ENZO Festival / 09.-10.08.2019 – Wagersrott

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Hä? Ein neuer Artikel in der Rubrik „Berichte aus dem Pit“? Es finden doch seit Monaten gar keine Konzerte statt, Pits sollte es somit momentan auch eher selten geben. Stimmt zwar. Aber das sah im letzten Sommer anders aus. Da fanden derart viele Konzerte statt, dass ich es schlicht nicht geschafft habe, von allen, die ich besucht habe, zu berichten. Sogar drei ganze Festivalberichte blieben Wunschdenken, nämlich die vom ENZO, MELTDOWN und FREEVIVAL. Bisher! Denn nun packt mich der Ehrgeiz, dies nachzuholen, gepaart mit der selbstexperimentellen Frage, was EIN JAHR SPÄTER überhaupt noch an Erinnerungen vorhanden sein mag.

 

Flashback August 2019: Die Sommerferien liegen in den letzten Zügen, am heutigen Tag muss ich sogar erst noch zur Schule, um dort die erste Dienstversammlung fürs kommende Schuljahr zu besuchen. Diese Neuerung existiert seit vier Jahren oder so. Wird spannend, wenn die Ferien nach vorne wandern und irgendwann Wacken am letzten Ferienwochende liegt, denn das hieße ja, nach mindestens zwei vollen Tagen auf dem Acker zwischendurch zurück nach Kiel zu fahren und diese ca. dreistündige Veranstaltung mit Streichhölzern zwischen den Augen durchzustehen. Bei einem zweitägigen Festival wie dem ENZO ist das natürlich weniger ein Problem, allerdings trudeln wir dadurch erst gegen Mittag auf dem Campground bzw. bei unserer Hood ein, die netterweise Platz freigehalten hat. Leider sind dieses Jahr auch Leute dabei, die der Meinung sind, dass man einen Aufenthalt am Zelt unbedingt mit „Musikgenuss“ in maximaler Lautstärke kombinieren muss. Daher sind Gespräche dieses Jahr vollständig unmöglich, höchstens mit dem/der direkten Nachbar*in, dem/der man mit voller Kraft direkt ins Ohr brüllt. Im Nachhinein etwas schade. Natürlich hätte man das besprechen können, aber ich fühle mich irgendwie doof, wenn ich (wiederholt) darum bitte, doch bitte die Musik leiser zu machen. Der gute Nebeneffekt: Man sitzt gar nicht erst lange dort rum, sondern bewegt seinen Arsch direkt aufs Infield.

 

Immer noch geht man dafür beim Enzo durch ein Tal, welches den Bühnenbereich vom Campingplatz trennt. Vorsicht ist geboten, denn dieser Weg birgt nicht nur ehebliche Unwuchten im Boden, sondern auch frische Kuhfladen.

 

Die erste Band, die wir sehen, sind die guten AALKREIH, welche gegen 18:00 Uhr die Hauptbühne bespielen. Die Band vertieft den guten Eindruck, den ich beim RD-ROCK im Mai gewonnen hatte. Auf Plattdeutsch gesungene Outlaw-Country/Folk-Hymnen, wobei Gerri, Marvin und Birger den Eindruck vermitteln, sie hätten ihr Leben lang nichts Anderes getan. Im Publikum wird diskutiert, ob Gerri wirklich astreines Plattdeutsch singt. Mich überzeugt ein Hinweis, dass es beim Platt durchaus verschiedene Ausprägungen gebe. Ist mir auch egal, wie korrekt und „authentisch“ das Platt bei AALKREIH nun sein mag, denn die Mucke ist originell und mit „Nix to verleern“ oder „Sprit“ haben sie diverse Volltreffer am Start. Auch handelt sich keinesfalls um vordergründig „witzige“ Texte, vielmehr vermitteln die Songs vielfach eine gewisse Traurigkeit und Nachdenklichkeit, z.B. im erwähnten „Sprit“: „Dien Leben hesst du lang versoppen. Kannst n Leed vun singen. / All dien Müll un all dien Buddeln sind so schwer wech to bringen. / Watt morgen is, is di egool. / Watt güstern weer, weetst nicht mehr. / Nächste Wuch schasst no dien Doktor. / Op dien Rückwech hoolst Beer.“

 

Gegen 23:00 Uhr dann ein geradezu magischer Moment: Wir kommen gerade vom Campingplatz, nähern uns dem Gelände und hören zum ersten Mal eine uns bisher unbekannte Band. Irgendwie sind frühe BUT ALIVE genau so wie early TURBOSTAAT mit drin, auch Jensen-Sachen wie DACKELBLUT oder OMA HANS, aber insgesamt präsentiert die Band etwas Eigenes. Es handelt sich um ANGORA CLUB, die wir seitdem natürlich noch mehrfach gesehen haben und deren Debutscheibe ja mittlerweile erschienen ist. Zu dem Zeitpunkt sehen wir Knott, Olli, Simon und Helge also wie gesagt erstmals und sind gleich angetan. Ich hole mir noch während des Auftritts das fellüberzogene Demotape. Schon heute krallt sich z.B. „Minusmann“ als Ohrwurm ins Hirn. Das Publikum reagiert begeistert, diesen Auftritt habe ich als eins der Enzo-Highlights im Gedächtnis.

 

So, jetzt muss ich aber doch kurz nachdenken. War da noch was am Freitag? Ich sehe undeutlich einen hohlen Hammer vor mir, Nägel, einen Holzblock und irgendwer ruft „Regelverstoß!“ Nur ein Traum? Das weiß keiner.

 

Glasklar hingegen der Samstag. Herrliches Wetter, MOPED ASCONA auf der Bühne. Schade, Robins Ansagen bekomme ich jetzt natürlich nicht mehr auf die Reihe. Da sind mindestens drei totale Welt-Ansagen dabei, bei denen ich Tränen lache. Immer wieder entschuldigt sich Robin dafür, zu viel zu faseln, dabei würde ich glatt auch zu einer Spoken-Word-Performance von ihm gehen. Und das soll jetzt nicht heißen, dass die Musik etwa ungeil sei, von wegen! Obwohl ich MOPED ASCONA bisher ja nur live gesehen habe, kann ich nämlich bereits mitschmettern. Super ist zum Beispiel dieser Song, in dem es sinngemäß heißt: "Im Gleichschritt geh ich nicht, auch wenn der Führer spricht. Ich hab den Swing im Blut!“ Hoffentlich kommt da bald mal ein Tonträger, den ernte ich sofort! Alle grinsen und tanzen, perfekte Enzo-Stimmung.

 

Zwischendurch ein Kritikpunkt: Ein einziger Bierstand ist ZU WENIG! Da ist Stress am Bierpilz vorprogrammiert. Ach, und: Die Crew hat zu wenig von den geilen T-Shirts herstellen lassen. Als ich mir eins holen will, ist das Ding jedenfalls bereits ausverkauft.

 

Ob ich die Bandmitglieder von CIRCUS ELECTRIC noch wiedererkennen würde, wenn ich sie bei Aldi träfe, vermag ich nicht zu sagen. Aber an die Musik erinnere ich mich umso besser! Sehr gut gespielter Hardrock/Rock’n’Roll, der in die Richtung RIVAL SONS geht. Das Trio agiert tight und zwingt viele Zuschauer*innen so zum Tanz. Während des Auftritts spielen sich denkwürdige Sideshow-Szenen ab, da bei einigen Freaks wohl gerade die Pilze wirken. Ausdruckstanz ist gar kein Begriff für einige der beobachteten Verrenkungen. Jedenfalls muss an die ENZO-Booker (also wahrscheinlich Enzo, hö) ein extradickes Lob gehen, dass sie jedes Jahr solch geile Combos ranholen. Von ELETRIC CIRCUS werden wir noch hören, das spüre ich vage.

 

An HARDBONE hatte ich keine positiven Erwartungen, muss ich sagen. Irgendwie hatte ich die Band als Prollrocker eingestuft, so im Stile V8 WANKERS oder was es da so gibt, ihr wisst schon. Doch ich werde positiv überrascht, denn die Hamburger bewegen sich im Dreieck zwischen AC/DC, ROSE TATTOO und KROKUS. Geiler Kreischgesang, stetig pumpender Beat und Riffs, Riffs, Riffs. Das Ganze profitiert von einem satten, lauten Sound. Mehr weiß ich dann auch nicht mehr, aber wir hatten definitiv Spaß.

 

Ein klarer Höhepunkt kommt dann von TURBOSTAAT! Mittlerweile muss man wohl von Perfektion sprechen, wenn es um die Band geht. Wahnsinn aber auch, was hier vor der Bühne los ist. Die Leute drehen durch und schmettern textsicher mit. Seit einiger Zeit sind TURBOSTAAT zu einer von mir häufig gehörten Band geworden und so freue auch ich mich über diesen Rundumschlag durch die Discografie. Von „Ruperts Grün“ über „Haubentaucherwelpen“, „Ja, raducheln!!!“, „Abalonia“, „Wolter“, „Alles bleibt konfus“ bis hin zu „Harm Rochel“, „Vormann Leiss“ und „Schwan“ sind viele ihrer zentralen Stücke dabei. Herrlich.

 

Eine Überraschung stellen die niederländischen THE GRAND EAST dar. Im Zentrum steht Sänger Arthur Akkermans, der zwar überhaupt nicht wie Jim Morrison aussieht, aber mit ähnlichem Timbre schmettert – und dabei wie ein Gestörter über die Bühne wetzt, hüpft und klettert. Was für ein Freak! Der Typ rennt in die Menge, wälzt sich durch den Dreck, klettert an den Bühnentraversen in den Nachthimmel und singt dabei auch noch ziemlich super. THE GRAND EAST sind eine dieser jungen Bands, die Old School Rock’n’Roll spielen. ähnlich wie DEAD LORD, DeWOLFF etc., hier mit einer souligen Note. Die nächste Entdeckung nach CIRCUS ELECTRIC!

 

Eigentlich haben THE MOVEMENT jetzt die Arschkarte gezogen: Es ist nach Mitternacht und mit TURBOSTAAT hat die wohl bekannteste Band des Festivals bereits gespielt. Aber die Dänen sagen sich offenbar „Jetzt erst recht!“ und explodieren geradezu auf der Bühne! Wow, was für eine energiegeladene Attacke! Mit jedem Stück kommen mehr Leute wieder aus ihren Zelten gekrochen oder vom Nachtgrillen weggetorkelt, neugierig, wer da so ein Inferno auf der Bühne veranstaltet. Lukas Sherfey hat mit Philip Ingemann am Schlagzeug und Sebastian Page am Bass wieder eine sensationelle Besetzung gefunden, welche die Songs nur so glühen lässt und ohne Unterbrechung über die Bühne tobt (2015 war das Trio schon in der Schaubude). Die guten Anzüge werden durch diverse Knierutscher an ihre Belastungsgrenze gebracht. Zwischen den Songs gibt es wie gewohnt Samples aus revolutionären Reden, ansonsten immer mal ein „Prost“ oder „Skol“, aber keine längeren Pausen. „Control Your Temper“, „We Got Marx“, „Truth Is…“ oder „Loosing You“ reißen wieder durch Modpunk- und Ska-Einflüsse mit, sorgen durch rasante Gitarrenlicks, donnernde Drumrolls oder leichtfüßige Basslinien für restlose Begeisterung, obwohl das Publikum kurz vorher noch total durch schien.

 

So, mir ist doch nach fast einem Jahr mehr zum ENZO eingefallen, als ich gedacht hätte. Grandioses Festival. Dieses Jahr wird es keins geben, hoffen wir auf 2021!

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