DOOL, HANGMAN’S CHAIR / 14.10.2024 – Hamburg, Bahnhof Pauli
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- Kategorie: Berichte aus dem Pit
- Veröffentlicht: Donnerstag, 24. Oktober 2024 11:57
- Geschrieben von Philipp Wolter
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Ich muss gestehen, dass ich eine Zeitlang von der Interviewfrage genervt war, die manche Journalist:innen Bands stellten und stellen, ob die betreffende Combo denn hart von Corona getroffen worden sei. Ich dachte länger, dass die Pandemie doch jede Band des Planeten so ziemlich gleichmäßig an ihren Aktivitäten gehindert habe. Doch da muss man tatsächlich unterscheiden und die verschiedenen Ebenen einbeziehen, auf denen ein:e Künstler:in agiert. Gerade Profis leben in einem Album-Tour-Rhythmus, stecken in eine Albumproduktion immer noch erhebliches Geld, welches dann erst auf Tour wieder reingeholt werden kann. Und da kam es natürlich auf den Zeitpunkt an, an dem sich eine professionell tourende Band zu Beginn der Pandemie befand. Manche hatten Glück und hatten gerade ihren mehrjährigen Tourzyklus beendet, konnten dann über die Pandemie zumindest komponieren, andere sind aber geradezu zerstört worden, weil die betreffende Platte eben kurz vor Corona erschien. Das habe ich in einigen Fällen erst deutlich später mitbekommen. DOOL ist es nun nicht derart schlimm ergangen und sie zählen auch nicht zu dieser Kategorie von Bands, die 300 Konzerte im Jahr spielen, aber eines der besten Alben 2020, „Summerland“, konnte nicht hinreichend betourt werden. Ich selbst sah DOOL zuletzt vor sechs Jahren. Zum Glück hat die Band nicht aufgegeben, sondern sich 2023 mit „Visions Of Summerland“ zurückgemeldet, mit „The Shape Of Fluidity“ 2024 gehörig nachgelegt und kommt nun endlich wieder längs.
Bilder von MJ.
Okay, wer aber sind HANGMAN’S CHAIR? Ich wundere mich darüber, dass die Tour als Double-Headliner-Tour betitelt ist, DOOLs Compagnons aber die wenigsten Anwesenden kennen dürften. Doch da liege ich daneben – tatsächlich gibt es HANGMAN’S CHAIR bereits seit zwanzig Jahren, sie haben sechs Longplayer veröffentlicht und stehen bei Nuclear Blast unter Vertrag. Die Franzosen sind mit ihrem Gothic/Doom Metal also bisher völlig an mir vorbeigegangen. Und gefallen mir bei diesem ersten Eindruck gar nicht schlecht! Die Musik kommt wuchtig genug, um Metal zugeordnet werden zu können, besitzt gleichzeitig düstere Wave/Gothic-Vibes, die sich vor allem in der samtigen Stimme von Sänger/Gitarrist Cédric Toufouti manifestieren. Einige schwer krachende Riffs und Beats erinnern mich an CROWBAR, während die Gesangslinien etwas von LIFE OF AGONY und TYPE O NEGATIVE haben. Der Sound ist wie immer im Bahnhof Pauli gut, sodass dieser Auftritt äußerst kurzweilig verläuft. HANGMAN’S CHAIR dürften heute einige Fans dazugewonnen haben.
Bei DOOL finde ich es faszinierend, dass die Band wirklich immer top klingt. Ich sehe sie immerhin zum vierten Mal und wieder perlen die Töne regelrecht aus der PA, glasklar und druckvoll. Man merkt es der Band an, wie sehr sie das Touren und den Austausch mit den Hörer:innen vermisst hat, was Raven van Dorst auch bestätigt: „We missed proper touring so much!“ Überhaupt kommen ihre Ansagen emotional und offenbar von Herzen. So spricht sie über Identität und geht darauf ein, wie Eltern von ihren Kindern häufig ein gewisses Verhalten erwarten, dieses über bestimmte Erziehungsmethoden sogar zu prägen versuchen – und häufig scheitern. Das spiegelt sich ja auch im Cover von „The Shape Of Fluidity“ wider, welches ich als transparente Flagge interpretiere, als Symbol für einen Zustand stetiger Veränderung. Ich halte es für sehr wichtig, dass es Musiker:innen gibt, welche die Themen der Intersexualität oder Trans-/Zwischengeschlechtlichkeit offen thematisieren. Denn natürlich könnten die Leute darüber auch wissenschaftliche Bücher lesen, das tun aber viele nicht und hängen an veralteten Vorstellungen einer binären Geschlechterordnung an. Das Wissen darüber, dass Kinder häufig genitalverändernden Operationen unterzogen wurden (und werden), um sie der Norm anzupassen, verbreitet sich langsam. Ich bin dieser Thematik in der Schule jetzt mehrfach begegnet und habe mitbekommen, was für ein Kampf es sein muss, wenn ein oder mehrere Elternteil:e die Intersexualität ihres Kindes nicht akzeptieren können. Wer zu einem DOOL-Konzert geht, wird wohl kaum sagen: „Ist mir egal, den Aspekt blende ich aus und finde nur die Musik geil.“ Trotzdem ist diese natürlich keineswegs nur ein Vehikel: Ähnlich wie bei THE DEVIL’S BLOOD verstärkt das Brennen für einen Überbau aber die geradezu magische Wirkung. Da ist Ravens Gesang, der mir allein schon Gänsehaut verschafft. Da sind diese packenden Gitarren, die mehrere Schichten von Riffs, Licks, Soli und flirrenden Tönen kreieren (wenn Raven Gitarre spielt, arbeiten DOOL mit drei Klampfen). Und dann muss die grandiose Rhythmus-Sektion angeführt werden, welche DOOL einen unnachahmlichen Punch verleiht, wobei mit Vincent Kreyder ein neuer Schlagzeuger dabei ist, der im Vergleich zu Micha Haring direkter und „härter“ spielt. „Summerland“ tritt in den Hintergrund, ich meine, dass davon nur „Wolf Moon“ gespielt wird. Dafür präsentieren DOOL natürlich das neue Album mit locker sieben Songs ausführlich (Höhepunkte: „Venus In Flames“ und „Hermagorgon“). Gehen aber auch zum Anfang zurück, indem „“The Alpha“, das KILLING-JOKE-Cover „Love Like Blood“ (funktioniert super!) und „Oweynagat“ gespielt werden. Alle Bandmitglieder sind voll drin und bangen selbst bei eher entspannt anmutenden Passagen, was mich ja völlig abholt. Grandios!
Das war wat! Jetzt erst mal selbst auf Tour, nächste Reviewstation: ROTBORN und RATS OF GOMMORAH.