KEEP IT TRUE XXII / 21.04.2023 – Lauda-Königshofen, Tauberfrankenhalle, Tag 2

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Das brutale Billing des Festivals lässt mir kaum Zeit, um dem Haushalt ein paar neue Tonträger zuzuführen. Aber ein paar gezielte Stippvisiten zu Iron Shield Records, Underground Power Records und FHM Records sind mindestens ein Gebot der Höflichkeit. Immer wieder lohnt sich auch ein Blick auf den Merchstand der Bands. MESSIAH FORCE haben tatsächlich den berühmten Dachbodenfund dabei - ein Karton mit Erstpressungen ihres "The Last Day"-Albums. Ich stehe gerade am Merch, und als der Karton geöffnet wird, bieten sich meinem Auge eindrucksvolle Szenen: Freaks, die eben noch wie Wiedergänger in Zeitlupe daherschlurften, erstarren in der Bewegung, wenden mit geblähten Nüstern die Köpfe und nehmen den Geruch jahrzehntealten cellophanierten Vinyls wahr. Alsdann bewegen sie sich schneller, bis sie sich wie ein Schwarm Hornissen dem Objekt der Begierde nähern. Kurze Zeit später sind alle Exemplare verkauft. (Ich ernte natürlich auch eines ab.)

 

CIRITH UNGOL

Fotos von Florian Hille - Danke, Alter!

 

FER DE LANCE

 

 FER DE LANCEFER DE LANCE

 

Donnerschlag, fahren FER DE LANCE bereits als erste Band einen mächtigen Sound auf! Der Epic Doom Metal kommt wuchtig und stampfend daher. Mir gefällt die EP „Colossus“ (2020) eigentlich etwas besser als die LP „The Hyperborean“ (2022), aber live überzeugen alle gespielten Songs. Ähnlich wie DOOMSWORD, SCALD, SOLSTICE oder ATLANTEAN KODEX gelingt es der Band, eine erhabene Stimmung zu erzeugen. Auch wenn mal akustische Gitarrenparts eingestreut werden, klingen FER DE LANCE jederzeit heavy. Mit dem SAVATAGE-Coversong „Hall Of The Mountain King“ überraschen die US-Amerikaner:innen wohl nicht nur mich. Das Ding wird gut gewuppt, Sänger MP bekommt gerade auch den leicht wahnsinnig anmutenden Gesang authentisch hin.

 

GENOCIDE NIPPON

 

GENOCIDE NIPPONGENOCIDE NIPPON

 

Yes, auch wegen solcher Bands geht man doch aufs KEEP IT TRUE! Denn GENOCIDE NIPPON sind wirklich nur wenigen Anwesenden bekannt, gewinnen aber schnell alle Herzen. Die japanische Band besteht bereits seit 1979 und klingt völlig eigenständig, obwohl man mit etwas Fantasie Querbezüge zu MERCYFUL FATE, MANILLA ROAD oder frühen JUDAS PRIEST herstellen kann. Hinzu kommt ein klarer Doom-Einschlag. Der Gitarrist Kazuo Amaya überzeugt durch ein geschmackvolles Spiel. Klasse auch der Gesang von Hutträger Toshihiro Takeuchi, dessen „Shock! Aha! Shock! Aha!“ mir jetzt noch in den Ohren bimmelt. Auch GENOCIDE NIPPON haben Bock, etwas zu covern und zwar in Form der mir vollständig unbekannten FLOWER TRAVELLIN‘ BAND („Satori Part I“). Schön!

 

GENOCIDE NIPPON

 

WITCH SLAYER

 

WITCHSLAYERWITCHSLAYER

 

Auch die nächste Combo ist etwas für Trüffelschweine, wobei WITCH SLAYER durch den Release ihres neu eingespielten Demos auf Cult Metal Classics 2022/2023 (das Originaldemo stammt von 1983) vielen KIT-Gängern ein Begriff sind. Ein weiterer Eintrag in die schwermetallischen Geschichtsbücher stellt der Beitrag zum vierten „Metal Massacre“-Sampler dar, „I Don’t Want To Die“. Ich finde sowohl diesen Song als auch das Album super und genieße den Auftritt. Ich weiß nicht, ob das noch jemand außer mir so hört, aber für mich ist da auch ein früher Hardcore/Punk-Touch vorhanden. „Losin‘ It“, „Hang ‘Em High“, „Seduction“, „Deceiver“ und der erwähnte MM-Song pfeffern gut rein, wobei ich es faszinierend finde, dass sich dieser US Metal teilweise an der Grenze zum (frühen) Thrash befindet, diese aber nie ganz überschreitet.

 

WITCHSLAYER

 

TRESPASS

 

TRESPASSTRESPASS

 

Die neue TRESPASS ist ja mal richtig geil! Selten hat eine alte NWOBHM-Truppe ein derart starkes Alterswerk hingelegt (na gut, SATAN, TYGERS…). Und so kann sich in der heutigen Setlist ein neuer Song wie „Live Like A King“ (toller Text!) neben den Klassikern „Bright Lights“, „Stormchild“ und „One Of These Days“ behaupten. Die Stimme von Mark Sutcliffe klingt alterslos frisch, die Twinsoli kommen einfach nur herrlich. Wenn man bedenkt, dass die Kernzeit des NWOBHM auf die Jahre 1979 bis 1983 datiert wird, ist es erstaunlich, wie viele ihrer Bands heute noch (oder wieder) aktiv sind und wie gut viele klingen. TRESPASS sind spätestens mit „Wolf At The Door“ qualitativ ganz vorn dabei. Gern wieder!  

 

TRÖJAN/TALION

 

TRÖJANTRÖJAN

 

Endlich! Mit diesem Auftritt schließt sich eine Lücke, denn TRÖJAN haben mit ihrem „Chasing The Storm“-Album 1985 einen Klassiker der NWOBHM geschaffen, der durch sein hohes Tempo häufig als Speed Metal durchgeht. Ähnlich wie SATAN entschied sich die Band ein paar Jahre später für eine Umbenennung, weswegen das „Killing The World“-Album (für mich damals ein reiner Coverkauf) unter dem Namen TALION rauskam. Die seit 2019 reformierte Band spielt natürlich aus beiden Phasen Songs, die durchweg flott und voller Energie aus der PA ballern. Der Titelsong des Debuts sticht noch einmal heraus, der gehört mit seinem Super-Refrain eigentlich auf jeden NWOBHM-Sampler: „Breaking the thunder the wind and the rain / It's haunting you it's calling you / Don't wait till tomorrow you…still remains / It's haunting you it's calling you.“ Yeah, sehr geil vorgetragen von Charismabolzen Graeme Wyatt.

 

MESSIAH FORCE

 

MESSIAH FORCEMESSIAH FORCE

 

Holy shit, bei diesem Auftritt stimmt echt alles! Eine alte Legende kehrt in Originalbesetzung zurück, feiert sein Europadebut und wirkt derart frisch, dass man es kaum glauben kann. Das einzige Album, „The Last Day“, stammt immerhin aus dem Jahr 1987, würde aber auch heute noch mit seinem Speed/Power Metal Höchstnoten einfahren. Die Band liefert eine mitreißende Performance, spielt tight und kraftvoll. Dass die Sängerin Lynn Renaud auch noch den gesamten Auftritt über lächelt und sich wiederholt bedankt, macht sie überaus sympathisch. Höhepunkt? Einfach die gesamte Setlist, welche das komplette Album umfasst. In der ersten Reihe steht übrigens auch Sarah von SMOULDER, welche MESSIAH FORCE als großen Einfluss bezeichnet.   

 

MESSIAH FORCEMESSIAH FORCE

 

(THE LORD WEIRD) SLOUGH FEG

 

SLOUGH FEGSLOUGH FEG

  

Diese Band kriegt mich ja immer, von daher freue ich mich auf jeden ihrer raren Auftritte. Immerhin sehe ich sie heute zum vierten Mal. Müsste ich die Musik von SLOUGH FEG in drei Adjektiven beschrieben, entschiede ich mich für folgende: unberechenbar, wild, fordernd. Ich mag es ja auch ausdrücklich, dass die Band ihre Songs extrem variiert und eben nicht auf der Bühne die Studioversionen reproduziert. Das ist selten geworden, entspricht aber dem ursprünglichen Geist des Rock’n’Roll. Ich kenne viele Menschen, die von Liveauftritten möglichst wenig überrascht werden wollen. Sie studieren vorab die Setlists, sofern diese verfügbar sind, und erwarten, dass Musik und Texte so von der Bühne kommen, wie sie sie kennen. Schade eigentlich. Warum klebt ein:e Musiker:in am Teleprompter? Singt doch einfach einen alternativen Text, wenn euch der ursprüngliche gerade nicht einfällt oder auch einfach, wenn euch danach ist! Nun, Mike Scalzi improvisiert jedenfalls gerne, springt plötzlich in den Fotograben, klettert auf die Boxen, spielt die Gitarre auf dem Rücken etc. Ich erkenne nur wenige Songs, genieße aber jeden Moment. Mit dabei sind u.a. „The Final Gambit“ von meiner Lieblingsscheibe „Traveller“, „Headhunter“ und „New Organon“. Völlig genial ist auch die Coverwahl, denn SLOUGH FEG haben sich einen Song aus einer alten Star-Trek-Folge gegriffen, in der Charles Napier und Deborah Downey eine Art Space Hippie Song namens „Hey, Out There“ singen. Over the top!

 

SLOUGH FEG

 

PAGAN ALTAR

 

PAGAN ALTARPAGAN ALTAR

 

Auch PAGAN ALTAR-Auftritte sind rar gesät, gleichermaßen überragend. Zum Glück hat sich Gitarrist Alan Jones (der Mann mit der Schiebermütze) nach dem Tod seines Vaters Terry Jones (R.I.P.!) dazu entschlossen, die Band weiterzuführen. Auf dem HAMMER OF DOOM-Festival sahen wir 2017 die Wiederauferstehung als TIME LORD mit Brendan Radigan als Sänger (MAGIC CIRCLE, SUMERLANDS), mittlerweile agiert man wieder unter dem alten Namen. Obwohl die Gründung der Urformation auf die späten Siebziger zurückzuführen ist, kennen die meisten PAGAN ALTAR wohl erst seit 1998, als „Volume 1“ erstmals auf CD veröffentlicht wurde, bzw. seit der 2004er Reunion und der „Time Lord“-EP. Völlig eigenständig, zwischen NWOBHM und Doom mäandernd, aber mit Melodieführungen, die zumindest ich nur und exklusiv von dieser Band kenne, stampfen Klassiker wie „The Cry Of The Banshee“, „The Black Mass“, „Rising Of The Dead“, „The Lords Of Hypocrisy“ oder „Judgement Of The Dead“ aus den Boxen. Brendan Radigan singt phantastisch, die resultierende Gänsehaut ist zentimeterdick. Filigran, mythisch, erhaben.

 

PAGAN ALTARPAGAN ALTAR

 

FIFTH ANGEL

 

FIFTH ANGELFIFTH ANGEL

 

Erst FIFTH ANGEL und dann CIRITH UNGOL, diese Reihenfolge hatten wir 2017 schon einmal auf dem KIT. Damals waren allerdings weder Ken Mary als Schlagzeuger noch Steven Carlson als Sänger dabei, denn ersterer war verhindert, letzterer noch nicht im FIFTH ANGEL-Line-Up vertreten. Es ist wohl die beste Stimmung des Festivals seit VISIGOTH. Das hat mehrere Gründung: Einmal sind es die Hook-Monster von Songs! Da braucht man ja nur die Titel zu lesen und schon explodieren Melodien im Gehirn (Beweis: „In The Fallout“, „Shout It Out“, „Cry Out The Fools“, „Wings Of Destiny“, „Cry Out The Warning“, „Cathedral“ oder „Fifth Angel“). Und dann performen FIFTH ANGEL die Dinger eben auch überragend. Ken Mary, der ja auch bei FLOTSAM & JETSAM spielt und u.a. bei ALICE COOPER, ACCEPT, CHASTAIN, RANDY HANSEN oder IMPELLITERI gezockt hat, beweist seinen Ruf als Killerdrummer und lässt die Sticks bis zur Hallendecke fliegen. Stevan Carlson beherrscht alle Phasen der Band und schließt gut an die Leistung von Peter Orullian an (KIT-Shows 2010 und 2017). Auch die neuen Songs überzeugen und so muss vom dritten FIFTH-ANGEL-Gig gesprochen werden, der als legendär in die KIT-Geschichtsbücher eingeht.

 

FIFTH ANGEL

 

CIRITH UNGOL

 

CIRITH UNGOLCIRITH UNGOL

 

Ursprünglich, damals vor Corona…, war ja mal geplant, dass CIRITH UNGOL an beiden Tagen mit jeweils anderen Setlist-Schwerpunkten headlinen sollen. Wir waren damals skeptisch, ob das wirklich hinhaut. Von dieser Planung ist man aber nun abgewichen und bietet einfach einen Sack voll Klassiker und zwar nur an diesem Festivaltag. Gut so! Mit der Nuance, dass gewagterweise zunächst ein neuer Song gespielt wird, den noch niemand kennt. „Velocity“ heißt das Ding und es besitzt alle Trademarks, die man an der Band liebt. Ein Uptempo-Banger mit griffigen Riffs und epischen Leadmelodien. Ich stehe total auf Tim Bakers Stimme, das war schon bei Erstkontakt in den 80ern so und wird sich nicht ändern, zumal der Mann original wie früher klingt. Auf diesen Opener folgen nicht weniger als 18 weitere Stücke, von denen ich als absolute Höhepunkte „Black Machine“, „Frost & Fire“, „I’m Alive“, „Atom Smasher“, „Join The Legion“, „Master Of The Pit“ und „King Of The Dead“ nennen würde. Drummer Robert Garven hat einen guten Tag, Jarvis Leatherby bangt unentwegt – nur den Einsatz des Session-Bassisten Tom Malone, der offenbar immer bei CIRITH UNGOL spielt, wenn Jarvis mit NIGHT DEMON tourt, empfinde ich als weniger zwingend. Es ist eine nette Geste, aber Jarvis hat die intensivere Bühnenpräsenz. Das Publikum hält gut durch und feiert mehrheitlich bis zum Schluss, als die Arthur-Brown-Nummer „Fire“ die letzte Zugabe markiert (der Urheber des Songs ist übrigens immer noch aktiv, veröffentlicht neue Musik und tourt).

 

Boah, starker Tag, mit Vorfreude auf den Samstag geht’s in die Festivalanalyse auf ein letztes Bier. TBC!

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