WACKEN OPEN AIR XXXIII / 02.08.2024 – Wacken, Tag 3
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- Kategorie: Berichte aus dem Pit
- Veröffentlicht: Montag, 20. Januar 2025 14:48
- Geschrieben von Michael Strecker & Philipp Wolter
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Philipp: Es ist schon interessant, wie unterschiedlich die Wacken-Tage besetzt sind, wobei ich hier natürlich nur aus meiner subjektiven Perspektive urteilen kann. Hatte ich mich gestern geradezu zwischen zwei unterschiedlichen Schienen entscheiden müssen (die Hauptbühnen von SWEET bis SCORPIONS oder die kleineren Bühnen mit SKELETAL REMAINS, MESSIAH, UADA, INCANTATION, ENDSTILLE und JUNGLE ROT, die ich auch alle gern gesehen hätte), so ist der Freitag recht „luftig“ besetzt. Dafür gab es gestern nichts, was ich nicht schon gesehen hätte, heute dagegen mit CHERIE CURRIE und GENE SIMMONS zwei Premieren (letzterer zumindest im Solo-Kontext). Der Samstag wird dann übrigens ein Bilderbuch-W:O:A-Tag mit viel Thrash und Heavy Metal.
Doppelbericht von Strecker und Wolter, Bilder von Strecker und Roman.
CHERIE CURRIE
Philipp: Die Sängerin der RUNAWAYS live sehen zu können, das ist schon ein Gourmethappen für Genießer! Leider ist ihr Slot mit 11:00 Uhr zu einer hart unchristlichen Zeit angesetzt. Ich beeile mich derart, dass ich sogar noch eine halbe Stunde zu früh vor der W:E:T-Stage stehe und warten muss, bis ich mein Frühstücksbier bekomme (wenn man so etwas außerhalb des Festivalwahnsinns schreibt, klingt es seltsam, aber in dem Moment scheint Bier eine selbstverständliche Wahl). Es sind noch nicht viele Menschen vor Ort, als CHERIE CURRIE und ihre Begleitband loslegen (Fun Fact: Dennoch stelle ich im Nachhinein fest, dass Kollege Rüdiger Naffin dem Gig auch beigewohnt hat, ohne dass wir uns gegenseitig wahrnehmen). Die Sängerin hat eine tolle Präsenz und ist unverändert gut bei Stimme. Die Frau hat ja unheimlich viel Scheiße erlebt, insofern ist es ein Triumph, dass sie weiterhin am Start ist, Platten veröffentlicht und aufm Wacken spielt. Wie erhofft gibt es eine Menge Songs von THE RUNAWAYS, z.B. „Queens Of Noise“, „California Paradise“, „Is It Day Or Night“, „C’mon“, „American Nights“ und natürlich „Cherry Bomb“. Cherie Curry erzählt uns immer wieder interessante Hintergründe zu den jeweiligen Songs und ihrer Entstehungsgeschichte, empfiehlt uns sowohl die SUZI-QUATRO als auch die RUNAWAYS-Dokumentation. Zu SUZI QUATRO gibt es dann auch einen indirekten Querverweis, haben doch beide den Song „Roxy Roller“ gecovert (SWEENEY TODD bzw. NICK GILDER), zudem hat QUATRO für das Biopic „Wild One“ spendiert. Die Band ist fit und bringt die Songs rotzig und tight. Natürlich ist auch das VELVET-UNDERGROUND-Cover „Rock & Roll“ im Set sowie drei, vier CHERIE-CURRY-Solo-Nummern, die ich zum ersten Mal höre und die gut gefallen. Ein Highlight des Festivals!
MASSIVE WAGONS
Philipp: Diese Band nehme ich quasi im Vorbeigehen mit. Auf der Kieler Woche hatten sie einen Auftritt mit Stärken und Schwächen gespielt (richtig starker Anfang, dazwischen zu viel radiotaugliche Durchschnittssongs, am Ende wieder geil), insofern gucke ich noch mal rein. Und heute gefallen sie mir deutlich besser! Die Setlist wurde umgekrempelt, möglicherweise mit „härteren“ Songs mehr aufs Wacken-Publikum ausgerichtet. Dieses Mal gibt es jedenfalls keinen Hänger. Der Sänger Barry Mills ist auch ein echt ein Vogel, der schöne Quatsch-Moves durchzieht und dabei rotzig-melodisch schmettert. Heraus stechen die Stücke „Fuck The Haters“, „Missing On TV“, „Generation Prime“ und „Bangin In Your Stereo“, die sich in der Schnittmenge von Pop, Punk, Rock’n‘Roll und Hardrock bewegen und recht offensive Texte besitzen (vs. Politik, Amazon, Arschlöcher), die mit einem angenehmen britischen Humor vermittelt werden. Für mich für zu Hause wohl etwas zu seicht, aber live sehr unterhaltsam.
BLUES PILLS
Philipp: Meine nächste Station: BLUES PILLS! Das ist insofern witzig, als dass ich sowohl MASSIVE WAGONS als auch BLUES PILLS gerade erst vor zwei Monaten auf der Radio Bob-Bühne der Kieler Woche sah. Elin Larsson sieht in ihrem blauen Kleid einfach bezaubernd aus. Und sie hat richtig Bock, singt sich die Seele aus dem Leib und springt über die Absperrung in die Menge („Let’s mosh together like wild animals!“). Die neue Besetzung – Zack Anderson ist vom Bass an die Gitarre gewechselt und mit Kristoffer Schander ist ein neuer Bassist an Bord – brennt geradezu, was sich durch die längere Livepause und die VÖ des neuen Albums „Birthday“ erklärt (Releasetag ist heute und Elin wirft Platten in die Menge). Die neuen Songs überzeugen dann auch vollständig, selbstbewusst präsentieren die Schwed:innen gleich sechs davon. Mich flashen „Bad Choices“, „Birthday“, „Holding Me Back“ und „Top Of The Sky“ mit ihrer entschlackten, soulig-rockigen Ausrichtung. Der Gesang kann sich weit entfalten und erzeugt immer wieder Gänsehaut. Mit „Bye Bye Birdy“, „Black Smoke“, „Devil Man“, „High Class Woman“, „Little Sun“ oder „Atralplane“ kommen natürlich auch BLUES-PILLS-Klassiker der ersten drei Platten. Eine reine Gute-Laune-Injektion!
Strecker: CHERIE CURRIE hätte ich auch gern gesehen, aber Duschung und anschließend in Ruhe Frühstücken war auch schön. Ich beginne den Konzerttag daher erst um 14 Uhr mit den BLUES PILLS. Im Vergleich zu dem Konzert bei der Kieler Woche wirkt die Band etwas selbstbewusster und routinierter ohne dabei an Spielfreude einzubüßen. Obwohl die BLUES PILLS nicht zu 100 Prozent Metal sind kommt der Sixties-Soul-Blues-Rock gut an. Die neuen Songs passen gut zu den alten Klassikern und werden von einer beachtlichen Zuschauerzahl ordentlich gefeiert.
GENE SIMMONS
Philipp: Nun bin ich gespannt, was GENE SIMMONS nach dem Ende von KISS auf die Bretter bringt. Ich hatte schon lustige Diskussionen über die Tatsache, dass er jetzt solo weitermacht, gibt es doch Leute, die das kritisieren. Kaum habe er gesagt, KISS seien Geschichte, wage er sich allein auf Tour. Ja, na und? Dass Chaim Witz noch richtig Bock hat, zeigt sich vom ersten Ton an! Eine knackig gespielte und top gesungene (geile Backings!) Version von „Deuce“, gefolgt vom krachenden „War Machine“. GENE SIMMONS wirkt gelöster als bei KISS, wo er ja eine strenge Choreografie einhalten musste. Er nimmt sich Zeit für längere Ansagen, was ich spannend finde. Bis auf eine missglückte Kinderchor-Aktion (Zeitverschwendung) erzählt er interessante Dinge. So kommt der unveröffentlichte VAN-HALEN-Song „House Of Pain“ zum Zuge (SIMMONS hat ja das 1977er Demo produziert und dieser Song wurde nie veröffentlicht, außer auf Bootlegs), spektakulär! Dazwischen werden Solo-Nummern eingestreut wie „Are You Ready“ oder „Weapons Of Mass Destruction“, wobei natürlich die KISS-Smasher für die besten Reaktionen sorgen. Am besten finde ich in dieser Version „Parasite“, „I Love It Loud“, „Cold Gin“, „Calling Dr. Love“ und „Rock’n’Roll All Nite“. Mit dem MOTÖRHEAD-Cover „Ace Of Spades“ hätte ich nicht gerechnet, gesungen wird es vom sehr agilen Schlagzeuger, der dafür auch die passende Stimme besitzt. Offen bleibt, ob die Ansage, dass dafür jetzt Mikkey Dee auf die Bühne komme, ein missglückter Joke war, denn der Ex-MOTÖRHEAD-Schlagzeuger erscheint nicht. Falls sein Mitwirken tatsächlich eingeplant war, hat die Band und vor allem der Schlagzeuger das aber gut gerettet, Respekt!
Strecker: Auf das Konzert von GENE SIMMONS war ich gespannt. Wird es GENE SIMMONS mit Mietmusikern, die KISS-Songs covern oder wird es doch ein Konzert einer GENE SIMMONS Band? Obwohl viele KISS-Songs gespielt werde habe ich das Gefühl, dass da eine Band auf der Bühne steht, die Spaß an der Musik hat und sich über die positiven Resonanzen freut. Gut gefällt mir, dass es mit einem raren VAN HALEN-Song eine wirkliche Überraschung gibt. Liebe Veranstalter, wie sieht es eigentlich mit Sammy Hagar 2025 in Wacken aus? Ich hätte Lust. Auffallend finde ich das Fehlen eines Backdrops. Hier bleibt offen, ob es vergessen wurde oder ob die GENE SIMMONS BAND kein Backdrop hat.
Wie Philipp schon schreibt soll Mikkey Dee mit auf die Bühne kommen, was aber nicht passiert. Ich glaube, dass es hier ein Zeitproblem gibt, denn MIKKEY DEE WITH FRIENDS sollen kurz nach dem Ende des GENE SIMMONS Konzerts selbst auf der W:E:T: Stage spielen und da gehe ich nun auch hin.
BLIND GUARDIAN
Philipp: Ich war früher großer BLIND-GUARDIAN-Fan, habe die Anfänge in Jugendzentren und AZs genossen und folgte der Band bis 2002, danach verlor sie für mich persönlich ihre Relevanz. Hat man ja mal. Für die „Nightfall“-Anniversary-Tour vor ein paar Jahren hatte ich Karten, war dann aber krank. So sehe ich BLIND GUARDIAN heute seit 2011 zum ersten Mal wieder – und bin doch sehr positiv überrascht. Es bleibt zwar der Fakt, dass Hansi Kürsch bei den Ansagen unfassbar steif wirkt (erstaunlich für das Level und die Länge der Karriere), aber das ist ja nebensächlich. Unsympathisch ist er dabei nicht, und die Band liefert auf hohem Niveau und bei brillantem Sound. Beim 2011er Gig (auch Wacken) monierte ich zu leise Gitarren, was heute zum Glück gar nicht der Fall ist. Die Gitarren sägen, die grandiosen Melodien kommen in überirdischer Qualität. Und Hansi Kürsch ist super bei Stimme, dazu kommen die fetten Chöre, welche die Band mitunter wie QUEEN klingen lassen. Die Setlist ist natürlich kein reines Old-School-Programm, aber immerhin zehn von 15 Stücken stammen von den ersten sechs Alben. „Imaginations From The Other Side“ erschlägt mich fast mit seiner Opulenz, „Nightfall“, „The Script For My Requiem“ lösen Headbangreflexe aus. Und volles Mitröhren ist angesagt, als „Time Stands Still (At The Iron Hil)“, „The Bard’s Song“, „Majesty“, „Valhalla“, „Lost In The Twilight Hall“ sowie „Mirror, Mirror“ gespielt werden. Überraschend gut!
MIKKEY DEE WITH FRIENDS
Strecker: Sänger und Bassist Viktor Skatt erinnert optisch stark an Lemmy und die Setlist enthält ausschließlich MOTÖRHEAD Songs. Hier hätte ich mir die ein oder andere Überraschung erhofft, da Mr. Dee auch in anderen Bands aktiv war und ist. Trotzdem ist es schön MOTÖRHEAD Klassiker wie „Stay Clean“ mal wieder live zu hören. Zu den Freunden gehören noch Chuck Garrick (Alice Cooper Band) und Ira Black (Dio Disciples). Alles in allem ein gutes Konzert, aber Luft nach oben ist noch da.
KNORKATOR
Philipp: Da mich KORN ja nun gar nicht interessieren und es sonst nichts Interessantes gibt, verabrede ich mich mit Strecker zu KNORKATOR. Die sehe ich erst zum zweiten Mal und mein bisher einziger KNRKTR-Gig (w snd d vrfcktn Vkl?) fand 2006 auf dem FORCE ATTACK statt. 18 Jahre später sage ich: Der Besuch lohnt sich ja mal richtig! Hat die sozialkritische Ebene eigentlich zugenommen bei der Band? Oder habe ich sie damals weniger stark wahrgenommen? Fakt ist, dass eigentlich fast jeder Text Kritik am Turbo-Kapitalismus, der Geldgeilheit oder Blindheit der Menschen handelt. „Die Welt wird nie wieder so, wie sie vorher war“, „Der Hofstaat“, „Milliardäre“ oder „Rette sich, wer kann“ stellen diesbezüglich pointiert formulierte Abrechnungen dar. Was natürlich nicht heißt, dass bei KNORKATOR nicht weiterhin der Wahnsinn regiert. Besonders Stumpens Performance ist vollständig irre, die Moves, die Mimik und sein Gesang ein Gesamtkunstwerk. Ständig muss die Bühne saubergemacht werden, weil sie völlig zugemüllt wird mit zerfetzten, herumgeworfenen oder zerstörten Dingen. Abgefahren finde ich es ja auch, dass die Kinder Stumpens und Alf Ators mittlerweile auf der Bühne mitmischen – Stumpens Tochter Agnetha und Ators Sohn Tim. Gerade Agnetha bekommt viele Gesangspassagen, singt sogar ganze Songs allein, was dem Ganzen noch eine andere, z.T. beklemmende Atmosphäre verleiht. Insgesamt ein herrlich absurder Spaß, der aber selten ohne Hintergrund gestaltet ist.
Strecker: Obwohl KORN gerade auf der Hauptbühne spielen, ist es auch bei KNORKATOR voll vor der Bühne. Mir geht es ähnlich wie Philipp, mit KNORKATOR hatte ich bisher nie viel am Hut. Ich habe die Band bisher als reine Spaß-Kapelle abgetan und bin daher von den Aussagen und dem Konzert durchweg positiv überrascht. Natürlich wirkt alles leicht wahnsinnig und überzogen. Trotzdem behandeln die Texte ernste Themen, die satirisch verpackt sind ohne stumpf zu wirken. Natürlich gibt es auch witzige Ansagen und Sticheleien gegen die Hauptbühne wie „Wedelt mit den Armen, damit es aussieht, als wäre dies die Hauptbühne“. Gelungenes Konzert und für mich die Überraschung des Festivals.
WATAIN
Philipp: Argh, WATAIN oder UNTO OTHERS? Fiese Überschneidung. Da UNTO OTHERS eh in zwei Wochen in Hamburg spielen, entscheide ich mich für WATAIN. Da gab es um 2018 diesen Vorfall mit einem Live-Musiker, der den Hitler-Gruß gezeigt hatte, aber meines Wissens nach hat die Band den Idioten dann auch gefeuert. Das hinterlässt immer einen Beigeschmack, aber ich denke, wenn eine Band tatsächlich handelt/reagiert, dann sollte man ihr auch eine Chance geben. Kommentiert gern, wenn ihr Genaueres wisst. Für mich stellt dieser Auftritt einen dicken Höhepunkt und Genuss dar, zelebriert die Band doch die gesamte „Lawless Darkness“-LP, meine Lieblingsplatte von WATAIN. Dass die dazugehörige Show von der Wacken-Orga überhaupt genehmigt wurde, überrascht noch im Nachhinein. Denn derart viel Flammen und offenes Feuer habe ich noch nie auf einer Bühne gesehen. Sänger Erik Danielsson zündet mit fortschreitender Dauer immer mehr Kerzen an, zelebriert den Auftritt wie eine Messe, die dem großen Gehörnten Tribut zollt. Selbst wenn das Schauspiel sein sollte, verfehlt es seine Wirkung nicht und erhöht die düstere Aura der Musik. „Malfeitor“, „Reaping Death“, „Lawless Darkness“, „Kiss Of Death“ und das unglaubliche „Waters Of Ain“ kombinieren Raserei und tiefschwarze Melodien in Perfektion. So etwas kann nur ein besessener Geist komponiert haben. WATAIN mögen von der Basis kritisiert werden, dass sie in Wacken spielen, an der Qualität dieses Auftritts ändert das aber nichts.
Strecker: Den Gegensatz zu dem eher spaßigem KNORKATOR Konzert gibt es nun. WATAIN zelebrieren ihr Konzert wie eine schwarze Messe mit viel Feuer und großen Gesten. Sieht alles sehr beeindruckend aus und passt natürlich auch zu der Musik. Trotzdem holt es mich heute nicht ab und das Konzert geht an mir vorbei. Dies hat aber nichts mit der Band zu tun. Es ist mittlerweile fast 2 Uhr nachts und nach 12 Stunden Konzerte gucken ist bei mir die Luft einfach raus und ich möchte ins Bett.
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