POWER "Overthrown by Vermin" Pt. II-Tour 2013, Teil 1

0 Dislike0

Tag 1, Donnerstag , 28.03. – Recklinghausen, AKZ

 

In den drei zurückliegenden Jahren waren Power jeweils im Oktober auf Tour. Mit dieser versehentlichen Tradition wird im Jahr 2013 gebrochen. Statt sinkenden Temperaturen in Braun- und Gelbtönen erwachender hellgrün leuchtender Frühling. Ist ja auch viel gesünder. Soweit zumindest der realitätsferne Plan.

Das Vorhaben, ausnahmsweise rechtzeitig zum ersten Auftrittsort zu erscheinen, lässt sich heute hingegen so aalglatt umsetzen, dass wir am AKZ zunächst vor verschlossenen Türen stehen. Ich nutze die überschüssige Zeit für einen Erkundungslauf ins Graue. Ortsansässige berichten später, dass die Stadt ohne ihre Nähe zu mehreren größeren Städten in der Umgebung schwierig auf Dauer zu ertragen wäre, was beim Anblick von Recklinghausen sofort einleuchtet.

 

 

Das AKZ ist dagegen ein nicht nur erträglicher sondern geradezu formidabler alternativer Ort. Nach einer großzügigen Chili Sin Carne Mahlzeit legt bereits gegen 20 Uhr die erste Band IN TRADITION los, die heute ihren Bühneneinstand geben und sich an poppigem Melodicore (jedenfalls würde ich das so bezeichnen) versuchen. Unterstützt wird die Band von zahlreichen Fans, die, wie mir später zu Ohren kommt, vom Sänger fürsorglich ermahnt werden, sich nicht schon mit 18 die Hände und den Hals zuzupikern. Keine Ahnung, ob das wirklich passiert ist. Über das Alter des Sängers selbst kann nur spekuliert werden, rein nach seinem Äußeren zu urteilen könnte seine Warnung (so es sie denn gegeben hat) jedoch Resultat eigener (noch recht junger) Lernerfahrungen sein. Das größtenteils junge Publikum revanchiert sich jedenfalls empört mit dem Werfen alter BH's.

Als wir an die Reihe kommen leert sich der Saal dann deutlich. Macht aber nichts. Geblieben sind immerhin drei extra angereiste nette Menschen von MAY THE FORCE BE WITH YOU. Schöner Einstand insgesamt. Nur Kelling ist leider jetzt schon ziemlich krank.

OFF THE HOOK sehe ich heute zum ersten Mal nach dem Erscheinen der Debutscheibe „The Walk“. Die Band weiß mal wieder genau, was sie tut. Schnörkelloser, tight gespielter Hardcore alter Schule, nicht ganz unprollig. Vom Publikum wird das sehr wohlwollend aufgenommen. Sofort bildet sich ein ziemlich männlicher Tanzmob. Beim letzten Song schlägt die latente Aggression dann in eine schon etwas ernsthaftere Auseinandersetzung um, worauf OTH unter großem Applaus der übrigen Anwesenden mit dem sofortigen Abbruch und einer klaren Absage an solche Aggroprollkacke reagieren. Unter anderen Umständen hätte mir der Auftritt von OTH wohl mehr Spaß gemacht. Trotzdem erfreulich zu sehen, dass die Bühne in diesem Fall letztendlich nicht einfach unwidersprochen denen überlassen wurde, die sich dort am aufdringlichsten und am breitbeinigsten positionieren wollten.

 

Auf dem Weg zum Pennplatz werden wir in die Geheimnisse des anarchistischen Gruppentickets eingewiesen, das die örtlichen Verkehrsbetriebe netterweise anbieten. Die Berechnung und der Ablauf sind ähnlich organisiert wie beim normalen Schwarzfahren, aber die Vermarktungsstrategie ist irgendwie cooler.

Während der Fahrt lässt sich ein begeisterter, bärtiger Hobby-Freestyle-Sprechsänger auch von Ollis wohl komplimentierend gemeinten Titulierung „Du alter Vogelmensch“ nicht davon abhalten uns selbstsicher mit seinen trunkenheitsdeformierten Skillz zu unterhalten.

 

Tag 2, Freitag, 29.03., Weimar, Gerber 3

Die Fahrt nach Weimar verläuft komplett ereignislos. Prompt erreichen wir auch die Gerber früher als nötig.

Ganze fünf Bands stehen heute auf der Liste. Kellings Fieberkurve erreicht einen neuen Höchststand, seine Stimme ist quasi nicht mehr vorhanden und er schläft auf der Stelle ein. Erste Notfallgedankenspiele machen die Runde. Eine Gitarre und Olli am Schlagzeug? Akustik-Set? Spoken Word Vortrag von Bocky? Kissenschlacht?

Na ja wir sind erst als dritte auf dem Plan und setzen erstmal auf Tee, Heilschlaf und ein gekürztes Set. Die nah mit LUST FOR LIFE verwandten MINUTES eröffnenden Abend mit hingerotztem Frühachtziger-Hardcorepunk während die Gerber sich langsam füllt. Anschließend rumpeln AVVERKAD, deren Sänger während des kompletten Konzerts mit dem Rücken zum Publikum agiert, herzerwärmenden Crustpunk mit auflockernden Mitklatschparts in die Halle.

Dann schleppt sich Kelling auf die Bühne und beantragt die Streichung einiger Nummern mit erhöhtem Fitnessbedarf aus der Setliste. Aber er schafft es hinters Schlagzeug und legt los ohne bemerkbares Handicap. Die Publikumsreaktion fällt enthusiastischer aus als am Vorabend. Zum Ende des Sets mobilisiert der noch immer lebendige Kelling seine letzten Reserven, dass die Bühne nur so vor Fußtritten schlabbert. Sehr erstaunlich. Gesund sieht es nicht aus, aber es geht.

M.V.D. verpasse ich komplett. Auch weil der Krankenstand nach Umsorgung verlangt. Hört sich aus der Ferne aber nach erbaulichem Geballer an.

Der Panda verspricht uns für Leipzig am nächsten Freitag einige Flaschen des leckeren hiesigen Holundergetränks und diverse Mägen wärmen sich am Gedanken daran. Lecker ist übrigens auch der in der Gerber angebotene Cuba Libre, zu dessen Zubereitung hier kurzerhand eine halbe Limette ausgewrungen und ins Glas geschmissen wird, bevor Vita Cola und die restlichen Zutaten dazu gekippt werden. Nachdem die Gläser alle sind werden leider nur noch halb so große Plastikbecher mit dem braunen Gold befüllt.

Dann betreten die abgefuckten ABFUKK die Bühne und sorgen für einen bierverspritzenden Pulk. Neben den Hits der Band gibt es noch „Drink, Fight and Fuck“ von GG Allin, das die Attitüde der Band ähnlich wie das recht offensive DWARVES-Shirt des Sängers aber nur zum Teil widerspiegelt (zumindest so weit ich das beurteilen kann). Später hagelt es Beschwerden, weil der Gitarrist eine 5-Minuten-Terrine isst.

Die von Größen wie den BECK's PISTOLS, SPRINGTOIFEL oder den LOKALMATADOREN musikalisch untermalte Aftershowparty dauert auch während unseres Frühstücks und unser Abfahrt gegen 13 Uhr noch an, wobei sich weder vor noch hinterm Tresen irgendwelche Personalwechsel vollziehen.

 

Tag 3, Samstag, 30.03., Mannheim JUZ

Die Eindrücke des heutigen Erkundungslaufes entwerfen von Mannheim ein noch grobschlächtigeres Bild als von Recklinghausen. Trotz Quartiersmanagement lässt sich hier offenbar nur für die Privilegierten was holen. Der obligatorische Stadtpark ist zwar vorhanden aber aufwändig umzäunt und kostenpflichtig. Fröhliche Disneymotive versuchen hilflos, in diesem Garten des Brutalismus ein menschliches Antlitz anzubieten und immer wieder zwingen mich verschlossene Tore zu Umwegen.

Das JUZ und die hier aktiven Menschen wie Sarah und Horst, die uns nach allen Regeln der Kunst betüdeln, haben wir dagegen schon seit der Fahrrad-Tour ins Herz geschlossen. Alle bangen um Kellings unverändert mehr als miesen Gesundheitszustand. Aber Fieber und entzündeten Atemwegen zum Trotz schafft er es später erneut irgendwie auf die Bühne, durch das Set und wieder auf die Matratze.

Die Besucher_innenzahl verharrt heute im einstelligen Bereich. Zu einer netten beschaulichen Runde reicht das glücklicherweise.

VON DRAKUS aus Gießen machen ganz geilen Hardcore mit Crusteinschlag und haben einen sehr schön aufgemachten Vinyltonträger im Angebot. Fein.

Marco und ich kleiden uns in der „Umsonst-Ecke“ adrett für unser musikalisches Beisammensein ein und los geht's. Auch fein.

Später ruft Inga eine Youtube-Party aus, die über Delfine, Roxette und Peter Maffay bis in die frühen Morgenstunden hinein ragt.

Während Teile der Tourbesatzung noch halb mit dem Zubettgehen beschäftigt sind, hustet Kelling Blut aus. Ein Fall für die Klinik. Mit Schlagzeugspielen ist eindeutig erstmal Schluss.

Das Abklopfen der Optionen für Kellings Genesung und den Rest der Tour erfolgt im Laufe des nächsten Tages.

Kommentare   

+1 #2 JanML 2013-04-01 02:15
Das klingt übelst nach einer Lungenentzündung! Kelling pass auf dich auf und werde gesund!
Zitieren
+4 #1 Philipp 2013-03-31 19:42
Oha, das klingt aber dramatisch. Gute Besserung, Kelling!
Zitieren

Kommentar schreiben


Sicherheitscode
Aktualisieren

Stern inaktivStern inaktivStern inaktivStern inaktivStern inaktiv