL, RUMOURS, HEXENBRETT, EURYNOMOS und STYGIAN CROWN. Mit BRUTUS hat Wolf einen herrlichen Trip in nichtmetallische Gefilde gebucht, auf den ich mich sehr freue. Ich möchte am liebsten alle Combos genießen, kann aber RUMOURS wegen des frühen Beginns leider nicht sehen und am Samstag verpasse ich aufgrund der Überschneidungen in Marx und Markthalle YXXAN und DROWNED. Aber der Rest wird eingetütet, also ab:

Torsten: Yeah! Gestern HoH – Warm Up im geliebten Bambi! Heute: Endlich!!! wieder HELL OVER HAMMABURG in der Markthalle, endlich wieder viele vertraute Gesichter, endlich wieder die abwechslungsreichste Underground Mugge!

Das Billing glänzt mit tollen Namen, die Vorfreude ist übergroß, die Spannung steigt minütlich! Was beim Eintreffen sogleich auffällt: es ist am Freitagnachmittag schon so voll wie generell am Samstag! Wohl alle ausgehungert ...

 

STALLION

Bericht von Torsten und Philipp, Fotos von Taina, Torsten und Silvia. 

 

Philipp: Wir stolpern gegen 17:00 Uhr ins Foyer der Markthalle und ich fühle mich überfordert: Boah, ist das schon voll! Eben stand ich noch vor ‘ner Schulklasse, plötzlich bin ich umringt von freundlichen Freaks. Und ich will alles zur gleichen Zeit: Pullern gehen, Bier holen, mit allen sabbeln und einen Platz vor der Bühne suchen. First things first, also erst mal aufn Lokus. Ich erwische sogar eine Kabine und denk mir, dass es praktisch wäre, jetzt schon den Gehörschutz in die Ohren zu tüdeln. Ich hab ja Hördingsies von Amplifon, sehr zu empfehlen. Beide Seiten sind natürlich unterschiedlich geformt, da sie ans jeweilige Ohr angepasst sind. Deshalb ist Licht ganz geil bei der Prozedur. Nun reißt mir aber das Gummi, welches beide Seiten miteinander verbindet und plumps fällt der linke Hörschutz auf den Boden und hüpft auch wie ein Flummi in eine der Nachbarkabinen. Nur in welche? Ich muss tatsächlich aus der Klokabine raus und auf die Knie gehen, um den Boden überblicken zu können. Nur leider hocke ich nun zwischen pissenden Leuten, die mit heruntergelassenen Hosen vor den Pissoirs stehen. Die gucken auch eher sparsam, einer sagt: „Äh, Moment!“ Aber da entdecke ich den Hörflummi auch schon. Natürlich ist die Kabine besetzt und irgendwie wird es auch langsam unangenehm hier so rumzustehen. Da beginnt der Kerl in der Kabine, in welcher auch das Corpus delicti liegt, zu singen und zu stampfen (!) an. Wie kann der schon so voll sein, es hat doch erst eine Band gespielt? Ich merke: Nun muss beherzt zur Tat geschritten werden, bevor der zügellose Asi noch mein Gerät zerstampft, gehe noch mal in die Knie und lange unter der Tür hindurch, wo ich dann auch schnell an das gesuchte Objekt komme.  Das ist noch mal gutgegangen! Jetzt aber rein in die Halle und STALLION gönnen!

Torsten: Zwar verpasst unser illustres Grüppchen die eröffnenden Goth – Rocker RUMOURS, die nur zu gut in das "Konzept" dieses Festivals passen (zart, hart; hässlich, schön), aber das lässt sich für dieses Mal so halbwegs verschmerzen, denn es folgen heute noch weitere hochkarätige Bands (und ne Clubtour von RUMOURS sicher auch). Immerhin ernte ich noch die aktuelle LP ab, welche ein dunkel-schönes Trostpflaster darstellt.

 

RUMOURS

 

Philipp: Die Hengste erobern dann auch wieder alle Headbangerherzen im Sturm. Denn verlernt haben sie nichts, dazu ist der Sound gewaltig. Die Gitarren galoppeln, die Drums donnern, der Bass wämst unerschütterlich und über allem thront Paulys Gesang. Letzterer screamt sich unerbitterlich durch den Stahl, aus dem Stücke wie „Waking The Demons“, „No Mercy“ oder „From The Dead“ geschmiedet sind. STALLION sind ja nicht nur musikalisch super, sondern punkten zusätzlich noch mit klaren Botschaften. Der Klopfer „Kill Fascists“ wird heute sogar zweimal geballert. Kann man machen! Als Pauly plötzlich mit einer Regenbogen-Pride Flagge auf die Bühne kommt und diese schwenkt, reagiert das Publikum mit einem begeisterten Aufschrei. Was für ein schöner Moment! Herrlich aber auch die RUNNING-WILD-Einflüsse in „Wild Stallions“. Die Stimmung ist jetzt schon auf dem Siedepunkt, obwohl das Festival gerade erst begonnen hat. Mit Sprechchören und fliegenden Köpfen feiert der Mob die Band bis zum finalen „Canadian Steele“ ab. Geil!

Torsten: Rechtzeitig zu STALLION sind wir dann vor der Bühne. Die Jungs vom Bodensee sprühen vor Energie und guter Laune. Damit haben sie die volle Halle sogleich fest im Griff! Gesehen hab ich STALLION bisher noch nicht – leider, wie ich jetzt bemerke. Ihr Heavy-/Speed Metal ist verdammt gut, sie wirken absolut sympathisch und lieben einfach was sie tun (das geht nicht jedem Besucher so: zu aufgesetzt oder persifliert erscheint die Band; da gibt`s eher ne negative Gänsehaut – und hernach ne Diskussion über's für und wider ... - aber gestern ging es mir mit Turbokill ja ähnlich ...). Bei mir landen STALLION jedoch an der richtigen Stelle. Nicht nur die Musik ist Top (was für geile Riffs und noch geilere Gitarrensoli!!!) sondern auch die politische Einstellung. Gegen Nazis! Für Toleranz, Respekt & Menschlichkeit! So mag ich das! Die Halle frisst den Hengsten aus den Hufen und dreht in der Koppel am Rad! Bodensee liebt Elbe und umgekehrt! Ich werd hier noch zu(m) "Wild Stallion(s)".

 

STALLION

 

Philipp: Erfreulich, wie regelmäßig das New Yorker Trio den Weg auf deutsche Bühnen findet. Gefühlt hat nicht mal Corona SANHEDRIN irgendwie aufhalten können. Auf ihren drei Alben bieten sie einen unaufgeregten Mix aus Hardrock und NWOBHM. Die Melodien setzen sich hartnäckig fest und werden live dementsprechend von vielen mitgeschmettert. Erica Stoltz besitzt eine einzigartige Stimme, welche die Band endgültig aus dem Meer der Newcomer hervorstechen lässt. Leider ist der eigentliche Schlagzeuger Nathan Honor aufgrund einer Verletzung für diese Tour verhindert. Sein Ersatz (Macky Bowman) macht einen guten Job, spielt aber nicht ganz so lässig und entspannt. Dennoch sind natürlich alle Hände oben, als SANHEDRIN Bomben wie „Riding On The Dawn“, „Blood From A Stone“, „Collateral Damage“ oder „Scythian Women“ mitten in unsere Hirne pflanzen. Der Sound ist wie bei fast allen Bands perfekt, so kommen zum Beispiel die geschmackvollen Gitarrensoli herrlich zur Geltung.

Torsten: Was für einen Sprung, was für ein tolles Album haben SANHEDRN denn mit ihrem aktuellen Output "Lights On" abgeliefert? Jeder Song ein Killer; das Trio kommt damit sooo auf den Punkt! Eine wahre Pracht ist das. Jetzt, zum wiederholten Male, wieder auf der Markthallen – Bühne. Ich hab Bock auf die neuen Songs. Doch beinah wären die Lights "Off" gewesen; kein Auftritt heute. Denn Schlagzeuger Nathan bricht sich kurz vor dem HoH den Fuss. Aber! Aufgeben is' nich'! Und so wird mit Macky Bowman ein würdiger Ersatz vorgestellt. Nathan sitzt aber trotzdem, zwar nicht auf dem Drumhocker, dafür aber hinter dem Mischpult. Dort zimmert er seiner Band einen amtlichen Sound. Mit jedem Song wird die volle Halle mehr elektrisiert. Der Fokus liegt auf dem aktuellen Dreher: "Correction" (mit diesen geilen NYHC - Gangshouts), "Lost At Sea" und nicht zuletzt "Scythian Woman" – alles absolute Brecher. SANHEDRIN powern und shredden und fühlen sich sichtbar wohl auf dieser Bühne; wohl auch in dieser Stadt (ein T-Shirt mit extra HoH`'23 – Design sagt da mehr als tausend Worte). "Lights On"! Frei übersetzt: "(Ich hab) alle Lampen an!"

 

SANHEDRINSANHEDRIN

 

Philipp: Auf ein Wiedersehen mit Ex-DESASTER-Schreigräte Okkulto hatte ich mich hart gefreut. Dass morgen dann gleich noch DESASTER selbst spielen, gleicht natürlich für Freun:innen der Hellbangers Moselfranken einer Vollbedienung. EURYNOMOS ziehen mit ihrem Black/Thrash Metal dann auch geil vom Leder, unterbrochen allerdings von fiesen Bass-Feedbackbrummern. Dreimal tritt ein massives Brummen auf, und zwar exakt bei den Songs drei, fünf und sieben. Was diese unheilige Zahlenmystik bedeuten mag, wissen wohl nur um Mitternacht masturbierende Blasphemiker.  Das kann den Spaß natürlich nicht mindern, bei „Pantokrator“, „Spell Of Necromancy“ und „Eye Of The Pantheon“ bleibt kein Auge trocken. Dafür fallen diese kleinen Rumpelwunder zu schmissig aus. Im Vergleich zu DESASTER wirken EURYNOMOS (noch?) nicht ganz so souverän auf der Bühne, haben aber mit Sicherheit auch noch nicht viele Shows gespielt.

Torsten: Mit EURYNOMOS wird es im Folgenden dunkel und schwarzmetallisch. Der Bandname verdreht mir jedesmal beim Aussprechen die Zunge und ich weiß nicht wirklich, wer hinter dieser Band steckt, bis man mir erzählt, dass hier der frühere DESASTER – Frontmann rumdeibelt. Kann also sooo schlecht nicht sein. Die Band kriegt mich allerdings nicht. Dabei sind die Zutaten doch gut: Venom und Bathory; schwarz, thrashig, räudig. Kommt bei mir aber so an: Bass – Sound nicht stimmig, Frontmann zu überzeichnet, Songs zünden nicht. Hmm, haste ja mal ... Als ich am nächsten Tag per Konserve nochmal in die Songs reinhöre, gefällt's mir aber tatsächlich deutlich besser. Brauche wohl etwas Anlauf für EURYNOMOS...

 

EURYNOMOS

 

Philipp: BRUTUS räumen dann wirklich komplett ab! Alle Anwesenden erleben ein durchweg fantastisches Konzert, von dem noch lange geredet werden wird. Schlagzeugerin UND Sängerin Stefanie Mannaerts hat ihr Set seitlich am Rand aufgestellt. Ich stehe genau auf der Seite und kann ihr super zugucken. Die Band ist einfach nur erstaunlich. Und das nicht nur, weil Mannaerts ihr Drumming und ihren Gesang derart beeindruckend gestaltet. Nein, vor allem das Zusammenspiel aller drei Musiker:innen erzeugt Magie. Wie hier das Tempo variiert wird, ist ganz große Kunst. Die Songs steigern sich in trippige Eskalationen, sphärische Melodien treffen auf brutale Knüppelei. Metal ist das nicht, aber da das HOH-Publikum aus scheuklappenfreien Musikliebenden besteht, hebt nach ein paar Songs fast die Hallendecke ab. Die Leute singen mit, tanzen, aalen sich im Klang. Für viele markieren BRUTUS gar den Höhepunkt des Tages. Ich freue mich jetzt schon auf das Gastspiel der Belgier:innen im Molotow (Juni)!

Torsten: Ganz anders dagegen für mich bei BRUTUS. Der "Post" – Aspekt der Band stellt eine willkommene Abwechslung im generell wilden Soundgemenge des HoH dar. Beinah ruhig und andächtig wirkt die Musik hier manchmal. Um dann wieder mit unbändiger Energie, Geschredder, Speed und Geschrei auszubrechen. Das Trio aus Belgien erhält von Platte zu Platte mehr Aufmerksamkeit; wobei ich sie heute zum ersten Mal erlebe. Dafür bin ich dann vom ersten Ton an überzeugt! Was für Hammer – Songs sind denn "Brave" und "What have we done" bitte? Nicht nur diese Dynamik in den Songs, sondern auch die Texte. Inbrünstig und mit Tiefe dargeboten von Frontfrau Stefanie. Und dann zu solchen Messages auch noch akzentuiert Schlagzeug spielen. Natürlich steht sie damit im Mittelpunkt des Interesses. Alle Augen und Ohren sind auf die Fronttrommlerin gerichtet. Ihre Sidekicks an Gitarre, Bass und Effektpedalen machen aber eine ebenso gute Figur. Dieser Soundteppich ist einfach eine Wucht! Ich hab den Eindruck, die Markthalle weiss garnicht recht wie ihr geschieht: zum Teil völlig verzückt lauscht das Publikum den BRUTUS – Klängen. Tosender Applaus nach jedem Stück. Band und Publikum tauschen ordentlich Energie aus. BRUTUS ziehen zu lassen fällt echt schwer; man möchte noch ewig in den flirrenden Gitarrenharmonien, der ausdrucksstarken Stimme und den fetten Basslinien schwelgen...

 

BRUTUSBRUTUS

 

Philipp: Ganz andere Baustelle, und doch ähnlich intensiv: THE RUINS OF BEVERAST. Ich finde es ja wahnsinnig, wie Meilenwald den Sound der Band auf den bisherigen neun Alben weiterentwickelt und verändert hat. Mein Favorit bleibt das 2013er Werk „Blood Vaults – The Blazing Gospel Of Heinrich Kramer“, aber ich liebe auch den deutlich melodischeren Ansatz von „The Thule Grimoires“. Zäh, dickflüssig fließen die Stücke aus der PA. THE RUINS OF BEVERAST erweisen sich heute als Meister der Monotonie und walzen die Songs teilweise noch länger aus als auf Platte. Kommt mir vielleicht auch nur so vor. Trotz Kenntnis aller Songs steht man fassungslos da und wartet förmlich auf ein erlösendes Break, jenes kommt und kommt aber nicht. Das ganze Konzert gleicht einem misanthropischen Wutklumpen, die Grundstimmung muss als widerlich, abstoßend und nihilistisch bezeichnet werden. Ich bin Fan.

Torsten: ...bevor es im Folgenden wahrlich ruinös wird - THE RUINS OF BEVERAST zelebrieren ihre Art von Dunkelheit und bringen jede Menge Qualen und ewige Verdammnis mit nach Hamburg! Was jetzt ertönt, spottet fast jeder Beschreibung. TROB entfesseln einen Mahlstrom, ein schwarzes Loch: alles wird mit sich gerissen und verschlungen. Kein Licht, keine Hoffnung! Nur abgrundtiefe Schwärze. Alles zermalmende Riffs erdrücken dich. Du versuchst zu fliehen? Keine Chance – die gefühlt ewig sich wiederholenden Riffs ziehen dich unweigerlich mit hinab. Getrieben entweder durch Blast Beats oder durch schwere Doom- Attacken näherst du dich dem Delirium. Der Sound ist so dick und Saalfüllend, dass er dich quasi umarmt. Dich nicht mehr los lässt. Du ergibst dich dem finsteren Sog, den Riffs und der heftigen Rhythmik, tauchst ein in lichtlose Dunkelheit, aus der nur manchmal zartere Orgelklänge oder orientalische Momente Wut, Trauer und Verderben erhellen. Was für ein Abschluss des ersten Festivaltages! Was für ein Brocken von Konzert!

 

THE RUINS OF BEVERASTTHE RUINS OF BEVERAST

 

Philipp: Derber Tag mit so vielen tollen Eindrücken! Morgen kommen dann noch die Konzerte im kleinen Marx dazu. Ohauer, was das wohl wieder wird? Wir berichten. Stay tuned!

Bewertung: 5 / 5

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