KRAFTWERK / 27.11.2015 - Hamburg, CCH

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Das is ganz schwer zu beschreiben...Die Strich-Acht-Mercedisse, die Fiat 500s und die rumsbudigen M.A.N.-Geschütze mit den langen Schnauzen auf der Doppelspur, die ein graues Band ist, der Glitzerstrahlsonne mehr oder weniger entgegendieselnd - All das und die Art der grafischen Darstellung mögen Engramme meiner nach Pril und Heizöl duftenden Kindheit sein, aber ihre eigentliche Herkunft ist natürlich das Deutschland der 50er, mehr noch der 60er Jahre: Wirtschaftswunder, Wiederaufbau, Wanderbewegung-gen-Italien (auf der AUTOBAHN), Weltkriegsverdrängung. Daß ich in diesem Kontext den beigen VW-Käfer, mit dem die 3-D-Animation zu Kraftwerks kommerzieller Durchbruchshymne einsetzt, als quasi-nationalsozialistisches Symbol wahrnehme, liegt wohl nur an einer gewissen Überkalibrierung meinerseits. Und schnurrte da nicht auch ein vereinzelter Trabant auf uns zu, in der Blechlawine, die wahlweise auch wie die Magnettafel der Fahrschule aussehen könnte, in die wir alle gegangen sind? Wir alten Säck_innen? (wobei, eindeutig mehr Säcke, denn KRAFTWERK sind seit Dekaden ein gefundenes Fressen für Männerds)


Die Sounds, die Visuals, die Logos, die Marken...Kraftwerk sind nicht futuristisch im Sinne plausibler Science-Fiction. Nicht mehr. Sie sind auch nicht retrofuturistisch im Sinne eines "Morgen", das es so nie gab. Das gemütliche Feeling, das mein Inneres wohlig erwärmt, sobald z.B. die Roboterstimme im Opener "Nummern" 12345678 zählt, hat am ehesten mit Nostalgie zu tun. Wertfreier gesagt: Mit dem kollektiv Erinnerten. Kraftwerk sind seit den 70er, spätestens 80er Jahren explizit keine Zukunftsmusik mehr; implizit allerdings schon noch, wenn man an all die Musikstile -ausdrucksmittel, Künstler und Bands denkt, die ohne sie nicht denkbar wären. Detroit Minimal Techno z.B., dem sie im einzigen Stück, das ich komplett nicht kenne, mittels Einblendung des Schriftzuges "DETROIT ELECTRO" ihre Referenz erweisen (und unmittelbar darauf folgend mit "GERMANY ELECTRO" sich selbst - was erstaunlich ungroßkotzig rüberkommt, eher angenehm selbstbewußt). Oder käsige Synthipopgruppen wie OMD. Oder ICH. Als ich vor Jahren die ersten Elektrospuren für KEINE ZÄHNE IM MAUL ABER LA PALOMA PFEIFEN einklöppelte, mochte ich stets die Patches am liebsten, die irgendwie nach Kraftwerk klangen - und da hatte ich noch keine einzige Platte von denen.


Es sind wohl diese übermächtigen popkulturellen Verdienste, die die allgegenwärtige Retrohaftigkeit der Musik von vornherein jeglicher Kritikwürdigkeit entheben; selbst in Momenten, in denen sie 1:1 mit einem mukkeligen "Damals" kokettieren wie in "Das Model" oder in "Tour De France", mit grobkörnigen Schwarzweißfilmen, die Mannequins und Radrennfahrer aus einer Zeit zeigen, als es Anorexia Nervosa und Doping irgendwie noch nicht gab. Und am offensichtlichsten mit den leuchtenden Schriftzügen ("4711"!), die sie für "Neonlicht" an die Wand werfen - einem der schönsten Kraftwerk-Songs, und, ja, selbstredend sind es auch und immer wieder die SONGS, die Kraftwerk jenseits von allem Anderen schweben lassen wie das 1998 außer Dienst gestellte Spacelab. Songs, in denen fast alle Refrains aus kristallklaren, reinen, oft berückend naiven Melodien bestehen. Unter anderem sehr kindgerecht, wie David Buckley in seiner zwar nicht authorisierten, dafür umso spannender zu lesenden Kraftwerk-Bio schreibt. Aber es fällt schon ein wenig schwer, sie losgelöst vom Rest des seit vielen Jahren seine eigene Musealisierung vorantreibenden Gesamtkunstwerks zu hören - erst recht heute Abend, aber deswegen ist ja auch keiner hier.


Anfangs durchaus eine merkwürdige Veranstaltung, Sitzkonzert und so... schräg vor uns tanzen welche ausgelassen auf ihren Ärschen, direkt hinter uns ertönt an jeder für geeignet erachteten Stelle der totale Kreischalarm. Nachmittags war ich noch in Kiel gewesen, um bei Blitz Schallplatten / Records CDs von Velvet Underground abzuholen (auch so'n Legendenthema), und im Vorbeifahren registrierte ich, das "Electronic-Schmidt", ein Laden, wo sie Kondensatoren, Phasenprüfer. Strippen, Netzgeräte und alles Mögliche verkaufen, Räumungsverkauf macht. Da überkam mich eine ungefähre Wehmut, und während ich darüber noch fahrig nachsinne, spielen sie schon "Radioaktivität", den emotionalen Höhepunkt dieser Multimedia-Ausstellung. Das einzige Stück mit einer Art MESSAGE, auch wenn sie erst später reingelötet wurde - die aber doch auch wieder diese retro-Heimeligkeit, äh, abstrahlt, mit ihrer Seventies-Anti-AKW-Friedenswewegungs-Terminologie. SCHON KLAR, daß das heutzutage alles wieder sehr aktuell ist und immer war undsoweiter, aber trotzdem laufe ich Gefahr, diese GROSSEN THEMEN gar nicht mehr als bedauerliche Konstanten meiner Lebensrealität anzuerkennen, sondern sie nur noch als Teile des geil hermetischen Kraftwerk-Kosmos zu erleben. Zumindest so lange, bis die Roboterstimme "FUKUSHIMA" sagt. Schluck.


Überhaupt die Setlist: Sie ist die beste, die man sich wünschen kann. Einerseits na klar die Hitsingles, andererseits eine mehr als großzügige Auswahl an Albumtracks in modifizierten Versionen: "Ätherwellen" bounc't beispielsweise extrem detroitesk auf einer durchgehenden Kick. Beim Rausschmeißer "Musique Non Stop" haben sie das so befremdend eindringlich gesprochene "Peng!" durch ein "Zong!" ersetzt. Nach dem Konzert bin ich so beschallert (audiovisuell und infolge einer Server-Überlastung meines Intranets), daß ich dem bärtigen NDR-Mützenmann kaum konzis auf seine Frage "WIE WAR'S?" antworten kann, mich stattdessen in Aufzählungen verschwurbele. Ich soll dann noch "Zong!" in die Kamera sagen, was ich verweigere mit der Bitte, lieber "Peng!" sagen zu dürfen. Das gewährt man mir, aber ins Fernsehen kommt es leider nicht.


Zum Ende des Zugabenblocks wird es mit NOCH EINEM elastischen Hüpfer von der "Tour De France" gar eine Spur redundant, aber dieses Beharren auf dem Idiom läßt die 4 in phosphoreszierendes Gittermuster gesteckten Männer für einen Augenblick tatsächlich modern wirken; auch wenn ihr jetzt acidgrün illuminierter Sound letztlich auch längst ein Fall für opulent ausgestattete Boxsets a.k.a. Gedenksteine ist. Trotzdem: DAS wäre der Moment aufzuspringen und zu dancen, aber macht natürlich keiner.


Und das ist alles so rund, so vollständig, so in sich geschlossen, so schön, so abgesegnet daß ich mich frage, ob Kraftwerk wirklich noch ein Album machen sollten. Sie, respektive Hütter kündigen es ja seit Ewigkeiten an (wenn auch nur auf Anfrage, insofern vielleicht auch nur eine Standardantwort ohne was dahinter), aber was soll das denn werden? Vielleicht nochmal so ein Krautrock-Riemen mit Motorik-Beats, Tonbandschleifen und schnöden menschmenschlichen MUSIKINSTRUMENTEN wie Querflöte oder, würg, Elektrogitarre. Ruckzuck revisited. Darin sehe ich eine echte Chance. Und dann mal die ersten 3 Platten standesgemäß wiederveröffentlichen. Und Eberhard Kranemann anrufen! Damit würden sie sich richtig einen verpulen und eine Tür aufstoßen für eine Zukunft als sich in der Zeit vorwärtsbewegende BÄND!


Als ob es darum gehen würde.

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