WILWARIN 2023 / 03.06.2023 - Ellerdorf, am Arsch der Heide, Tag 2

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Philipp: Heute kommt zum bisherigen Patchwork immerhin noch eine weitere Perspektive dazu – die Sicht des selbst auf dem Festival spielenden Musikers. Denn für den CATBREATH-Part schlüpfe ich aus der Besucherrolle und berichte mal, wie es aufm Wilwarin als Band ist. Wird man dort von hektischen Veranstalter:innen auf die Bühne und wieder herunter gescheucht, hat der Koch die Nudeln verkocht? Hier kommt alles ans Licht!

Ansonsten können wir heute etwas früher losrollen und uns von TSU SHI MA MI RE bis DEATH PILL doch so einiges angucken. Let’s move it!

 

 Wilwarin 2023

 Patchworkbericht von Pan, MJ und Philipp, Bilder von Pan und MJ.  

 

ZERSTEIGERN UND VERSTÖREN

 

ZERSTEIGERN UND VERSTÖREN

 

Pan: Der Samstach startet dann übertrieben pünktlich um 12 Uhr auf der Electro Stage mit ZERSTEIGERN UND VERSTÖREN. Jan Hinnerk moderiert sich wortgewandt durch musikalische Highlights von beliebten Interpreten wie beispielsweise BENNY, der durch seine absoluten Smash-Hits „Skateboard uh ah ah“ und „Du hast Angst vor der Wahrheit“ allseits bekannt sein dürfte. Versteigert wird an diesem sonnigen Vormittag allerdings die nicht minder großartige Perle „Bin wieder frei“. Außerdem steht ein Tonträger von WERNER WICHTIG zur Auktion, der allen Anwesenden mit der deutschen Fassung von „pump up the jam“ - umgedichtet zu „pump ab das Bier“ - einen heftigen Flashback in die 90er und einen langanhaltenden Ohrwurm bescheren dürfte. 

Da alle Werke fleißig beboten werden und  aus guten Gründen auch zu Höchstpreisen weggehen, kommt am Ende auch ordentlich Kohle für Sea Watch zusammen. Die gesamten Erlöse steckt sich Jan Hinnerk nämlich nicht selbst in die Tasche, sondern spendet sie an besagte NGO. Coole Sache! Die glücklichen Auktions-Gewinner_innen bekommen außerdem zusätzlich zum Vinyl noch Kümmerling und Mettbrötchen und dürfen somit rundum versorgt in den Tag starten. Eine echte Win-Win-Situation für alle Beteiligten. An dieser Stelle nochmal Dank und Respekt an Jan Hinnerk, der offensichtlich im Vorfeld viel Zeit und Mühe investiert hat, um diese Schätze aus Schrott zum Zwecke der Versteigerung ausfindig zu machen und mit zum Wilwarin zu schleppen.

 

 

PIANO BOY 

Pan: Anschließend gibt es herausragend guten Kaffee an der Skate Stage mit Untermalung von PIANO BOY, der nicht nur mich mit Covern von u. a. TERRORGRUPPE, NOFX und NO USE FOR A NAME begeistert. „Fuck you - that’s my Name“ ist außerdem ein völlig unterschätztes Zitat, dass wirklich immer und für alle Gelegenheiten passt.

 

 

BAKER SEATS

 

BAKER SEATS

 

Pan: BAKER SEATS schaue ich mir dann in erster Linie deshalb an, weil mein Ex-Mitbewohner für das Konzert kurzfristig an der Gitarre eingesprungen ist. Den hab ich ja ewig nicht gesehen. Hallo, Simon! Vom Können einwandfrei, musikalisch halt gar nicht meine Baustelle. Trotzdem nett. 

 

TSU SHI MA MI RE

 

Wilwarin 2023

 

Philipp: Ein Glück, dass es beim Wilwarin einen Programmflyer gibt, auf dem zumindest einige der auftretenden Bands vorgestellt werden! Sonst wären mir TSU SHI MA MI RE entgangen. Ich wäre übrigens dafür, dass es ein ganzes Programmheft mit allen Bands gäbe. Denn wer informiert sich schon vorher im Internet über alle Combos? Ich hätte dafür jedenfalls gar nicht die nötige Zeit. Aber vor Ort auf dem Festival gibt’s immer mal ein paar ruhige Minuten, in denen man in so einem Heft blättert. Über TSU SHI MA MI RE steht dort etwas von „japanisches All-Girl-Trio“, „eine der besten Livebands Japans“, „Walls of Noise-Gitarrenriffs“ und „1800 Konzerte in 23 Jahren“. Das weckt meine Neugier, die dann auch befriedigt wird. TSU SHI MA MI RE erweisen sich als eines der Festivalhighlights. Mitreißende Spielfreude, Referenzen an eine mir unbekannte japanische Pop-Kultur, damit einhergehend eine gewisse Eigenständigkeit, rotzige Garage-Riffs und ein durchaus eingängiger Gesang mit Charme. Die Sängerin gibt alles, entleert den Inhalt ihres Trinkbechers über ihren Kopf, erklärt uns, dass Bier ihr Lieblingsgetränk sei und legt einen astreinen Stagedive samt Gitarre hin. Das Publikum: schockverliebt!

Pan: Auf TSU SHI MA MI RE am Nachmittag im Zelt war ich im Vorfeld durchaus gespannt und entsprechend pünktlich vor Ort, stelle aber schnell fest, dass ich eigentlich Kopfschmerzen habe und die Luft unterm Zelt mir gerade zu stickig ist. Außerdem sollen laut Timetable TIPP überschneidend aufspielen, weshalb wir uns nach wenigen Songs vom Acker machen. Viele Leute finden TSU SHI MA MI RE aber zu recht prima und benennen dieses Konzert im Nachhinein als eines ihrer Wilwarin-Highlights.

 

Wir freuen uns schon auf TIPP, aber auf der Skatestage überzieht stattdessen CÄPTN CLEPTO noch komplett sein Programm. Also kurze Getränke- und Schattenpause am Zelt, in der Hoffnung, dass es danach losgeht. Tut es irgendwann auch.

 

TIPP

 

TIPPTIPP

 

Philipp: Tipp sind JoyBoy an der synthetischen Orgel, Moses am Schlagzeug, Nadia an Gesang und Gitarre sowie Joachim am Bass. Ich hatte erst aufgrund der Wilwarin-Ankündigung von der Existenz dieser Combo erfahren und bin allein aufgrund der Musiker:innen-Konstellation brennend am Besuch interessiert. TIPP erweisen sich als NDW-Punk, bei dem man kaum stillstehen kann. Der Gesang klingt original wie aus den 80ern rübergebeamt, besitzt dieses leicht Überdrehte und Provokative. Ich denke da etwa an IDEAL. Auch die Texte passen zu diesem Genre, man höre nur „Dreh dich doch mal um“ oder „Warum wartest du auf mich“. Zwischen einer oder zwei Minuten Spieldauer gehen die Dinger auf die Zielgerade. JoyBoy tänzelt um die Orgel, bedient neben dieser auch mal ‘nen Schellenkranz. Danach kann das Fazit nur lauten: TIPP waren top!

Pan: TIPP liefern dann wie gewohnt (und erwartet) ab. NDW-Punk mit deutschen Texten, geprägt durch Nadias prägnanten Gesang, megagut! Musikalisch definitiv eines der Highlights in diesem Jahr.

 

(BLAST BOMB)

 

BLAST BOMB

 

Philipp: BLAST BOMB habe ich länger nicht live gesehen, genauer gesagt seit 2017. Heute kann ich mich nicht vollständig auf das Konzert konzentrieren, denn wir sind als nächste Band auf der Skate Stage dran und befinden uns gedanklich bereits in der Vorglühphase. Aber der Punk’n’Roll der Jungs fetzt nach wie vor gut rein, das ist ganz klar. 

 

CATBREATH

 

CATBREATHCATBREATH

 

Philipp: Es ist schon aufregend, die ersten Gigs mit einer neuen Band zu spielen. Im Vergleich: VLADIMIR HARKONNEN gibt es jetzt schon 17 Jahre, da weiß man recht genau, wie die Band tickt und dass man Teil einer gut geölten Maschine ist. CATBREATH hingegen zocken heute erst zum zweiten Mal und nach unserem Auftritt beim MOSH IM MAI konnten wir auch nur zweimal proben. Die entspannte Stimmung auf dem Wilwarin steigert den eh schon vorhandenen Spielbock noch. Wir können einen ausgiebigen Soundcheck genießen, werden mit einer Kiste Bier für die Bühne versorgt und bekommen dazu noch Bons für weitere Getränke und Essen. Bereits zum Soundcheck füllt sich der Platz vor der Skate Stage. Ob sich die in Teil 1 erhofften Zufallsgäste, die uns nie wieder sehen werden, in Hör- und/oder Sichtweite befinden? Das weiß keine:r. Scheiße, macht das Spaß! Wir haben ja noch nichts draußen (bald wird es erste Proberaumaufnahmen online geben) (Edit: Mittlerweile findet ihr zwei Songs auf Bandcamp), aber der Mob steigt voll auf unsere Mucke und das Katzenkonzept ein. Häufig wird bereits mitgeschmettert, wenn der Refrain zum zweiten Mal kommt. Wir, das sind übrigens Tank, Kniffel, Clemens und ich, verdeutlichen, dass wir aus der Sicht des Straßenkaters Fat Freddy singen, der es in seinem Viertel mit Nazi-Ratten und Kreaturen zu tun hat, die Hass und Intoleranz vertreten. Da muss der “Black Revenger” mit ‘nem “Strike Of The Claw” gegenhalten. Der Sound ist herrlich klar und druckvoll (besonders schön: Kniffels sägende Gitarre), vor der Bühne fliegen die Köppe nur so herum. Die Stunde Spielzeit können wir nur füllen, indem wir einige Songs doppelt spielen. Das stellt eine Möglichkeit dar, einen Fuck-Up aus der ersten Runde auszubügeln (oder weitere hinzuzufügen). Nee, richtig geil, nur der Schluck aus der Pulle mit den Kippen war ein bisschen eklig. Danach bleibt Zeit, druckfrische T-Shirts von der Bühne zu verkaufen und mit den Leuten einen Schnack zu halten. Wilwarin, Danke für die Einladung, es war super bei euch! EVERYBODY SHARPEN CLAWS!

Pan: Eine weitere positive Überraschung des Wochenendes sind dann CATBREATH. Philipps Gesang ist zwar markant und eindeutig wiederzuerkennen, spielerisch geht es hier aber ein bisschen weniger frickelig zur Sache und damit mindestens in mein Ohr besser rein.

 

CATBREATHCATBREATH

 

EISENPIMMEL

 

EISENPIMMEL

 

Philipp: Als Mitte der Neunziger die ersten EISENPIMMEL-Platten erschienen, mochte ich die Band und nahm sie als originell und unterhaltsam war. “Bau keine Scheiße mit Bier” war trotzdem die letzte Scheibe, die ich von ihnen abgeerntet habe. Leider waren sie live für mich schon immer enttäuschend, wie ich hier bereits 2006 anlässlich ihres Auftritts auf dem Force Attack schrieb. Die Musik knallt nicht, lediglich der Gesang und die Ansagen von “Bärbel” und “Siggi” lassen ab und zu aufhorchen. Bis auf ein paar Lacher wie immer langweilig.

Pan: Ich gebe zu: ich habe mich tatsächlich schon im Vorfeld ein bisschen darauf gefreut, EISENPIMMEL in diesem Leben dann auch mal live zu sehen. Jetzt kann ich nämlich endlich den (nicht wirklich existenten) Bucket-List-Punkt „alle Elemente der heiligen Dreifaltigkeit des Ruhrpotts live gesehen haben“ abhaken. Und ich stelle fest: von diesen drei Bands - ich spreche von den KASSIERERN, den LOKALMATADOREN und EISENPIMMEL - kommen die letztgenannten tatsächlich irgendwie am sympathischsten oder zumindest am offensichtlichsten ironisch rüber. Alles schön trashy, ein bisschen dumm und sehr sympathisch. Find ich super. Irgendein Dude neben mir scheint während des Konzert allerdings heftige Guilty Pleasure-Anfälle zu haben und schämt sich offenbar so sehr für seine Anwesenheit, dass er das allen Umstehenden wiederholt mitteilen muss. Ist ja gut. Wir stehen hier doch alle gerade vor der selben Bühne. Naja, ich hab auf jeden Fall keine Schuldgefühle, sondern ne gute Zeit und bin außerdem echt SO kurz davor, mich bei „Huka Tschaka Töff Töff“ mit in die Polonaise einzureihen, die sich vor der gesamten Bühne bildet. Mache ich aber doch nicht. Vielleicht beim nächsten Mal. 

 

MARCH

Philipp: Deutlich spritziger dann MARCH, auf die ich zufällig im Second Ground stolpere. Ob nur ich an die DISTILLERS denken muss? Hardcore, Punkrock, Rock’n’Roll und Hardrock treffen aufeinander, alles wird auf hohem Energielevel und mit Schmackes sowie Tempo vorgetragen. Da gehen die Fäuste hoch und nicht wenige rennen später mit einer MARCH-Platte herum. Ernte ich vielleicht auch noch ab.

 

ILLEGAL CORPSE

Philipp: Den Tipp, mir diese Franzosen anzusehen, hatte ich von Tank und Kniffel, die mich darauf hinweisen, dass diese Band im Grunde identische Einflüsse wie CATBREATH verarbeitet. In der Tat gibt’s bei ILLEGAL CORPSE Crossover-Thrash zu hören! Die Meute vor der Bühne ist heiß und setzt sofort zum enthemmten Slamdance an. Der Spaß wird sogar noch gesteigert, als die Band aufblasbare Gummitiere in den Pit wirft. Und zwar nicht zwei oder drei, sondern dutzende! Die Dinger fliegen hin und her, werden als Puffer zwischen sich anpogenden Moshern benutzt oder zurück auf die Bühne geworfen. Herrlich! 

 

MAL ÉLEVÉ

 

MAL ELEVE

 

Philipp: Diese Musiker transportieren super Botschaften, aber leider ist der Hip Hop/Rap-Sprechgesang für mich ein Dealbreaker. Ich “hasse” diese Musik keineswegs (Hass empfinde ich eigentlich nur bei Ballermann-Metal wie ALESTORM oder GLORYHAMMER, weil dieser eine Beleidigung für Heavy Metal darstellt), sie erreicht mich emotional aber null. Also: Flucht.  

 

DEATH PILL

 

DEATH PILLDEATH PILL

 

Philipp: Auf DEATH PILL kamen viele Anwesende durch das lesenswerte Interview in einer der jüngsten Plastic Bomb-Ausgaben. Dort wurde das ukrainische Riot-Grrrl-Trio sehr empfohlen. Der Gesang kommt extrem angepisst, die Wut der Band darf zweifellos als authentisch angesehen warden. In die Lage können wir uns ja gar nicht hineinversetzen. Die Band selbst sagt in Interviews, sie wolle explizit einen “fighting spirit” und gleichzeitig die Hoffnung auf eine bessere Zukunft vermitteln. Das kommt rüber und so wird der Second Ground ein weiteres Mal ordentlich durchgewühlt.

 

DEATH PILL

 

WILWAZIT

Philipp: Ein Knaller-Wilwarin. Ich fand die Stimmung wieder sehr entspannt und empfand die Größe als angenehm. Das Team hat wieder ein zauberhaftes Festival auf die Beine gestellt, das nach der langen Pause richtig gutgetan hat. Ich hoffe, ich kann nächstes Mal wieder das ganze Wochenende bleiben, zelten und noch mehr Bands sehen.  

Pan: Da auch die zweite Nacht wieder recht frisch daher kommt, soll es anschließend „nur mal kurz“ zum Aufwärmen ins Auto gehen. Aber wie es dann so ist: weitere Bands und die spätnächtlich aufspielenden DJs JOYBOY und SCHRAMMMI erscheinen gar nicht mehr so attraktiv, wenn man erstmal schön warm eingemuggelt irgendwo liegt. Was auch okay ist. Mehr Bands gucken wäre bestimmt gut gewesen, aber schlafen ist auch prima. 

Fazit: Ich freue mich, dass ich es tatsächlich mal wieder zum Wilwarin geschafft habe. Die familiäre und entspannte Atmosphäre sind und bleiben einfach einzigartig und es ist immer wieder schön, zu sehen, wie viel Herzblut die Organisierenden auch nach Jahren immer noch in das gesamte Festival stecken. Danke, Wilwarin!

 

Wilwarin 2023Wilwarin 2023

Kommentare   

+1 #2 Philipp 2023-12-16 10:28
Danke, das hört man gern - gerade vom Ex-Cef! :-)
Ich denke auch, dass da am falschen Ende gespart wird. Da gibt es meiner Meinung keine adäquate digitale Alternative. Und nachhaltig sind sie auch - ich habe jedenfalls noch uralte Programmhefte von allen möglichen Festivals.
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+1 #1 Matt 2023-12-16 10:09
Vielen Dank für die ausführlichen Reviews, die mir einige amüsierende Flashbacks am heutigen Morgen beschert haben. Besonders unterstreichen möchte ich die Forderung nach ausführlichen Programmheftchen, nicht nur auf dem Wilwarin, sondern auf allen Festivals. Ich habe es immer geliebt in diesen Heftchen rumzublättern wenn man gerade mal eine Beschallungspause macht und Bands zu entdecken, von denen man noch nie was gehört hat wo die Beschreibung aber Bock macht auf mehr!
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