YO LA TENGO / 20.04.2023 - Hamburg, Uebel und Gefährlich

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Rammeldickebumsevolles „Uebel & Gefährlich“ bei YO LA TENGO gestern Abend. 200 Leute weniger wäre auch ok gewesen. Andererseits: „Wie schön, daß so eine Band 40 Jahre nach ihrer Gründung hier nochmal den Schuppen füllt.“ Denke ich dann immer. Dabei war es vielleicht eh klar, daß Yo La Tengo heute vor ausverkauftem Haus spielen würden, denn der Altersschnitt liegt vielleicht so bei 40schießmichtot. Ich kann sowas selten einschätzen. Außerdem wird ja alles immer bescheuerter, und da freut sich der Mensch über Dinge, die er versteht und auf die er sich verlassen kann. Yo La Tengos aktuelles Album heißt „This Stupid World“, und auf ihm klingen sie verläßlicher denn je.
 
 
YO LA TENGO
 
 
Wie jede wirklich gute Band verfügen YLT über ein paar Eigenschaften, die sie fundamental von irgendwelchen hergelaufenen ja-ja-ganz-geil-irgendwie-Kapellen unterscheiden. Da wäre zum Beispiel die Tatsache, daß sie selbst in ihren feedbackzerstörtesten Momenten definitiv nicht fett klingen. In der Rolling-Stone-Rezi zum neuen Album träumte der Kritiker mal kurz davon, wie großartig Yo La Tengo klingen könnten, wenn sie sich von einem Superproducer mal so richtig scheckheftmäßig optimizen, megamastern und amtlich durchlackieren ließen. Mir schleierhaft, wie man auf solche Fantasien kommt. Ira Kaplans Gesangsorgan ist genau das, was Neil Young (und der ist mit seinem dünnen, hohen, unzuverlässigen Sound wahrlich der Richtige dafür) einstmals eine „shaky voice“ nannte. Mit diesem wonky tone wirst du niemals Leadsänger in einer Rockband, und Ira Kaplan wurde es doch.
 
Im engeren Sinne tight sind sie auch nicht: In Georgia Hubleys Schlagzeugspiel finden sich timing-Schwankungen, kleine Stolperer und manchmal unterschwellig eine gewisse Willkür. Die Art, wie sie mit diesem beinah griesgrämigen Gesicht auf ihr Kit eindrischt (oder es mit Besen bespielt) und dabei theoretisch aussieht, als käme sie gerade vom Rasenvertikutieren, läßt an Maureen Tucker denken, die legendäre Schlagzeugerin der mythischen VELVET UNDERGROUND, und diese Assoziation ist valide: Yo La Tengo haben sogar mal in einem Film die Velvets gemimt, als Band auf der Setbühne, und was das Ausloten der Distanz zwischen Zartheit und QTSCHKRCH angeht, zieht die Parallele sich fast von selbst. Was fehlt, sind die opiatverklebten, psychologischen Abgründe und das aggressiv Antibürgerliche. Hinsichtlich ihres Status als gitarrendominierte Indie-Institution erinnern sie an SONIC YOUTH (die sie auch längst überlebt haben), sind aber nicht so offensichtlich cool as fuck. Vielmehr unglamourös, zurückgenommen, introvertiert und in der Begegnung durchaus warmherzig. Experimental jet set? Nein. Trash? Manchmal. No star? Auf jeden Fall.
 
Außerdem covern sie viel. Außer den MELVINS fällt mir keine Under-, naja, vielleicht eher Middlegroundband ein, die so viel covert. Seit 1996 schleppen sie jährlich ihr Zeug in den Aufnahmeraum des Lokalsenders WMFU und spielen auf Zuruf alles, was Anrufer:innen, die gleichzeitig für einen guten Zweck $$$ spenden, sich wünschen. Die beiden nur über die Homepage erhältlichen Alben „Yo La Tengo Is Murdering The Classics“ [2006] und „Murder In The Second Degree“ [2016] sind mehr als beredte Zeugnisse dieser wahrlich furchtlosen Unterfangen: Da ist von „You Ain‘t Seen Nothing Yet“ über „Sweet Dreams“ bis hin zu „Pay To Cum“ alles dabei, was man sich vorstellen kann - und Etliches, worauf man im Leben nicht gekommen wäre; schnell zusammengestoppelt, im besten Fall erinnert, nach dem Motto „So müßte es gehen“ ins Kurzzeitgedächtnis gepackt und todesmutig losgerockt. Heute Abend wird Ira Kaplan am Ende einer vielleicht eine Viertelstunde andauernden Version von „I Heard You Looking“ [„Painful“, 1993] auf seiner Jazzmaster rumdaddeln, als wäre er gerade auf der Suche nach einer Idee. Zum eigenen Denkmal sedimentierte Gediegenheit ist Yo La Tengos Sache nicht. Und im Zugabenblock spielen sie „The One To Cry“ von den mir natürlich zu 100% nicht bekannten ESCORTS. „For all you Escorts fans out there“, wie es Ira Kaplan eher selbstironisch als süffisant kommentiert - übrigens ein Song von „Fakebook“ (nicht Facebook, ihr Phukker) aus dem Jahr 1990, einem von bisher 2 reinen YLT-Coveralben.
 
Aber anfangen tun sie mit dem „This Stupid World“-Opener „Sinatra Drive Breakdown“; dem YLT-Stück, auf das man nach Jahren, in denen sie mit Ambient und Improvisation experimentierten, schon ein wenig gewartet hatte. Warum 2 Akkorde, wenn einer genügt? „I see what you see, I see wintеr still / I see clearly how it ends“, singen Hubley und Kaplan, und man ahnt, daß „es“ nicht gut enden könnte, wie das halt so ist in diesen Zeiten. Lustig irgendwie, daß einem da ausgerechnet Ira Kaplans Gitarrenfreakouts Halt geben, und der Erste von Vielen am heutigen Abend kommt schon nach der ersten Strophe.
 
 
YO LA TENGO
 
 
Natürlich hat dieser minipligelockte ewige Ringelshirt-Indiegrandpaboy ein Repertoire. Er spielt ja nicht total irgendeinen Kram, der ihm halt grad so unter die Griffel kommt. Aber „spielen“ ist dann eben auch schon zuviel gesagt bzw. mutet angehörs dessen, was Ira Kaplan in den kommenden über 2 Std. mit gnadenloser Regelmäßigkeit abzieht, irgendwie banal oder weltfremd an. Es ist so entschieden antivirtuos und losgelassen, es ist LÄARM, verdammt, immer an der Grenze zum völligen Kontrollverlust, aber Ira Kaplan weiß natürlich genau, was er da tut und versinkt doch gleichzeitig total in seinem apokalyptischen Schlamassel; zuckt wie unter Strom, torkelt, bringt sein Instrument in Gefahr, macht quasi-gitarristische Sachen und ist und klingt simultan so ungitarristisch wie nur was. Er ist einer meiner Lieblingsgitarristen. Ich vergesse ihn manchmal neben all den konventionellen Gitarrentypen, die ich halt so gut finde, von Billy Gibbons bis Buddy Gorilla.
 
Gleich an zweiter Stelle bekommt Bassist James McNew einen seiner seltenen Gesangseinsätze: Der leicht shuffelnde Stoa-Beat von „This Night‘s Episode“ geht in Richtung Krautmotorik, dazu spielt McNew eine minimalistische Baßfigur, und Ira Kaplan hat sich ans Keyboard verzogen, dem er schläfrige Drones entlockt. Ich drone meine Liebste darüber voll, wie ganz erstaunlich fantastisch ich es finde, daß YLT seit jeher schon Vieles von dem an Bord hatten, das derzeit mein eigenes Musikhören bereichert: Experimente, Dekonstruktion, Ambient, sogar und schon seit Langem Folk, bei YLT natürlich in amerikanischer, nicht keltischer Tradition (wobei man diese beiden Strömungen musikhistorisch ja auch nicht so ganz voneinander trennen kann. Schwafel. Sie läßt es über sich ergehen, genau wie Ihr da draußen auch. Bezüge, Baby).
 
McNews anderes Stück ist „Stockholm Syndrome“ von „I Can Hear The Heart Beating As One“ [1997], einem der großen, ruhmbegründenden YLT-Alben: Ein LIED; mit a-moll, C, F, C7, e-moll vielleicht, und pünktlich nach dem ersten Durchlauf ZERBALLERT Ira Kaplan 30 Sekunden lang die ganze schöne Schlichtheit mit einem Noise-Solo, so laut, daß man das Schlagzeug nicht mehr hört. Das ist schon beinah Slapstick, man muß an Das Tier aus der Muppets-Show denken.
 
Ein weiteres dieser bedeutenden YLT-Alben ist „And Then Nothing Turned Itself Inside Out“ [2000], und hiervon spielen sie im ersten Set „The Last Days Of Disco“, einen meiner Favoriten, ein psychedelisches Erinnern an eine romantische Begegnung auf der Tanzfläche. And the song said: „Let‘s be happy“, and I was happy. Handelt dieser Song vom Kennenlernen des heutigen Ehepaares Hubley-Kaplan? Nach dem semi-lauten Einstieg haben Yo La Tengo fast unmerklich 5 Gänge zurückgeschaltet. Mit dem überirdisch schönen, fast shoegazigen „Miles Away“, zu dem Georgia Hubley ans Frontmikro tritt und ihren wundervollen, hauchenden Gesang ertönen läßt, gehen sie in die Pause. Hier konnte der Mischer nochmal so richtig vorführen, was er draufhat: Selten so einen dreidimensionalen Sound bei einem Konzert gehabt. „Great sound!“ kumpele ich ihm zu, aber er macht abwehrende Handbewegungen, als warne er mich vor zu frühem Lob. „Now the loud set.“
 
Und das ist nicht untertrieben: Zu Beginn des 2. Konzertteils zwängt sich der riesige James McNew hinter das Schlagzeug des zierlichsten Bandmitgliedes und legt mit Tom und Schellenring einen komplett punchfreien Techno-Bumbum unter Kaplans bereits auf großer Flamme kochende wall of sustain. „This Stupid World“, Titelstück der neuen Platte, wird nur von diesem Puls und den Satzgesängen der 3 Bandmitglieder zusammengehalten. Kaplan hält seine Stratocaster am oberen Cutaway, schlägt sie gegen sein rechtes Bein und schickt die nächste Welle aus Distortion und Elektrizität in den Raum. Bald wird er wieder gebeugt vor seinen Fender-Amps stehen und dem Wimmerhaken zeigen, was ne elektrische Harke ist. Seine Mitmusiker:innen spielen derweil völlig ungetriggert ihr Zeug weiter. Dieser aufreizende Kontrast ist typisch für die musikalische Chemie des Trios: Kaplan eskaliert, und die Anderen lassen ihn machen. Sie zwinkern sich auch nicht an, als würden sie sagen „Ernuwieder“. Manchmal wirkt es fast, als warteten sie einfach nur, daß er fertig wird.
 
Nicht alles ist laut im lauten Set: Da wäre z.B. „Beanbag Chair“, ein lieblich-tapsiger Klavier-Zweiviertel von „I Am Not Afraid Of You And I Will Beat Your Ass“ [2006], auch ein Klassiker in der Diskografie. „Pass The Hatchet, I Think I‘m Goodkind“, mit dem sie mich letztes Mal aus dem „Grünspan“ spielten, wird nicht gegeben, statt dessen „The Story Of Yo La Tengo“, das mich satt macht. Das schon erwähnte „I Heard You Looking“ killt mich dann. Aber das macht nichts, ich lasse mich gern versehren von Musik. Die einzig gute Selbstschädigung, die es gibt.
 
Wir verlassen den Bunker während des Zugabenblocks. Sie haben mich schon wieder aus dem Slot gespielt, und auch das rechne ich ihnen hoch an. Lang lebe Yo La Tengo!

Bewertung: 5 / 5

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