LA DISPUTE, POOL KIDS, OCEANATOR / 28.04.2023 – Hamburg, Uebel und Gefährlich

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„Rammeldickebumsevolles Uebel und Gefährlich“ schrob vor einigen Tagen Kollege Steffan Frahm in seiner Rezension über den Füllzustand eben jener Veranstaltungsstätte. Ha! Da war wohl nicht ausverkauft! Heute sieht es aber anders aus. Schon weit vor dem Bunker sieht man hochgehaltene Schilder, auf denen verzweifelte Ticketgesuche festgehalten sind. „Rein kommt man immer“, sagt der Volksmund. „Geld schafft Plätze“, weiß der Kapitalist. Aber heute ist es anders! Selbst mit Ticket hat man/frau keinen Platz. Der Bums ist megarammeldickebumsevoll². Und das von der Bühne bis hinten zur Wand und von den FLINTA-Toiletten rechts bis zum Raucherbereich links. Mal ehrlich: Wenn das Methode hat, brauchst da eigentlich gar nicht mehr hingehen. Heute Abend wären 400 weniger besser gewesen.

 

LA DISPUTE

 

Egal. Nun sind wir nun mal da. Und trinken Bier. Es gibt tatsächlich Warsteiner. Für mich ein Horror Bier, aber es ist tatsächlich das billigste in dem Schuppen. Und billig geht ja immer. Also runter damit. Das kann man im Zustand des beginnenden Deliriums dann doch tatsächlich trinken und auf dem Becher steht ja Jever. Und irgendwie musst die Zeit ja rumkriegen. Gerade steht nämlich Oceanator aus Brooklyn, NY auf der Bühne.

 

Dabei handelt es sich aber nicht um eine um eine rumpelnde Old School HC Kapelle, die alle 10 Sekunden „Brooklyn“ ins Micro brüllt und ständig „Jump! Jump!“ skandiert. Nein, eine Singer-Songwriterin hat hier den Weg auf die Bretter gefunden. Ist das besser? Nein, ist genauso kacke. Ich kann damit leider nichts anfangen. Singer/Songwriter ist für mich per se ein Reizwort wie Urlaubssperre, Schienenersatzverkehr oder Tierversuch.

 

Bleiben wir aber fair und versuchen, der Objektivität eine Chance zu geben: Es gehört schon Mut dazu, sich auf die Bühne zu stellen. Gitarre spielen kann sie zweifellos auch und ihre sonore Stimme kann besser singen als der gesamte Busfahrer Chor der KVG. Aber ohne Schlagzeug ist das lahm und irgendwie alles zu trockener Indi aus den 90ern. Außerdem dazu auch noch Warsteiner… das schmeckt plötzlich doch nicht mehr. Und viel zu voll ist es jetzt auch schon.

 

Pool Kids freuen sich. Es ist bereits jetzt so eng, dass außer denen direkt an der Eingangstür keiner mehr weglaufen kann. Aus den Boxen kommt nun 90er Indi Rock/Pop, nur diesmal mit Schlagzeug. Scheinbar läuft dies heutzutage unter der Bezeichnung „Emo“, aber die einzige Emotion, die ich bei mir bemerke, ist gepflegte Langeweile. Bonjour Monotonie. Alles klingt gleich und plätschert vor sich hin, die Katharsis – die Läuterung oder der Ausbruch aus Bestehendem – erfolgt nicht. Einfach mal ein Schrei, der die Belanglosigkeit des Gesanges unterbricht, wäre schön. Oder ein paar Blast Beats, damit das Publikum wieder aufwacht. Irgendwann ist´s vorbei und leider genauso voll wie vorher. Schade, ich fand Pool Kids vom Auftreten durchaus sympathisch aber musikalisch springe ich in ein anderes Gewässer.

 

Plötzlich schlagen aber meine Emotionen um. Endlich schließen La Dispute ihre Instrumente an. Nicht mehr lange und meine Füße werden auch wieder aufwachen! Aber eigentlich egal…Bewegen kannst dich hier eh nicht. Weniger Platz hat man nur in einer Maschine der brasilianischen GOL, wenn der Vordermann auch noch seinen Sitz nach hinten macht. Egal, das Warten hat ein Ende! Fairerweise muss man sagen, La Dispute lassen sich nicht lange bitten.

 

Die Band aus Grand Rapids, Michigan hat sich nach einer leidlich lustigen Theater-Komödie von Pierre de Marivaux aus dem 18ten Jahrhundert benannt und mit ihrer „Wildlife“ das beste (Post) HC Album dieses Jahrtausends abgeliefert. Das beste des letzten Millenniums war vermutlich „The Age of Quarrel“ der Cro-Mags.

 

Mit diesem sensationellen Meisterwerk (und das ist noch eine Untertreibung…) sind La Dispute nun auf der überall in Europa ausverkauften 10+2 Tour. Warum 10+2? Das Album war 10 Jahre alt, aber das Jubiläum konnte Corona-bedingt nicht zeitgenau gewürdigt werden, also erfolgt dies nun 2 Jahre später. Dafür wird es heute von Anfang bis Ende gespielt und sogar die Tracklist eingehalten.

 

Und die verwegene Mischung aus (Post-)Hardcore, Emo, Screamo und Spoken Word zündet ab der ersten Sekunde. Sänger Jordan Dreyer (nicht verwandt mit unserem Kieler Jochen Meyer) springt auf und ab, läuft nach links und rechts und degradiert den Rest der Band zu willfährigen Statisten. Würdelos ist das aber keineswegs – zu komplex ist der Aufbau und die Struktur der einzelnen Lieder und zu konzentriert gehen die Gitarristen und der Basser ans Werk – da ist der Drang, auf der Rampe da oben zusätzlich noch den Steinzeitmenschen heraus zu lassen, gar nicht gegeben.

 

LA DISPUTE

 

Die Band greift nicht auf das übliche Strophe – Chrous – Strophe – Chrous Muster zurück – das wäre ja viel zu platt. Stattdessen erzählt jedes Stück eine einzelne Geschichte und kommt ohne die gewohnten „Refrains“ aus. Dazu illustriert der musikalische Unterbau jeden Teil dieser auf eigene Art und Weise. Klar, wie die Musiker sich das alles merken können, habe ich nie verstanden – aber auch wie der Sänger sich an seine Texte erinnert, war mir immer ein Rätsel.

 

Die Antwort kenne ich bis heute nicht, aber das Publikum kann es auch! Wort für Wort wird mitgesungen und immer wieder wird das Microphon in das textsichere Publikum gehalten. Zum Glück stehe ich ganz weit hinten; außer bei „A Letter“ und „King Park“ hätte ich doch überall Aussetzer.

 

Gerade letzteres, ein Lied über ein Drive-by-Shooting und wohl das bekannteste Stück der Band, wird ohrenbetäubend laut intoniert und fast vergesse ich, wie unbeschreiblich voll es ist. Beim letzten Mal in Hamburg war die Stimmung zwar auch gut, aber so textsicher war das Publikum damals dann doch nicht. Dafür bedankt sich Jordan fortwährend und erklärt, dass Hamburg ihm besonders gefällt und hätte er nicht schon eine Butze in Michigan abzustottern, dann könnte er sich durchaus vorstellen, in der Hansestadt zu leben. Aber auch sonst ist er ausgesprochen kommunikativ und nutzt die Zeit zwischen den Liedern, um – umgangssprachlich – zu verschnaufen. 10 Meilen legt er nach eigenen Berechnungen bei jedem Konzert auf der Bühne zurück.

 

Natürlich, der Gesang gefällt nicht jedem. Hate it or leave it (oder so ähnlich) sagt man in Amerika. Mal weinerlich, dann klagend oder auch mal schwermütig – aber nie belanglos und am Ende erfolgt stets der schreiende Ausbruch. Die Sitten sind wieder hergestellt, der Konflikt innen wie außen bereinigt.

 

Ok, viel zu voll war es immer noch…aber… es ist und bleibt das beste HC Album des Jahrtausends – da sind sich ausnahmsweise mal alle Anwesenden einig. 3 Lieder von anderen Alben gibt´s als Zugabe und hernach geht´s im Zug ab Dammtor zurück. Unspektakuläres Ende? Aye – aber spektakulärer Auftritt in einem viel zu vollen Club.

Bewertung: 5 / 5

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