KIEL EXPLODE V: PHANTOM WINTER, CLOUD RAT, DAILY RITUAL, THE TIDAL SLEEP, THRÄNENKIND, RED APOLLO, ANCST, THURM / 20.06.2015 – Kiel, Alte Meierei

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Eine der schönsten jährlich wiederkehrenden Veranstaltungen stellt das KIEL EXPLODE dar. Hat man in letzter Zeit häufiger erlebt, dass diverse Kieler Konzerte und Festivals deutlich schlechter als bisher besucht waren, so knallt's beim EXPLODE einfach weiterhin. Ich bin echt relativ früh da – schon kann man 'ne volle Hütte konstatieren: Überall sitzen Leute in Grüppchen auffer Straße herum (Niles: „geil deutschpunkmäßig“), andere vertilgen die veganen Burger (mit Recht, die Biester sind hart lecker!), auch das Kuchenbuffet lockt mit verführerischer Auswahl und natürlich gibt es x Plattenstände. Das sind sicher schon einige Gründe, warum auch das fünfte EXPLODE ein voller Erfolg ist. Dazu kommt natürlich ein Killer-Billing mit Bands, die man selten sieht, ich sach nur THRÄNENKIND oder PHANTOM WINTER. Hinein ins Getümmel!




Los geht es mit THURM und jetzt, da ich das Review schreibe, fällt es mir siedendheiß ein, dass ich doch eigentlich ein Exemplar der neuen LP abernten wollte, von der die Band laut Sängerin Anna (Ex-AMBER) heute 25 Testpressungen dabei habe. Vergessen. Ist aber im Nachhinein wohl gut so, denn im Chaos der Nacht werde ich meinen Jutesack mit den heutigen Neuerwerbungen noch an einem Ort liegen lassen, dessen Adresse nicht mehr eruierbar erscheint. Ich mag ja die Verbindung von (Post-) Black Metal und Hardcore in vielen Fällen sehr gerne. Und THURM sind so ein Fall: Anna keift gewohnt angepisst, die Songs mäandern in überlangen Strukturen und überschreiten gern auch mal die Grenzen des genannten Genres. Erfreulicherweise begeben sich fast alle Anwesenden bereits jetzt in die Halle statt draußen abzuhängen. Der Sound ist übrigens richtig dick und laut ist es auch wie Sau, das zwirbelt so schön in den Ohren.


Volle Kanne Blackened Crust gibt es von ANCST aus Berlin. Auch bei dieser Band denk ich doch gleich, dass mir so einige Nasen bekannt vorkommen und tatsächlich wird mir erzählt, dass Mitglieder von HENRY FONDA und AFTERLIFE KIDS mit dabei sind. Nicht dabei ist übrigens: ein Drummer. Das Geklöppel kommt dann halt vom Band, was mich eigentlich immer etwas abtörnt (ihr wisst: No drummer = no satisfaction). ANCST kommen dennoch vehement rüber und verbinden tobenden Gesang von gleich zwei vor der Bühne herumwieselnden Sängern mit angeschwärzten Gitarrenmelodien. Das Energielevel ist gleich sehr hoch, sodass im Mob Vergleiche mit ALPINIST, PROTESTANT oder gar TRAGEDY gezogen werden. Die Blastbeats sitzen, die Gitarren schreddern dir ein Tremolo nach dem anderen um die Ohren – die beste Kombination aus Black Metal und Epic Crust, die ich seit langem gehört habe! Ach ja, die Einstellung gefällt mir obendrein noch, heißt es auf der ANCST-Seite doch: „anti-fascist | anti-sexist | anti-religion | death to NSBM“.


RED APOLLO – der Vierer aus Dortmund war bereits 2013 auf dem KIEL EXPLODE dabei und wurde von Pan und mir derbst abgefeiert. Diesen guten Eindruck zementiert die Band heute mit Nachdruck. Was ich bei jedem KIEL EXPLODE aufs Neue faszinierend finde: Obwohl generell nahezu alle Bands düster und extrem klingen, gehen sie doch weitestgehend unterschiedlich an die Sache ran und so verläuft der Abend (eher: der Tag) erstaunlich abwechslungsreich. Kann es sein, dass RED APOLLOS Metal/HC mit Postrock- und Downtempo/Sludge-Elementen mittlerweile noch doomiger klingt? Jedenfalls walzt man wieder alles weg und klingt dabei trotzdem noch dynamisch. Wer es gern schwerverdaulich im Sinne von ISIS oder DOWNFALL OF GAIA hat, der sollte sich statt 'nem weiteren Burger besser RED APOLLO geben!


Endlich mal wieder ein THRÄNENKIND-Auftritt! Meine erste und bisher einzige Live-Begegnung fand 2013 in der Villa Dunkelbunt statt. Seitdem haben THRÄNENKIND schon so manches Black Metal Duckface verärgert, wofür ich sie allein schon liebe. Und ihr unfassbar tolles Album „The Elk“ läuft immer noch rauf und runter bei mir. Ich muss sagen, dass ich die Ernsthaftigkeit und Tiefe ihrer Musik und deren Darbietung bewundere. Ich könnte gar nicht so shoegazemäßig abgehen. Für Kieler_innen ist es natürlich spannend, Niles mal als Sänger zu sehen, kennen ihn doch die meisten als Schlagzeuger. Dass sich hier Leute aus den unterschiedlichsten Regionen zusammengetan haben (der Rest kommt aus Süddeutschland), schlägt sich nicht etwa negativ im Sinne irgendwelcher Unsicherheiten wieder. Das Ganze kommt durchaus souverän, aber eben auch völlig entspannt – die martialisch-peinlichen Posen so mancher Black-Metal-Combo haben THRÄNENKIND nicht nötig. Die würden auch nicht zur Musik passen, welche immer mehr in Richtung düsterer Post Rock geht, wobei ein metallisches Fundament stets spürbar ist. Augen zu, abheben.


Auch THE TIDAL SLEEP bekommen gern ein „Post“ vor die unabwendbare Genre-Bezeichnung gepackt, Post-HC/Screamo zum Beispiel. Und es ist witzig – obwohl ich im Grunde in Bezug auf Punk und Metal die pure Old-School-Variante bevorzuge, treffen Klemsen und André mit ihrer Bandauswahl immer voll ins Schwarze. THE TIDAL SLEP haben Leute von GLASSES und TRAINWRECK in ihren Reihen. Ich hatte mich bisher mit der Band nicht beschäftigt, bin aber auf Anhieb angetan. Wenn ich es richtig mitbekomme, sind einige der Stücke mit deutschen Texten versehen, andere mit englischen. Die aktuelle LP „Vorstellungskraft“ kommt übrigens über This Charming Man, was ja im Grunde bereits ein Qualitätsgarant ist. Die Gitarren sind nicht allzu verzerrt, der Gesang kommt herrlich rau, anklagend und erinnert mich etwas an DEFEATER. Was THE TIDAL SLEEP perfekt draufhaben, ist das Aufeinanderprallen von fragilen Momenten und explosiver Brachialität. Fünfte Band – fünfter Killerauftritt!


Darauf scheinen alle gewartet zu haben: Purer Punkrock, der alle Hüften in Bewegung versetzt! DAILY RITUAL kommen aus Singapur und klingen angenehm zeitlos. Die Chose hat richtig Drive und tolle Melodien, sodass es nach wenigen Titeln bereits vor der Bühne zu wogen beginnt. In der Ankündigung hatte die Crew den Vergleich mit NEON PISS gezogen – das passt gut! Denn so wie auch ihre Kollegen aus der Bay Area haben DAILY RITUAL keineswegs bloße Good-Time-Singalongs im Sinn, sondern Wut im Bauch und Melancholie in den Gesangsmelodien. Ich denke mal, dass die wissen, worüber sie singen, wenn ein Song „Desperation In A Police State“ heißt: „Attention please! This is a police state / We hold your passports / Your access to freedom / You take your pledge /
You take whatever you need but your freedom stays right here with me.“ Aber trotz dieser ernsten Hintergründe swingt die ganze Darbietung so dermaßen, dass danach alle grinsend zum Luftholen nach draußen japsen.


Perfekt choreographiert: Auf die melodiöseste Band folgt der fieseste Krach-Schlag mitten auf die Nase! CLOUD RAT aus Michigan grinden eine Schneise der Verwüstung durch die Meierei. Wer von draußen erst mal nur akustisch am Inferno schnuppert, dürfte auf zehn Berserker tippen, die da auf den Brettern rumtoben. Tatsächlich sind CLOUD RAT aber lediglich ein Three-Piece – Sängerin, Gitarrist und Schlagzeuger reichen für diese Kakophonie. Sängerin Madison kotzt ihre Stimmbänder in so richtig angewiderter Manie raus, dass man sofort glaubt, dass sie schon verdammt viel Scheiße erlebt hat: „I hit the city and I lost my band, / I watched the needle take another man. / Gone, gone. The damage done. / I sing the song because I love the man.“ („The Needle And The Damage Done“ - okay, issen Neil-Young-Cover, passt aber dennoch.) Nun kann Grindcore in sehr unterschiedlicher Qualität dargeboten werden und wir alle wissen aus leidvoller Erfahrung, was für stumpfen Scheiß es da rein musikalisch gibt, von den Texten gar nicht zu sprechen. CLOUD RAT überzeugen durch aggressives und dabei eingängiges Riffing, dezente Crust-Einflüsse und exzellente, präzis gesetzte Blasts. Extreme Aggression, würde der gute Mille wohl dazu sagen.


Die Bühne ist in blaues Licht getaucht, Nebel verhüllt die Gestalten, die nun den finalen Auftritt bestreiten: PHANTOM WINTER, über die irgendwer gesagt hat, sie klängen so „wie der letzte Atemzug Darth Vaders“ (großartig, hehe!). Ich wollte ja schon viel früher noch weiterziehen zum Hansastraßen-Sommerfest, aber seit dem Moment, in welchem ich erfahren hatte, dass PHANTOM WINTER zum Schluss spielen, war dieser Plan über Bord gegangen. Denn das Album „Cvlt“ hat es mir seit Wochen angetan, ein düsterer und schwerverdaulicher Brocken Musik. Roh, fies, verzweifelt - aber in einem morbiden Sinne gleichzeitig auch voll schön. Schleppend und brutal kriechen die Songs aus den Boxen. Ich hatte die „Vorgängerband“ OMEGA MASSIF letztes Jahr auf dem HELL OVER HAMMABURG sehen können und verspüre bei PHANTOM WINTER denselben Effekt: Mich zieht das vollständig in den Bann und so wackle ich bereits beim ersten Stück hospitalistisch hin und her wie ein Eisbär in einem abgefuckten Zoo. Man verliert das Gefühl für Zeit und Raum und könnte dieser Band weiter und immer weiter zuhören. Auch hier überzeugt übrigens der inhaltliche Anspruch, wie unlängst im Rock Hard-Interview verkündet: „Fuck off, NSBM!“


Irgendwann hat das letzte Fauchen das Mikro verlassen. Es war wieder ein großartiges KIEL EXPLODE, und ich gar nicht fassen, dass es bereits wieder vorbei ist. In der Hansastr. 48 ist übrigens immer noch richtig viel los, als ich dort eintrudele, gerade die Tanzfläche gerät zum Tummelplatz. Nur schade um meinen Lieblingsjutebeutel mit den Platten drinne, aber das ist 'ne andere Geschichte...

Kommentare   

0 #3 Philipp 2015-07-08 19:49
Nee, ich weiß schon, wo ich den hab stehen lassen. Nur fallen mir weder Name noch Adresse wieder ein.

KIEL EXPLODE 2016? YEAH!
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+2 #2 S_K 2015-07-08 15:41
Der Jutebeutel hat sicherlich einen neuen Mitmenschen gefunden, denn beim Mega-Aufräumen am nächsten Tag haben wir absolut nix finden können. Ansonsten sei gesagt: KIEL EXPLODE 2016 ist schon in Planung!
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+4 #1 Aller Egon 2015-07-07 15:21
Muss hier auch nochma sagen, wie lecker die Burger waren. Und Kiel Explode war wieder einmal einfach nur richtig richtig gut! Schade, dass man jeztzt wieder ein Jahr warten mus... Hammer "Festival" udn einfach nur zum Wohlfühlen!
Das mit dem Lieblingsjutebeutel tut mir Leid! Kann ich richtich mitfühlen und hab mich an diverse Male erinnert gefühlt, wo ich morgens aufwachte (den obligatorischen Check machend "Ja, ich bin in meinem Bett." Check "Klamotten hab ich auch aus." Check "Portmonee?" Check "Übler Geruch ausm Mund?" "Kein gelber Fleck im Bett?" :) Check undsoweiterundsofort und dann irgendwann kein Check beim am Vorabend erstandenen Merchandise aus dem Mund kriegen. Nach einer Phase des Nichtwarhabenwollens und Überprüfung ALLER evtl Möglichkeiten (ich hab sogar mal im Kühlschrank nachgeguckt) dann die bittere Erkenntnis...Mein Beileid! R.I.P. Lieblingsjutebeutel! Aber als kleinen Trost: vielleicht hat er ja jetzt eine/n neuen liebevollen Besitzer/in!
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