MINERALL, STARGAZER / 08.02.2024 – Hamburg, Bar 227
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- Kategorie: Berichte aus dem Pit
- Veröffentlicht: Samstag, 10. Februar 2024 15:50
- Geschrieben von Philipp Wolter
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Dieser Konzertbesuch erfolgt völlig spontan, gleichzeitig erscheinen uns drei Gründe hinreichend überzeugend: Erst mal sollte man generell noch möglichst viele Konzerte im Bermudadreieck mitnehmen, denn die Tage der Läden an der Hamburger Sternbrücke sind bekanntlich gezählt. Im Fundbureau fand bereits das letzte Konzert statt, in der Bar 227 geht’s noch eine Zeit lang weiter (News: https://initiativesternbruecke.org/news/). Außerdem können wir MJs Bruder Holger überraschen, der bei STARGAZER an den Knöpfen und Rädchen des Bügelbretts hantiert. Und: Zwei mal Impro Space Rock an einem Abend, ist das nicht Grund genug?
Bilder von MJ.
Die Bar 227 ist bereits sehr gut gefüllt, als wir hineinstolpern. Wir treffen sofort auf diverse Bekannte und freuen uns über die vielen Besucher:innen, die bereits voll drin sind im STARGAZER-Sound und zeitlupig mit den Köpfen nicken. Auf der Bühne ist kaum Platz für alle Musiker, weswegen Holger seine Gerätschaften rechts davor aufgebaut hat, der Bassist steht einfach im Mob zwischen den Leuten. Lange, jamartige Abfahrten dröhnen durch den Schuppen. Gesang wird spärlich eingesetzt und darf eher als weiteres Instrument bezeichnet werden, das lautmalerisch Klänge hinzufügt. Das erste von uns miterlebte Stück mäandert locker 15 Minuten vor sich hin. Stonergitarrenriffs schälen sich heraus, fusionieren fluide mit den wabernden Electro-Sythesizersounds. STARGAZER haben sich seit 2019, als ich sie zuletzt sah, deutlich weiterentwickelt. Alles wirkt selbstverständlicher und intensiver. Zeit und Raum verfließen und ich bin mir sicher, dass der Jimi Hendrix an der Wand mir eben zugezwinkert hat. Heute spielt ein dänischer Gastdrummer mit, der vor langer Zeit schon mal mit der Band musiziert hat. Gitarrist/Sänger Martin überrascht alle mit der Information, dass dies „zum letzten Mal 1919 passiert“ sei. Drei sonnenbebrillte Gestalten in schwarzen Mänteln, die bisher gelangweilt in der dunkelsten Ecke saßen, wenden sich schon neugierig der Bühne zu, als Martin die Aussage jedoch korrigiert: „Äh, 2019 natürlich!“
MINERALL schlagen grundsätzlich in eine ähnliche Kerbe. Mir war vorher nichts über die Band bekannt, werde aber mit der Tatsache überrascht, dass mit Tommy (KOMBYNAT ROBOTRON, EARTHBONG) ein Kieler am Schlagzeug sitzt. MINERALL sind offenbar ein Projekt, in dem sich Musiker verschiedener Psych/Doom-Bands zusammentaten und das jetzt mit dem Album „Bügeln“ seine erste Veröffentlichung feiert. Viel mehr als zwei Songs dürften da nicht drauf sein, denn die heute gezockten Instrumental-Space Jams unterschreiten nie die 20-Minuten-Grenze. Wobei es heute auch nicht darum gehen dürfte, die Platte auf der Bühne zu reproduzieren. Mir wird sogar erzählt, dass MINERALL vorher gar nicht geprobt hätten. Doch falls daraus jemand den Schluss zöge, dass die Darbietung unfokussiert oder strukturlos klingen könnte, irrte dieser Jemand. Die Beats kommen heavy, die Übergänge wirken schlüssig und die Dynamik fasziniert. Hier dudeln eben nicht drei Musiker nebeneinander her! Vielmehr erfolgt die Improvisation innerhalb eines kommunikativen Miteinanders, habe ich den Eindruck. Auch sind die drei sich sicherlich einig, dass es gewisse Genregrenzen für sie gibt. Ich höre Krautrock heraus, Psychedelic Rock, Doom, Spacerock, sphärische Ambientklänge und Trancerock. Gesungen wird wie gesagt gar nicht, der Bassist bedient zusätzlich einen Synth. Macht total Spaß, häufig kannste dazu bangen, mindestens aber chillig hin- und herwogen.
Yeah, ein toller Abend in der saugemütlichen Bar 227. Der Eintritt läuft heute übrigens auf „pay what you want“-Prinzip, was gut zu funktionieren scheint. Man mag gar nicht daran denken, was für ein wichtiges Stück urbaner Kultur mit dem Abriss zerstört werden wird! STERNBRÜCKE FOREVER!